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Ein interessantes Interview der ZEIT mit Intendanten Claus Peymann, finde ich jedenfalls.
Claus Peymann : „Mir fehlen die Worte“
Flüchtlinge, deutsche Barmherzigkeit, Endzeitgefühle – ein Jahresschlussgespräch mit dem Intendanten Claus Peymann, der überrascht ist von seiner eigenen Ratlosigkeit.
Interview: Peter Kümmel
31. Dezember 2015,
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DIE ZEIT: Hat die Kanzlerin Sie dieses Jahr überrascht?
Claus Peymann: Sie hat einen geradezu spektakulären Sprung hin zum Friedensnobelpreis gemacht. Das war ein Aufbruch, mit dem bei ihr nicht zu rechnen war. Dass ihr Handeln allerdings im Zusammenhang steht mit dem rings um Deutschland stattfindenden neonationalistischen Geschehen, liegt auf der Hand.
(Anmerkung: das mit Friedensnobelpreis-Vorschlag für die Kanzlerin finde ich allerdings gar nicht toll)
ZEIT: Sie meinen den Rechtsruck in Europa, namentlich in dessen Osten?
Peymann: Ich will nicht in die Kiste mit den großen Keulen greifen, aber im ehemaligen Ostblock werden die Rechten enorm stark. Die ungarische Regierung erinnert doch verdammt an eine Bande von Nazis, wenn ich nur mal die Personalpolitik an den großen ungarischen Theatern betrachte. Da ist eine regelrechte Gleichschaltung im Gang.
ZEIT: Wie erleben Sie Deutschland?
Peymann: Es ist ein seltsames Wunder und grenzt ans Unglaubliche, was mit diesem Land geschah. Wo dieser von Angela Merkel vorgeträumte Traum endet? Womöglich hat sie ihren eigenen Untergang inszeniert. Womöglich hat ihr Handeln ein Driften in den Rechtsnationalismus stimuliert. Ich kann das gar nicht so genau abschätzen.
ZEIT: Im Ausland wird dieses „neue“ Deutschland mit Skepsis wahrgenommen. Man glaubt uns unsere Güte nicht.
Peymann: Wir sind ja nicht so beliebt, wir Deutsche, vor allem in Europa nicht; an vielem, was damit zu tun hat, sind wir selbst schuld, und manches ist auch Neid. Was mich selbst betrifft: Ich renne immer noch als mittlerweile 78-jähriges merkwürdiges Monstrum durch die Gegend, immer versuchend, meine früheren Positionen nicht zu verraten.
Aber ich muss sagen: Mir fehlen die Worte, was dieses Jahr 2015 betrifft. Es war wirklich ein ganz besonderes Jahr. Allein dass wir wieder ganz selbstverständlich das Wort „Krieg“ über die Lippen bringen, hätte ich bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten: dass in dieses sonnige Deutschland die Fackel des Krieges geworfen werden würde! Aber mein spezieller Freund Oskar Lafontaine sagt immer: Wir haben jahrhundertelang die Welt mit dem Schwert, mit der Klinge christianisiert – und das betreibt jetzt der IS! Die Probleme lassen sich vielleicht gar nicht mehr lösen, es ist vielleicht wirklich zu spät – denn die Fehler liegen Jahrhunderte zurück.
ZEIT: Sie waren am Tag der Anschläge, dem 13. November, selbst in Paris.
Peymann: Ich war mit drei Kollegen vom Berliner Ensemble in Paris auf einer Dienstreise. Wir verhandelten mit dem Intendanten des Théâtre Gérard Philipe, Jean Bellorini. Sein Theater liegt in Saint-Denis, in unmittelbarer Nähe eines Anschlagsortes. Und Saint-Denis, man muss es so sagen, ist ja eine Stadt wie Bagdad – laut, brodelnd –, und es rennen dort die Salafisten durch die Gegend. Unmittelbar neben dem Haus, in dem sich die Drahtzieher des Anschlags verbarrikadiert hatten und das dann gestürmt wurde, hatten wir Kaffee getrunken. Man war im Herzen des Schreckens. Was wir unmittelbar erlebten, war ein Anschlag auf die Freiheit.
ZEIT: Sie wirken so, als seien Sie überrascht von Ihrer eigenen Ratlosigkeit.
Peymann: Da ist was dran. Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein Jahr noch einmal so überraschen würde. Ich bin total überfordert von der Situation; die Muster, nach denen ich die Dinge bisher deuten konnte, greifen nicht mehr.
Wenn ich in Wien zur Probebühne gehe, komme ich an der französischen Botschaft vorbei. Davor stehen die bis an die Zähne bewaffneten Polizisten. Das ist ein anderes Europa, eine andere Zeit. Ich sehe Risse – in praktisch allem! Und dass die Deutschen nun gehasst werden, weil sie etwas Gutes tun, während sie früher gehasst wurden, weil sie Fürchterliches taten – das ist eine Ironie der Geschichte. Dass plötzlich so eine Kälte durch die Welt geht, ist schwer zu ertragen. Umso rührender das offene Herz Angela Merkels.
(Und wieder eine Anmerkung: rührend finde ich Merkel überhaupt nicht. Man wird erst in einigen Jahren erkennen können, welche Probleme die offenen, weiten Arme mit sich gebracht haben. Es ist leicht zu sagen “Wir schaffen das”, wenn man nicht direkt an der “Front” ist).
ZEIT: Schätzen Sie die Kanzlerin?
Peymann: Ich schätze sie als Freundin des BE. Sie kommt regelmäßig in unsere Vorstellungen, aber ich kenne sie nur flüchtig, und ich möchte mir nicht die Illusion zerstören lassen, die aufklärerischen Positionen des BE hätten sie verändert (lacht).
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Claus Peymann : „Mir fehlen die Worte“
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Gruß Hubert