Mit Wut und mit Würde   2 comments

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Nach dem Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny in einem russischen Straflager will seine Frau Julija den politischen Kampf gegen das Putin-Regime fortführen. Wer ist die Frau, die so entschlossen auftritt?

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Julija Nawalnaja, Ehefrau von Alexej Nawalny, nachdem sie bei der Sicherheitskonferenz in München vom Tod ihres Mannes erfahren hat.

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Trauer kann Menschen für lange Zeit lähmen. Doch sie kann auch eine ungeahnte Energie entfesseln. Sie kann einen eisernen Willen nähren, eine unbedingte Entschlossenheit, das zu tun, was man für geboten hält im Sinne des Verstorbenen. Seinen politischen Kampf fortzusetzen zum Beispiel.

Julija Nawalnaja scheint diese Energie zu besitzen. Die Frau des Mannes, den das Putin-Regime bedrängt, verfolgt, inhaftiert und dem es am Ende das Leben genommen hat, scheint an seiner Stelle die Führung der russischen Opposition übernehmen zu wollen. Unter denkbar schwierigen Bedingungen – außerhalb Russlands und angewiesen auf die Unterstützung zerstrittener Oppositionslager.

Nach dieser Rolle gestrebt hat Julija Nawalnaja nicht. 1976 in Moskau geboren, stammt sie aus einer Mittelklassefamilie. Erst mit ihrer Heirat scheint ihr politisches Interesse erwacht zu sein. Damals trat sie in eine sozialliberale Partei ein. Doch blieb sie all die Jahre im Hintergrund, erzog die beiden Kinder, während ihr Mann ab 2007 als Blogger und Demokratie-Aktivist schnell bekannt wurde – und die Drangsalierungen begannen.

Nach der Todesnachricht postete Nawalnaja noch einmal ein Bild aus einer anderen Zeit: Ihr Mann und sie sind da im Halbdunkel zu sehen, einander innig zugewandt, in trubeliger Umgebung. „Ich liebe Dich“ schrieb sie dazu. Sie waren einmal ein gewöhnliches Paar, kennengelernt im Türkeiurlaub, er Anwalt, sie Wirtschaftswissenschaftlerin mit Bankjob, bekamen zwei Kinder. Doch spätestens als Nawalny Opfer eines Giftanschlags wurde und auf dem Flug über Sibirien ins Koma fiel, bewies sie ihre Stärke. Nawalnaja setzte unter höchstem Zeitdruck in aussichtsloser Lage durch, dass ihr Mann nach Deutschland ausgeflogen und an der Berliner Charité behandelt wurde. Als Nawalny nach Wochen erwachte, war sein erster Kommentar, dass er Julija sein Leben verdanke. Damals verbarg sie die Verzweiflung hinter einer Sonnenbrille. Doch sie klagte die Verantwortlichen namentlich an. Ohne Angst zu verraten. Mit Härte und mit Würde.

Die zeigte sich auch jetzt nur Stunden nach der offiziellen Todesnachricht aus Russland. Nawalnaja sprach bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu den dort versammelten Vertretern der westlichen Welt, weil sie die Bühne für die Sache ihres Mannes nutzen wollte. Weil er es getan hätte, sagte sie. Infam, der erschütterten Frau, die da vor der Öffentlichkeit Fassung bewahrte und begründete, warum sie nicht als erstes zu ihren Kinder geeilt war, eine „Inszenierung“ zu unterstellen, wie es AfD-Chef Tino Chrupalla getan hat. Elon Musks Plattform X ließ ihre neue Seite erst sperren, gab sie halbherzig wieder frei. Die Freunde Russlands scheinen zu spüren, dass diese Frau noch an Bedeutung gewinnen könnte. Dass sie eben keine gebrochene Witwe ist, sondern eine kämpferische Frau, die nicht vergessen wird. Und ihren Schmerz verwandelt.

Ohnmachtserfahrungen gegenüber einem totalitären Regime können Menschen einschüchtern, brechen – oder radikaler machen. Julija Nawalnaja ging mit zurück nach Russland, als ihr Mann sich dazu entschied. Auch sie wusste, was das bedeutete. Nun scheint sie ihre Wut zu kanalisieren in die Fortsetzung des politischen Kampfes, den ihr Mann begonnen hat. Auch Tage nach dem Tod Alexej Nawalnys in einem Straflager nördlich des Polarkreises hält das russische Regime den Leichnam weiter zurück, lässt die Klagen von Nawalnys Mutter ins Leere laufen, will, dass es bei vagen Formulierungen zu den Todesursachen bleibt und offiziell nicht von einem politischen Mord die Rede sein kann.

Nawalnaja hat begonnen, ihre eigene Öffentlichkeit zu schaffen. Hat ein erstes Video veröffentlicht, produziert vom Team ihres Mannes, das seit Jahren Investigativ-Beiträge über Korruption und Prunksucht russischer Eliten erstellt. In dem Video hat Nawalnaja wieder klare Worte gefunden, hat Kremlchef Putin des Mordes an ihrem Mann beschuldigt. Und sie hat über Russland geredet, über die Menschen dort, die Besseres verdient hätten, als von Putins Leuten ausgebeutet und ihrer bürgerlichen Freiheiten beraubt zu werden.

Immer wieder werden in dem Video Ausschnitte eingeblendet, in denen der verstorbene Nawalny zu sehen ist als kämpferischer Redner, als Gefangener, der nie seinen Humor verlor, als Privatmensch, der sich in ein glückliches Familienleben hätte zurückziehen können – und es nicht tat. Aus Liebe zu Russland, sagt seine Frau. Aus Liebe zu den Menschen, die guten Willens sind und nun mutig sein und für eine bessere Zukunft ihres Landes aufstehen sollten. Julija Nawalnaja spricht persönlich bewegt, doch zugleich kühl, diszipliniert, stolz. „Ich habe kein Recht aufzugeben“, sagt sie im Video und dass sie ihre Kraft aus der Stärke ihres Mannes ziehe. Und dass seine Liebe allen Menschen in Russland gegolten habe.

Der Appell, den Julija Nawalnaja da von außen an ihre Landsleute im Inneren eines despotischen Staates richtet, ist der tapfere Versuch, einen Moment zu nutzen. Nach dem Tod Nawalnys sehen viele Experten die Opposition in Russland völlig am Boden. Viele Trauerbekundungen wurden von den russischen Sicherheitskräften rigoros unterdrückt, Menschen, die sich trotzdem auf die Straße wagten, festgenommen. Doch Nawalnys Witwe will, dass das Regime nicht das letzte Wort hat. Sie verspricht Aufklärung. Nawalnys Team will die Umstände des Todes im Straflager aufdecken, die Namen der Mörder nennen, ihre Gesichter zeigen.

Der Tod des Kremlkritikers könnte für Putin also gefährlicher werden als Nawalnys Botschaften aus der Gefangenschaft, wenn es dessen Frau gelingt, eine neue Oppositionsbewegung zu formen. Und wenn Russlands Feldzug gegen die Ukraine Putin nicht weiter stützt.

Für den Fall seiner Ermordung hatte Nawalnay in einer CNN-Doku eine Nachricht für seine Landsleute hinterlassen. Alles, was das Böse für seinen Sieg brauche, sei die Untätigkeit guter Menschen, sagte er da. „Untätigkeit können wir uns nicht erlauben.“ Das neue Video seiner Witwe schließt mit dieser Botschaft. Und dem Lächeln, das Nawalny hinterherschickte.

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Mit Wut und mit Würde

 

2 Antworten zu “Mit Wut und mit Würde

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  1. Nawalny-Anwältin: „Er wurde misshandelt und musste hungern“
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    Die russische Anwältin Olga Michailowa gehörte 16 Jahre lang zum Team des Kremlkritikers. Seit Herbst vergangenen Jahres lebt sie im Exil in Frankreich. Über ihren prominenten Klienten sagte sie, dass er die Geschichte Russlands auch über seinen Tod hinweg beeinflussen werde.

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    https://web.de/magazine/politik/nawalny-anwaeltin-misshandelt-hungern-39351418

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  2. @BerberDoris – X (Twitter)

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    Die Schlussfolgerung von Frau Strack-Zimmermann, das Sie Putin einen Angriff auf Deutschland zutraue ist absolut realistisch. Putin und seine Mafia Verbrecher und vor allem die Pro Putin Accounts in X , sind immer dann am aktivsten und aggresivsten, wenn ein Politiker im Westen deutlich wird. Frau Maria Strack Zimmermann hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Mit Unsachlichkeit und dem Versuch zu manipulieren, Polemik, Diffamierung, Falschbehauptungen, Whataboutism…. Das heutige Trollaufkommen ist ein Zeichen, dass Putin und seiner Trollfabrik die Äusserungen von ihr und anderen Menschen missfällt Man will Stimmung in Deutschland und der EU gegen die Ukraine machen. Und genau deshalb, muss Politikern wie Frau Strack Zimmermann die volle Unterstützung gelten.

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    https://twitter.com/BerberDoris/status/1761004789997924454

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