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Der Psychoanalytiker Erich Fromm hat die menschliche Gier als krankhaft angesehen und damit hatte er wohl sicher recht. Rational ist die manchmal unermessliche Gier von manchen Menschen nicht zu erklären.
Hier ein Artikel aus der FAZ
Der Psychoanalytiker Erich Fromm hat es kommen sehen: ein Wirtschaftssystem, das von Gier getrieben und von persönlicher Verantwortung frei ist. Erinnerung an einen Mahner für vernünftiges Wirtschaften.
© akg-images / Electa „Haben oder Sein“ heißt das Hauptwerk des Psychoanalytikers Erich Fromm. 1976 ist es erstmals erschienen.
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Können wir von Erich Fromms Theorien etwas über die gegenwärtige wirtschaftliche Kalamität – nennen wir sie mal bequemerweise und durchaus unrichtig „Finanzkrise“ – lernen? Können wir diesen allbeherrschenden Komplex aus „Bankenrettung“, „Staatsschuldenfrage“, „Euro-Stabilisierung“ besser verstehen, wenn wir Einsichten der Frommschen Gesellschaftsdiagnose auf sie anwenden?
Nehmen wir zum Ausgangspunkt einen Artikel aus dem Wirtschaftsteil dieser Zeitung: „Das Bonusgesetz soll die Gehaltsexzesse in der Finanzwelt eindämmen und verhindern, dass Banker unverantwortliche Geschäftsrisiken eingehen, um ihre Erfolgsprämien zu maximieren. So soll einem früheren Händler der Deutschen Bank für das Jahr 2008 ein Bonus von 80 Millionen Euro bewilligt worden sein. Später erwies sich, dass der Großverdiener in den Skandal um die Manipulation des wichtigen Libor-Zinssatzes verwickelt war. Das neue Gesetz will solche Auswüchse in Zukunft verhindern. Aber Londoner Personalberater berichten, dass zahlreiche Banken als Reaktion auf die EU-Regel bonusähnliche Zulagen vorbereiten, die monatlich ausgezahlt werden. Sie genügen den Buchstaben des Gesetzes, ermöglichen aber weiterhin eine hohe und flexible Extrabezahlung.“
Das sind Nachrichten, an die wir uns in den vergangenen Jahren gewöhnen mussten, keine Skandale oder Kriminalgeschichten, sondern geschäftlich-politische Realität.
Mag der eine oder andere solche Vorgänge für obszön oder gar verbrecherisch halten, so ist diese massive und quasi naturwüchsige Umverteilung aus dem Säckel der Allgemeinheit – die ganze Branche überlebte ja nur dank Steuergeld – aber doch völlig legal und geht täglich weiter. Was sagt Erich Fromm zu solchen Zuständen? „Das Wesentliche ist, dass in der psychoanalytischen Auffassung Gier eine pathologische Erscheinung ist. Sie tritt dann auf, wenn ein Mensch seine aktiven, produktiven Fähigkeiten nicht entwickelt hat.“
Prototypen eines erkrankten Menschenschlags
Erich Fromm, der von 1900 bis 1980 lebte, legt hier wie ein hellsichtiger Arzt den Finger in die Wunde: Es geht beim gierigen Wirtschaften nicht um die Produktion, sondern um die schnelle Aneignung von deren Früchten. Und genau dies ist mit der politisch gewollten Zusammenlegung von herkömmlichem Kreditgewerbe und Investmentbanking geschehen. Was die Investmentbanker an schneller Rendite aus der Realwirtschaft herauspressten, kam in Fonds mit horrenden Gewinnspannen für die Anleger – ob die bestehenden Immobilienfirmen oder die radikal profitorientierten Industrieunternehmen nachhaltig überlebten, war nebensächlich und blieb, mit den Folgekosten, allein Sache der Staaten, also der Steuerzahler. Die Bänker wurden so Prototypen eines Menschenschlags, den Fromm als schwer krank betrachtet, weil er sich „zur Welt empfangend, ausbeutend, hamsternd oder hortend in Beziehung setzt“.
Doch die Politiker stellten es nicht weniger gierig an. In Griechenland, aber nicht nur dort, nutzten sie den gewaltigen neuen Spielraum durch niedrige Kreditzinsen seit der mit Bankenhilfe erschummelten Euro-Einführung nicht für Schuldenrückzahlung oder Investitionen in Schulen, Universitäten, Straßen, Häfen, sondern auch für die schlichte Verteilung von Geschenken an die tote Hand: Renten wurden fabulös erhöht und oft bereits ab fünfzig ausgezahlt, Hunderttausende Beamte ohne Tätigkeitsgrund eingestellt, natürlich nebenbei auch die Politiker und ihre Mitarbeiter generös entlohnt. Wer dies auf sein Wahlprogramm schrieb, wurde naturgemäß gewählt – und zog so die Bürger mit ins erpresserische Spiel herein.
Erich Fromm vermutete in Bezug auf diese Wählerbestechungsdemokratie schon vor mehr als dreißig Jahren, „dass die vom System hervorgebrachte Selbstsucht die Politiker veranlasst, ihren persönlichen Erfolg höher zu bewerten als ihre gesellschaftliche Verantwortung. Niemand empfindet es mehr als schockierend, wenn Staats- und Wirtschaftsführer Entscheidungen treffen, die ihnen zum persönlichen Vorteil zu gereichen scheinen, dabei aber schädlich und gefährlich für die Gemeinschaft sind.“
Luxus und Armut gleichermaßen ausrotten
Hier wird eine ganze Wirtschaftsmentalität als Krankheit diagnostiziert, nämlich eine komplett am Haben orientierte Ökonomie, die das kreative Sein vernachlässigt und bestraft. Als Mahner für vernünftiges Wirtschaften lehnt Fromm, der alles andere als ein Fanatiker war, die totale Verdammung des Privateigentums ab. Für ihn reicht es, wenn jeder seine Bedürfnisse ganz gut befriedigen kann, seine Chancen bekommt, seine Fähigkeiten gefördert werden – und dabei die Einkommensunterschiede nicht zu groß werden: „Worauf es ankommt, ist, dass Luxus und Armut gleichermaßen ausgerottet werden.“
Momentan erleben wir allerdings genau das Gegenteil: Aus der lebendigen Mitte des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens wird das Kapital von unten an den oberen Rand verteilt. Wir müssen uns gewöhnen an stumme, abgestumpfte Armut hier und erstickenden, lebensfeindlichen Reichtum dort. Fromm hielt diese Entwicklung für einen analen Trieb: Wer hortet, hamstert, sammelt, versucht seine Angst zu verdrängen, und tötet damit das eigentliche Leben ab.
Die Lebensform, die auf jeder Ebene dem toten Haben vor dem produktiven Sein den Vorzug gibt, ist jetzt aber schon an ihre Grenzen gestoßen, ohne dass sich substantiell etwas geändert hätte. Denn was nun gemäß den Gesetzen des Kapitals folgt, ist eine Schuldknechtschaft. Die Schuldner sind die heranwachsenden Generationen, die von dem Geldsegen früher nichts abbekamen und nun, bei niedrigen Geburtenzahlen, die horrenden Schuldenzinsen abarbeiten sollen. In Gestalt eines kollabierenden Staates ohne Infrastruktur, Sicherheit und Gesundheitswesen werden die ersten Summen bereits zurückgezahlt, denn der Staat braucht all seine Einnahmen für den Schuldendienst.
Von Dirk Schümer
Hier weiterlesen:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/gier-psychoanalytisch-betrachtet-erich-fromms-diagnosen-12869035.html
Gruß Hubert