Archiv für 1. März 2023

Querfront ja, aber bitte diskret!   Leave a comment

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Aus Spiegel.de – Auszug.

Bei der sogenannten Friedensdemonstration am Samstag in Berlin zeigten sich die Konturen dessen, was Sahra Wagenknecht in Wahrheit anstrebt: eine prorussische, antiamerikanische, national orientierte Sammlungsbewegung. Die AfD reagiert erfreut.

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Foto: Christian Mang / REUTERS

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Am Samstagnachmittag stand Sahra Wagenknecht auf einer Bühne in Berlin und forderte, obwohl doch Russland die Ukraine angegriffen, ihre Städte zerstört, Zehntausende Zivilistinnen und Zivilisten getötet, gefoltert, vergewaltigt hat, »Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten«.

Einen Tag zuvor, am Jahrestag des russischen Angriffs auf Kiew, hatte Russlands ehemaliger Präsident Dmitrij Medwedew die russischen Kompromissvorstellungen noch einmal ausformuliert 

: »Deshalb ist es so wichtig, dass die militärische Spezialoperation ihr Ziel erreicht. Um die Grenze der Gefahr für unser Land so weit wie möglich zurückzudrängen, selbst wenn das die Grenze Polens ist.« Noch einen Tag vorher, am russischen »Tag des Verteidigers des Vaterlandes« marschierten in einem Ort nahe Moskau Kinder in Uniform  auf, um sich der russischen »Jugendarmee« anzuschließen. Sie malen Bilder für Frontsoldaten, lernen marschieren und Kalaschnikows zu reinigen.

So viel zur Verhandlungsbereitschaft und dem Friedenswillen des russischen Regimes.

Solidarität mit Russland ist Wagenknecht immer wichtiger

In Wahrheit ist »Friedensdemonstration« für das, was da in Berlin stattfand, selbstverständlich der falsche Begriff. Richtig wäre »Unterwerfungsdemonstration«.

Die für ihr Engagement mit einer Vielzahl von Preisen ausgestattete ukrainische Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk hat es in einem Interview mit dem »Tagesspiegel«  einmal so auf den Punkt gebracht: »Frieden kommt nicht einfach, wenn ein angegriffenes Land nicht mehr kämpft. Das ist kein Frieden, sondern Besatzung.«

Wagenknecht sieht das selbstverständlich ganz anders und übt sich weiter in Täter-Opfer-Umkehr.

Der Westen wolle in Wahrheit »Russland ruinieren«, erklärte sie auf dem Berliner Podium. »Deutsche Panzer« sollten nicht auf die »Urenkel« der russischen Soldaten des Zweiten Weltkriegs schießen. Einmal mehr vergaß Wagenknecht zu erwähnen, wie viele Bewohnerinnen und Bewohner der Ukraine der deutschen Wehrmacht zum Opfer gefallen waren. Solidarität mit Russland ist Wagenknecht immer wichtiger als Solidarität mit den Angegriffenen.

Seltsamer Gleichklang zwischen Wagenknecht und Moskau

Das sahen auch manche Teilnehmer der Demonstration so. Vor Beginn der Veranstaltung riss ein Demonstrant Augenzeugen zufolge  die ukrainische Fahne von einem erbeuteten russischen Panzer , der seit Kurzem als Mahnmal vor der russischen Botschaft in Berlin steht. Danach hielt der »Friedensdemonstrant« eine ausgedruckte und laminierte Russlandfahne hoch.

SPIEGEL-Journalistin Ann-Katrin Müller sichtete  hochrangige AfD-Funktionäre, und außerdem »Verschwörungsideologien bis hin zu QAnon-Fans, Rechtsextreme ›Reichsbürger‹, Regierungshasser und rechtsoffene Altkommunisten und Friedensbewegte.«

Ob sie nun wollten oder nicht: Die Berliner »Friedensdemonstranten« machten sich zu nützlichen Idioten Moskaus – und zu nützlichen Idioten der Querfront-Sammlungsbewegung, die Wagenknecht offenkundig gerne anführen möchte. Es ist nicht ihr erster Versuch.

Wagenknecht behauptete auf der Bühne einmal mehr, in der Ukraine würden Nazis verehrt. Dmitrij Medwedew hatte tags zuvor erklärt, man müsse die Ukraine unterwerfen, »um den Neonazismus völlig zu vernichten«.

Es gibt oft einen sehr ausgeprägten Gleichklang zwischen dem, was Wagenknecht sagt und dem, was Russlands Regime sagt. Noch so ein Gleichklang: Wie Putin und seine Helfershelfer warnten auch die Redner von der Bühne ein ums andere Mal, wenn sich die Ukraine nicht unterwerfe, drohe ein Atomkrieg.

Unterstützung von rechts, gern, aber bitte diskret

Ein paar Tage vor der Kundgebung ließ Wagenknecht sich vom ehemaligen Online-Redaktionsleiter des russischen Propagandasenders RT Deutsch interviewen. Der bemitleidete sie ausgiebig: Sie und Alice Schwarzer seien ja »Häme und geradezu Hass« ausgesetzt. In dem Interview sagte Wagenknecht nahezu wortgleich dasselbe wie am Samstag: Es sei »natürlich auf unserer Kundgebung jeder willkommen, der ehrlichen Herzens für Frieden und gegen Waffenlieferungen demonstrieren möchte«. Nur »rechtsextreme Flaggen, Embleme und Symbole« wolle man lieber nicht sehen.

Im Klartext: rechtsextreme Unterstützer gern, aber bitte nicht ganz so offensichtlich. Querfront ja, aber bitte diskret!

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Am Rande der Demonstration stritt sich  der Chefredakteur des rechtsextremen Magazins »Compact«, Jürgen Elsässer, mit Sevim Dağdelen von der Linken, die ihn wegschicken wollte. Elsässer beklagte, Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine habe doch sogar gesagt, AfD-Politiker seien willkommen.

Die zweigleisige Kommunikation funktioniert noch nicht ganz reibungsfrei, aber die Richtung ist völlig klar. Schwarzer übersieht das womöglich aus Naivität, bei Wagenknecht ist es Strategie.

Diskret eingeladen, diskret mitzumachen

Auf der Bühne beklagte Wagenknecht dann demonstrativ, man habe »versucht, uns in die Nähe der extremen Rechten zu rücken«. Das zeige, wie »krank«, die Diskussion in Deutschland derzeit sei.

Die extremen Rechten ihrerseits aber suchten demonstrativ die Nähe zu Wagenknecht und Schwarzer. Am Tag vor der Kundgebung hatte zum Beispiel Björn Höcke bei einer AfD-Kundgebung vom Podium herunter erklärt, Sahra Wagenknecht vertrete beim Thema »Friedenspolitik« schon »die richtige Position«: »Deshalb, liebe Frau Wagenknecht, schlage ich Ihnen einen zweiten Schritt vor. Ich bitte Sie: Kommen Sie zu uns!«

Ein Vertreter der Coronaleugner-Szene aus Süddeutschland freute sich, ebenfalls auf Telegram: »Wagenknecht steht inzwischen fest zum lagerübergreifenden Ansatz, und es ist nicht mehr in Sicht, dass sie ihn aufgibt.«

Kolumne von Christian Stöcker

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Querfront ja, aber bitte diskret!