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In Memory of Karlheinz Deschner (Teil5)   Leave a comment

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Einen großen Dank an den Lektor Gieselbusch, dass er das grandiose Werk Deschners über die „Kriminalgeschichte des Christentums“ mit seinen nahezu 6000 Seiten, hartnäckig beim Rowohlt Verlag durchgesetzt hat. Das Werk wird die Zeit überdauern.

Rebloggt von Tierfreund und Religionskritiker Wolfgang –  wolodja51.wordpress.com

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Bild von wolodja51.wordpress.com

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Michael Schmidt-Salomon über die „Kriminalgeschichte des Christentums“ von Karlheinz Deschner

«Ich möchte das Werk zu einer der größten Anklagen machen, die je ein Mensch gegen die Geschichte des Menschen erhoben hat.» Mit diesen Worten endete das Exposé zur Kriminalgeschichte des Christentums, das Karlheinz Deschner dem Rowohlt Verlag im Frühjahr 1970 übersandte. Heute, 43 Jahre später, ist es vollbracht – und der Autor hat nicht zu viel versprochen:

Tatsächlich ist die Kriminalgeschichte des Christentums eine der größten Anklageschriften, die jemals verfasst wurden. In 10 Bänden mit nahezu 6000 Seiten und mehr als 100.000 Quellenbelegen hat Deschner eine Generalabrechnung mit der «Religion der Nächstenliebe» vorgelegt, die in der Weltliteratur ihresgleichen sucht.

Völlig zu Recht gilt das Werk als Meilenstein der modernen Religionskritik, ja: der kritischen Geschichtsschreibung schlechthin. Das liegt nicht nur an der Fülle der Inhalte, die Deschner entgegen allen Denktabus zur Sprache bringt, sondern auch an der Brillanz der Darstellung: Bei Deschner treffen die besten Elemente von Wissenschaft, Philosophie und Kunst aufeinander, vereinigen sich kritische Rationalität, humanistisches Ethos, künstlerische Sensitivität und ästhetische Gestaltungskraft zu einer einzigartigen Synthese. Da ist kein Wort zu viel, keines zu wenig, ein fulminanter Spannungsbogen zieht sich durch das gesamte Werk, vom furiosen Auftakt des ersten Bandes bis zum Schlusswort des letzten.

Die Kriminalgeschichte des Christentums erscheint uns heute in ihrem monumentalen Aufbau so stringent und urwüchsig wie eine gotische Kathedrale oder eine Bruckner-Sinfonie, weshalb es kaum vorstellbar ist, dass sie ursprünglich nur einen einzigen schmalen Band umfassen sollte. Tatsächlich stand in dem Vertrag, den Rowohlt 1970 mit Deschner abschloss, dass der Autor bis Ende 1972 ein höchstens 350-seitiges Manuskript vorlegen sollte. Im Zuge der Ausarbeitung nahm das Projekt jedoch immer größere Dimensionen an. Aus dem einen Band wurden bald zwei Bände («Von Konstantin dem Großen bis zum Hochmittelalter» und «Vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart»), kurz darauf drei («Von den Anfängen bis zu Karl dem Großen», «Von Kaiser Karl bis Martin Luther» und «Von Luther bis heute»), Ende der 1970er Jahre – noch immer war keine einzige Zeile der Kriminalgeschichte erschienen! – stellte der Autor eine 6-bändige Ausgabe in Aussicht (ein Band Antike, zwei Bände Mittelalter, drei Bände Neuzeit).

Es ist nicht zuletzt dem Engagement von Hermann Gieselbusch, Deschners langjährigem Lektor bei Rowohlt, zu verdanken, dass der Verlag das Projekt nicht vorzeitig zu den Akten legte. Man kann sich leicht vorstellen, wie groß der Druck gewesen sein muss, der auf Gieselbusch lastete, zumal Deschner zwischen dem Abschluss des Vertrags bei Rowohlt und dem Erscheinen des ersten Bandes der Kriminalgeschichte zwölf (!) weitere Bücher (u. a. «Das Kreuz mit der Kirche» und «Ein Jahrhundert Heilsgeschichte») bei fremden (!) Verlagen veröffentlichte, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Wahrscheinlich glaubte bei Rowohlt Anfang der 1980er Jahre kaum noch jemand an Deschners Opus magnum, doch Gieselbusch, von Autor und Werk begeistert, gab nicht auf. Ein- bis zweimal im Jahr besuchte er Deschner in Haßfurt, um das Projekt mit ihm zu besprechen.

Diese Hartnäckigkeit zahlte sich aus: Im September 1986, 16 Jahre nach Vertragsabschluss, kam der erste Band der Kriminalgeschichte des Christentums auf den Markt. Und augenblicklich stand Deschner wieder im Fokus der Öffentlichkeit, wie schon nach der Publikation seiner literarischen Streitschrift «Kitsch, Konvention und Kunst» (1957) oder der ersten großen Christentumskritik «Abermals krähte der Hahn» (1962). Unzählige Einladungen zu Lesungen, Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Rundfunk- und Fernsehsendungen folgten. Glücklicherweise hatte er so viel vorgearbeitet, dass die Bände 2 (1988) und 3 (1990) trotz der zusätzlichen Belastung rasch aufeinander folgen konnten.

Hätte er diesen Zweijahresrhythmus eingehalten, wäre Band 10 bereits 2004, zu seinem 80. Geburtstag, herausgekommen. Doch nun forderten die vielfältigen Verpflichtungen ihren Tribut, weshalb Band 4 erst 1994, vier Jahre nach Band 3, erschien. Hermann Gieselbusch und Herbert Steffen, der Deschners Werk nach dem Tod des Mäzens Alfred Schwarz unterstützte, waren alarmiert: Bei gleichbleibender Frequenz würde Band 10 erst 2018 erscheinen – zum 94. Geburtstag Deschners! Die Zweifel wuchsen, ob er angesichts seines fortgeschrittenen Alters die Mammutaufgabe einer Vollendung der Kriminalgeschichte überhaupt noch bewältigen konnte.

Doch der Autor widerlegte alle Zweifel: In rascher Folge erschienen die Bände 5(1997), 6 (1999), 7 (2002) und 8 (2004). Nach seinem 80. Geburtstag musste Deschner jedoch immer häufiger Pausen einlegen. Und so dauerte es vier Jahre bis zur Veröffentlichung des neunten Bandes (2008), weitere fünf Jahre bis zum Erscheinen des zehnten (2013).

Auch wenn seine Leserinnen und Leser es nicht merken werden, für den Autor war die Arbeit an diesem letzten Band streckenweise eine Tortur. Umso glücklicher dürfen wir uns schätzen, dass nun, 40 Jahre nach dem ursprünglichen Veröffentlichungstermin, die Kriminalgeschichte des Christentums vollständig vorliegt. Dass die Darstellung nur bis zur Französischen Revolution reicht, ist nicht dramatisch. Schließt doch das große Werk über die neuere Politik der Päpste (1982/83; 1991) – gleichsam der 11. Band der Kriminalgeschichte (Wiederveröffentlichung 2013 im Alibri Verlag) – nahtlos an die Thematik des 10. Bandes an.

Der lange Atem, den Deschner, sein Lektor Gieselbusch, der Rowohlt Verlag sowie die vielen Unterstützer des Autors in den letzten Jahrzehnten bewiesen haben, hat sich gelohnt: Denn im Unterschied zu den Nullbotschaften, die Jahr für Jahr den Büchermarkt überschwemmen, wird Deschners Werk Bestand haben – nicht nur, weil die Themen, die dieser leidenschaftliche Aufklärer behandelte, aktuell bleiben werden, sondern vor allem, weil Schriftsteller seines Formats seltene Ausnahmeerscheinungen sind in dem Meer der Mittelmäßigkeit, das uns umgibt.

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In Memory of Karlheinz Deschner (Teil5)

Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen   Leave a comment

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Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen

Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen
Daraus entnehme ich: ihr seid Millionäre.
Eure Zukunft ist gesichert – sie liegt
Vor euch im Licht. Eure Eltern
Haben dafür gesorgt, daß eure Füße
An keinen Stein stoßen. Da mußt du
Nichts lernen. So wie du bist
Kannst du bleiben.

Sollte es dann noch Schwierigkeiten geben,
Da doch die Zeiten
Wie ich gehört habe, unsicher sind
Hast du deine Führer, die dir genau sagen
Was du zu machen hast, damit es euch gut geht
Sie haben nachgelesen bei denen
Welche die Wahrheiten wissen
Die für alle Zeiten Gültigkeit haben
Und die Rezepte, die immer helfen.
Wo so viele für dich sind
Brauchst du keinen Finger zu rühren.
Freilich, wenn es anders wäre
Müßtest du lernen.

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Bertolt Brecht

Veröffentlicht 2. September 2021 von hubert wenzl in Literatur, Lyrik

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Er ließ sich nie von Autoritäten täuschen   Leave a comment

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Karlheinz Deschner war nicht nur einer der bedeutendsten Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts, er war auch ein hervorragender Literaturkritiker.

 

Eine Laudatio auf Karlheinz Deschner von Karl Corino.

Auszug.

Karl Corino hielt diese Laudatio anlässlich der Verleihung des Wolfram-
von-Eschenbach-Preises des Bezirks Mittelfranken an Karlheinz Desch-
ner 2004. Der Text wurde für dieses Heft leicht gekürzt.
«… man müßte schreiben, ohne eine Sekunde nachzudenken,
man müßte drauflosschreiben wie eine Maschine, so schnell
und ohne alle Hemmungen, man müßte alles herausschleu-
dern wie ein Vulkan oder wie man sich erbricht oder was
weiß ich, sobald man denkt, ist es schon vorbei, das ist meine
Erfahrung». So steht es in Karlheinz Deschners erstem Ro-
man «Die Nacht steht um mein Haus», mit dem er 1956, mit
32 Jahren, die literarische Szene betrat.
Es war ein Debüt, das im wahren Wortsinn Furore machte und
die Öffentlichkeit, wie später so oft, in zwei Lager spaltete.
«Deschners Prosa vom Leben und Leiden
des einzelnen an der allgemeinen Unmenschlichkeit der Epo-
che hat an ihren besten Stellen die Durchschlagskraft eines
Geschosses.

Als Erstlingsbuch: eine großartige Begabungs-
leistung!», schrieb Karl Krolow damals, und Leslie Meier
alias Peter Rühmkorf: «Ein Buch mit wunderbaren Natur-
schilderungen und wunderbaren Herausforderungen, lyrisch
und provokant, anstößig und stimmungsgeladen, vor allem
aber: von der Form her interessant» – ein Lob, das dem von
Wolfgang Koeppen, Hermann Kesten, Hanns Henny Jahnn,
Hans Erich Nossack, Ernst Kreuder oder Albert Vigoleis
Thelen glich, während andere von einem
«einzigen Zeugnis von Kraftlosigkeit»
sprachen oder von einer «Roßkur».

Wenn man heute, aus einer Entfernung von fast 50 Jahren, auf dieses Buch zurückblickt, so muss man sagen, es gehört zu den wichtigen Leistungen je-
ner Generation, die im III. Reich aufwuchs und dann in den
II. Weltkrieg geworfen wurde. Der Generation der Überle-
benden und der Heimkehrer, wie sie auch Arno Schmidt in
seinen frühen Büchern porträtierte, nicht zuletzt in «Brand’s
Haide». (…)
Kein Zweifel, das knappe Dutzend von Essays Deschners
über «Franken, die Landschaft [s]eines Lebens», die unter
dem Titel «Dornröschenträume und Stallgeruch» in mehreren
Auflagen erschienen, sind Filiationen jener frühen Prosa, und
es ist nicht verwunderlich, dass das Verhältnis zur Natur und
die Fähigkeit, sie Wortmagie werden zu lassen, für Desch-
ner immer ein eminent wichtiges Kriterium war für poe-
tisches Genie.
Es ist kein Zweifel, dass meine Generation, die im II. Welt-
krieg, oder kurz davor, bald danach zur Welt kam, von Desch-
ner geprägt wurde. Das gilt nicht zuletzt für die literarische
Urteilsfähigkeit. 1957 erschien Deschners literarische Streit-
schrift «Kitsch, Konvention und Kunst», ein Büchlein von
ca. 170 Seiten, das bei vielen Schülern und Studenten Epoche
machte.

Es stürzte die Götter vieler unserer Deutschlehrer – Bergengruen,
Carossa, Hesse – und holte die Autoren Broch,
Jahnn, Musil, Trakl heim aus dem Exil und entriss sie der
Vergessenheit. Deschner ließ sich nie von Autoritäten und
Zelebritäten täuschen. Mochte Hermann Hesse auch seinen
Nobelpreis haben – Deschner zeigte, wie epigonal dessen
Prosa und seine Lyrik seien – und umgekehrt, wie originell
und modern die «Schlafwandler», der «Fluß ohne Ufer», die
Entwürfe zum «Mann ohne Eigenschaften». Ich persönlich
muss gestehen, dass ich in Deschners Streitschrift die ersten
Zeilen von Musil las, aus «Grigia» z. B., und dass diese Be-
gegnung mein weiteres Leben bestimmte. Ich habe mich vier-
zig Jahre lang mit Musil beschäftigt, und dass es nun eine
2000 Seiten umfassende Biographie dieses Autors gibt, geht
auf meine Initiation durch Deschner zurück.
Deschner ist als Literaturkritiker eine Potenz, und er hät-
te das Zeug gehabt, der führende Mann Deutschlands auf
diesem Gebiet zu werden, wenn sich seine Interessen später
– und mit weitreichenden Folgen – nicht verlagert hätten.
Man muss nur wieder einmal in seinem Band «Talente,
Dichter, Dilettanten» aus dem Jahre 1964 blättern, um mit Genuss
zu sehen, wie er die Schein-Blüten der Gruppe 47 entblätterte. (…)
Und nicht minder brillant ist Deschners Analyse von Wal-
ter Jens’ Buch «Deutsche Literatur der Gegenwart» aus dem
Jahr 1968. (…) Man kann nur bedauern, dass Deschner sich
nicht weitere Geistesheroen aus Jensens Umkreis zur Brust
genommen hat.

Einige Pressestimmen.

«Eine der eigenartigsten und
originellsten Persönlichkeiten
der deutschen literarischen
Welt.» La Stampa, Turin

«Einer der großen
deutschen autoren seit
1900, der paar, denen
Dank gebührt und die,
so bekannt sie auch
werden, viel zuwenig
gehör finden.» Kurt
Hiller, Hamburg

«… unerhört suggestiv und
mitreißend: panhafte sprachmusik
…» Günter Haas, Frankfurter Rundschau

«Nur mit den Deschners ist eine
große deutsche literaturtradition
zu regenerieren, die Kunst des
homerischen streits: das beste
Wort für die notwendige attacke.»
Ludwig Marcuse, Die Zeit, Hamburg

 

 

Und nicht minder brillant ist Deschners Analyse von Wal-
ter Jens’ Buch «Deutsche Literatur der Gegenwart» aus dem
Jahr 1968. (…) Man kann nur bedauern, dass Deschner sich
nicht weitere Geistesheroen aus Jensens Umkreis zur Brust
genommen hat.
Es lag, wie schon angedeutet, daran, dass sich Desch-
ners Interessen verlagerten. Von der Literatur weg zur Reli-
gionsphilosophie und zur Kirchengeschichte.
Zwar schrieb er nach seinem Roman-Erstling noch ein
zweites erzählendes Buch, «Florenz ohne Sonne», das ich
ebenfalls gerne lese, und ein drittes, das er aber nicht mehr
veröffentlichte, die Jahre zwischen 1958 und 1962 widmete
er indes einem 700-Seiten-Wälzer unter dem Titel «Abermals
krähte der Hahn», einer Historie des Christentums von den
Anfängen bis zu Pius XII.

Es gab manche Vorausdeutungen in Deschners erstem Ro-
man, die den Schwenk seines Denkens ahnen ließen: «Na-
türlich gibt es den Glauben, ruft nur, ruft nur, daß es den
Glauben gibt, aber der Glaube ist
auch nur eine Vermutung, eine Vermutung, die man sich suggerieren
kann, aus Schwäche, aus Verzweiflung, aus Dummheit, aus ‹ Demut ›,
aus ‹ Ehrfurcht ›, aus ‹ Kraft ›, aber
auch der Glaube ist nur eine Vermutung unter den anderen
Vermutungen, und selbst wenn ihr von eurem Glauben über-
zeugt seid, blindlings davon überzeugt seid, er bleibt eine
Vermutung, und niemand weiß, ob dieser Vermutung etwas
entspricht», so lesen wir. Es scheint, als habe Deschner gegen
Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre diesen Vermutungen
auf den Grund gehen wollen. Er mutete sich eine unglaublich
anmutende wissenschaftliche Lektüre zu, die, wenn ich richtig
gezählt habe, seinerzeit schon ca. 1000 Titel umfasste. Er
dürfte alles verarbeitet haben, was die Entstehung und die
Geschichte des Christentums angeht. Die Bilanz war, was
die Nachfolge Christi angeht, niederschmetternd, und ich
kenne Kommilitonen, die nach der Lektüre von Deschners
frühem Opus magnum das Studium der Theologie auf-
gaben.

Mit leidenschaftlicher Exaktheit demonstrierte
Deschner, wie die Lehren der Bergpredigt, ihr zum
Teil revolutionärer, mit dem Alten Testament brechender
Ansatz mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion
durch Kaiser Konstantin in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Wie die
Gebote der Nächsten- und der Feindesliebe, die den Christen ein
paar Jahrhunderte lang den Militärdienst verboten, umgebo-
gen und staatsdienlich, kriegstauglich gemacht wurden. Aus
Wehrdienstverweigerern und Märtyrern unter den früheren
römischen Kaisern wurden nun Waffenträger und Feldpre-
diger, die die Schwerter und Lanzen segneten. Er zeigte, wie
die urchristliche Gütergemeinschaft einem urwüchsig-dauer-
haften Besitzdenken wich, wie sich die kirchliche Hierarchie
unter dem römischen Episkopat verfestigte, wie konkurrie-
rende christliche Glaubensrichtungen bekämpft, verleumdet,
notfalls auf Konzilien mit Stöcken niedergeschlagen wurden
und wie das Papsttum mit allen Mitteln machiavellistischer
Politik, lang vor Machiavelli, zu Großgrundbesitz, Größt-
grundbesitz und zur weltlichen Großmacht aufstieg, gegebe-
nenfalls anhand massiver Fälschungen: man denke nur an
die sogenannte Konstantinische Schenkung, der wir den Kir-
chenstaat verdanken.
Immer wieder stieß Deschner auf die peinigenden Wider-
sprüche zwischen den Geboten Christi, soweit wir sie rekon-
struieren können, und der Praxis der Kirche und ihrer Die-
ner, und die Zahl der himmelschreienden Untaten, auf die
man beim Gang durch die Jahrhunderte stößt,
ist wahrhaft Legion.
Man denke nur an die Kreuzzüge, an die Vernichtung der Katharer,
Albigenser und Waldenser (von denen ich vermutlich abstamme),
an die Bauernkriege, an die Hexenverfolgungen, von denen man
auch in der Markgrafschaft Ansbach und in den fränkischen Bistümern
von Bamberg über Würzburg bis Eichstätt ein langes, blutiges und im wahren
Wortsinne feuriges Lied singen müsste, und man stellt mit
Deschner fest, dass sich Katholizismus und Protestantismus
bei aller Feindschaft, der wir ja den Dreißigjährigen Krieg
verdanken, mitunter in ihrer Menschenfeindlichkeit und
Grausamkeit, auch in ihrem Antisemitismus verdammt we-
nig unterschieden.
Es gab die fatalsten Brückenschläge – was etwa Luther
hetzend über die Juden schrieb, das konnte 400 Jahre später
gut der «Stürmer» brauchen –, und es gab die verrücktesten
Allianzen und Spaltungen.
Man braucht nur an die anfeuernde Rolle der Kirchen
in den zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts zu denken,
als Christen gegen Christen kämpften und die Kirchen al-
len Kriegsparteien versicherten «Gott mit uns», «Gott mit
euch», anstatt jeden zu exkommunizieren, der die diploma-
tischen Feindseligkeiten eröffnete und die Waffe hob. Wenn
heute einzelne Kirchenvertreter behaupten, die Auszeich-
nung Deschners sei ein Schlag gegen die Kirche, so muss man
leider entgegnen, die schrecklichsten Schläge hat die Kirche
in den vergangenen 2000 Jahren, nehmt nur alles in allem,
immer gegen sich selbst geführt, gegen ihre eigenen Gläubi-
gen, gegen die Anhänger konkurrierender christlicher Glau-
bensrichtungen oder die anderen monotheistischen Religio-
nen aus dem Morgenland.
Wer geglaubt hatte, das Thema Kirche sei mit «Abermals
krähte der Hahn» erschöpft gewesen, der irrte sich. Es ließ
Deschner bis zu seinem 80. Geburtstag und darüber hinaus nicht
los. In wöchentlich 100-stündiger Arbeit legte er seit 1986 acht Bän-
de seiner «Kriminalgeschichte des Christentums» vor, rund 4600 Seiten
denen noch zwei weitere Bände folgen sollen. (…)

Immer eingeräumt, dass es auch vorbildliche, ebenso de-
mütige wie mutige Christen gab, die ihr Leben für ihre Prin-
zipien opferten – man denke nur an den christlichen Wider-
stand im III. Reich, an die Bekennende evangelische Kirche
und die katholischen Pfarrer in den KZs –, dies immer einge-
räumt, wird es wohl keine nennenswerte Schandtat im Na-
men des Christentums geben, die Deschner entgangen wäre,
handle es sich, weil wir in Wolframs-Eschenbach sind, nun
um das Wüten des Deutschen Ordens in Polen und im Bal-
tikum, oder um die unbarmherzige Niedermetzelung der In-
dios in Lateinamerika durch die spanischen Conquistadoren,
von der wir beispielsweise durch Las Casas wissen.
Es gibt wohl keinen Zweifel: hätte ein Zufall oder eine
«Fügung» einen Mann vom Schlage Deschners in ein frühe-
res Jahrhundert hineingeboren, er wäre mit höchster Wahr-
scheinlichkeit wie Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen
gelandet und man hätte ihn, mit besonderer Grausamkeit,
vielleicht auf kleinem Feuer geröstet.
Es ist gewiss nicht übertrieben, wenn der Münchner
Philosophieprofessor Wolfgang Stegmüller Karlheinz Deschner
den «bedeutendsten Kirchenkritiker» des 20. Jahrhunderts ge-
nannt hat, und es ist nicht nur die «herrliche Mischung von leiden-
schaftlichem Engagement, klarster Logik, beißendem Sar-
kasmus und überwältigendem Wissen», die ihn zum «mo-
dernen Voltaire» stempelt (Nelly Moya), es ist auch die
Einheit von Denken und Tun.
Aufgewachsen wie alle Franken – Bratwurstland – in be-
denkenlosem Fleischkonsum, vom Vater her gewöhnt an Ja-
gen, Fischen und Töten, hatte er sein Saulus-Paulus-Erleb-
nis. Schon in seinem Erstling lesen wir: «… ich glaube, daß
wir kein Recht haben, die Tiere zu töten, es sei denn das
Recht der Gewalt. Nein, ich mache keinen wesentlichen Un-
terschied zwischen Mensch und Tier … wie das die Christen
tun, die demütigen Christen, die so demütig sind, daß sie sich
für das Ebenbild Gottes halten, für das Ebenbild eines all-
gütigen, allweisen und allmächtigen Gottes, für das Eben-
bild des Schöpfers Himmels und der Erde. Du lieber Him-
mel. Was für ein Gott das sein muß, wenn man ihn beurteilt
nach seinen Ebenbildern! Nein, ich habe die Jagd aufgege-
ben, und da ich dachte, daß jeder Fleischesser schlimmer
als ein Jäger ist, und schlimmer als ein Metzger ist, da
ich dachte, und ich denke es heute noch, daß es nur
Gedankenlosigkeit ist und Inkonsequenz und eine gemütsmuf-
fige Verlogenheit, wenn sie sagen: nein, ich könnte kein Tier
töten, ich könnte keinem Tier was zuleide tun, wobei sie sich
schütteln und entsetzte Augen machen und sich den Bauch
vollschlagen mit Fleisch …, habe ich auch das Fleischessen
aufgegeben».
Deschner fühlt sich in dieser, sagen wir, vegetarischen Ent-
haltsamkeit, die Religionen und Weltanschauungen mitein-
ander vergleichend, den Pythagoräern und den Buddhisten
wesentlich näher als dem Alten Testament mit seinem Gebot
«Machet euch die Erde untertan», das ein Todesurteil für
Milliarden von Tieren impliziert. (…)

So energisch Deschner mit sprachlicher und gedanklicher
Schlamperei, mit Heuchelei, Intoleranz und Grausamkeit
verfährt, so entschieden vertritt er sein Plädoyer
der Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft. (…) «Denn jeder
Mensch braucht Hilf von allen», wie Brecht es formulierte.

Es ist ein Paradox, dass Deschner, auch in viele Sprachen
übersetzt, eine nach Millionen zählende Leserschaft hat, dass
er aber auf weite Strecken nicht überlebt hätte, nicht hätte
weiterarbeiten können ohne die Unterstützung einiger Mäze-
ne. Insofern ist der Wolfram-von-Eschenbach-Preis, der die-
sem Autor heute verliehen wird, nicht nur eine Anerkennung für
das Geleistete, sondern hoffentlich auch eine Hilfe zur Vollen-
dung seines Lebenswerks. (…)

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Gruß Hubert

 

Sybille Lewitscharoff – künstliche Halbwesen und die Erektion   Leave a comment

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Hier zur Abwechslung mal eine sehr unterhaltsame, auszugsweise Geschichte von „Morgenblatt“ über die fromme, pietistische, schwäbische Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, die sich über die künstliche Befruchtung echauffierte. Dass sie die in der Petrischale gezeugten Menschen als „Halbwesen“ bezeichnet, ist schon eine ungeheuerliche und kaum zu fassende Diskriminierung dieser Menschen.
Die Geschichte trug sehr zur meiner Erheiterung über das ansonsten ja doch ernstere, und nicht nur für Stammtischwitze geeignete Thema, bei.

 

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Die fromme Erektion

[…]
Lewitscharoff also, unverheiratet und kinderlos, sozialisiert im fundamentalistischen Dunstkreis des als „Pietcong“ geschmähten schwäbischen Pietismusklüngels, gehört zu jenem Teil der Weiblichkeit, den die Schwaben sehr uncharmant als „fromme alte Jungfer“ titulieren und – nur einen Tick freundlicher – als „spätes Mädchen“.

Neulich toste ein Entrüstungshurrikan über den bundesdeutschen Gauen. Und selbst aus den feuilletonistischen Rührwerken der Kulturkläranlagen steigen immer noch die eklen Dünste jener Verbalfäkalien, die von einer veritablen Schriftstellerin abgesondert worden waren. Beileibe nicht irgendeine Schriftstellerin aus dem Weiler Schreiberbach, sondern die mit Literaturpreisen förmlich zugeschüttete Sibylle Lewitscharoff aus der Schwabenmetropole Stuttgart.
[…]
Gleichwohl schwang sich die frömmigskeitsgestählte Lewitscharoff in Dresden dazu auf, die Anwendung der modernen Reproduktionsmedizin beim Menschen als „widerwärtig“ zu bezeichnen. Das in der Bibel postulierte Onanieverbot hält die Schwäbin für „weise“, denn – wie mag wohl das diesbezügliche Lewitscharoffsche Kopfkino aussehen? – der Mann müsse ja in der Arztpraxis mit Hilfe pornographisch-papierenen Erregungsmaterials sein Sperma manualiter in ein Reagenzglas…igitt! Nur die „natürliche“, weil durch coitale Bewegungsabläufe sich ergebende Insemination sei die einzig richtige Befruchtungsmethode, hämmerte die Rednerin ihr Credo dem Publikum ein.

Die durch künstliche Befruchtung in der Petrischale gezeugten Menschen fertigte die evangelikale Glaubensschwester sodann verächtlich als „Halbwesen“ ab. Bei solcherlei, von frömmlerischem Sendungsbewußtsein durchdrungenem Zynismus war es nebensächlich, dass Lewitscharoff geschichtsklitternd sich zu der Aussage verstieg: „…angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen SS-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor.“ Literaturpreise schützen ganz offenkundig nicht vor Lesefaulheit und religiös unterfütterter Borniertheit.

[…]
Was die Schriftstellerin in ihrem furor sexualis nicht bedacht hat, ist der Umstand, dass es männerseits zu einer gelungenen „natürlichen“ Insemination unbedingt eines Standvermögens bedarf. Nicht immer nämlich wollen die Schwellkörper so, wie die Herren der Schöpfung wollen oder können. Auch wenn Lewitscharoff nicht katholisch ist, sondern einer sehr orthodoxen evangelischen Glaubensrichtung anhangt, so mag die Romancière einen gewissen Trost darin finden, dass auch mit frommen Mitteln das erektionelle Ziel erreicht werden kann. Ein Musterbeispiel dazu lieferte vor Zeiten Herzog Philipp von Orleans, der Bruder des Sonnenkönigs.

[…]
Weil vermutlich das über die geburtsfähigen Jahrgänge schon hinausgewachsene Pietistenfräulein Sibylle Lewitscharoff auch fürderhin keinen Wert auf persönliche Insemination legen wird, sind Ratschläge bezüglich frömmigkeitsgestützter Erektionshilfe überflüssig. Aber jüngeren, noch der befruchtenden Kopulation zugeneigte Glaubensbrüder und –-schwestern könnte die Schriftstellerin vielleicht empfehlen, zur Schwellkörperermunterung das evangelische Gesangbuch oder ein handliches Bündel Traktätchenschriften der pietistischen Sammlungsbewegung „Süddeutsche Vereinigung“ zu benützen. Hauptsache: Es wirkt!

Quelle: Morgenblatt

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Ergänzung.

Die „Pietcong“, Pietistenfräulein, Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff sollte das mal hier lesen, damit sie zumindest weiß wovon sie redet bei einer Erektion. Der hl. Geist als Erzeuger war ja nur bei Maria die große Ausnahme Frau S.L., oder? Hmmm, unglaublich was Gläubige so alles glauben.

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Gruß Hubert

ABGRUND   3 comments

Rubens Beserra

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Es gibt ein Abgrund in meiner Seele,

Wo Licht nicht eintreten kann,

Wo alles Dunkelheit und Stille ist,

Wo alles tot ist und langsam verrottet.

Es gibt einen Abgrund, der mich einsperrt,

Es ist unmöglich zu fliehen, es gibt keinen Ort zu gehen,

Alle Straßen führen zum Tod.

Alle Menschen, die ich geliebt habe, sind bereits gestorben.

Es gibt kein Leben in meiner Welt,

Es gibt nur Leere in meiner Seele.

Ich weine nicht, weil ich keine Tränen mehr habe,

Ich bin apathisch, kalt und treulos.

Ich möchte meine Kindheitsprobleme vergessen ,

Aber die Erinnerungen halten mich zurück in die Vergangenheit,

Erinnerungen sind Wunden, die immer noch schmerzen.

Ich bin nicht glücklich, weil ich nicht mehr träumen kann.

Es gibt keine Sonne in meiner Welt,

Es gibt kein Licht in meiner Welt,

Es gibt nur Dunkelheit, Traurigkeit,

Angst, Einsamkeit, Kälte und Tod

Im Abgrund meiner Seele.

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Veröffentlicht 8. Januar 2018 von hubert wenzl in Kultur, Literatur, Lyrik

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Das Große Testament von Francois Villon   Leave a comment

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Mir imponiert Francois Villon, weil er sich schon vor Jahrhunderten getraut sich gegen die Obrigkeit und die Pfaffen zu stellen und sich kein Blatt vor dem Mund nahm. Er war auch schonungslos gegen sich selbst und scheute kein Risiko. Mir gefällt auch seine klare und schnörkellose Sprache.

Aus Wikipedia
François Villon (* 1431 in Paris; † nach 1463; sein eigentlicher Name war vermutlich François de Montcorbier oder François des Loges) gilt als bedeutendster Dichter des französischen Spätmittelalters.

In seinen beiden parodistischen Testamenten und in zahlreichen Balladen verarbeitet er die Erlebnisse seines abenteuerlichen Lebens als Scholar, Vagant und Krimineller. Während für die Zeitgenossen vermutlich vor allem die satirischen Strophen auf zeitgenössische Pariser Honoratioren von Interesse waren, schätzt man ihn seit der Romantik wegen seiner eindringlichen Gestaltung der stets aktuellen Themen Liebe, Hoffnung, Enttäuschung, Hass und Tod, besonders im ersten Teil des Großen Testaments.
https://de.wikipedia.org/wiki/Fran%C3%A7ois_Villon

Sehr interessant finde ich Villons Testament.

 

Das Große Testament

 

Als mich das Blut durchkochte dreißig Jahr
und Tag und Nacht nur Gram und Schande war,
da bin ich auch kein großes Licht gewesen,
auch nie als Narr von einem König angestellt.
Mich haben harte Besen
vom Mutterleib hineingefegt in diese Welt.
Doch du, Herr Bischof, Hund, du kannst mich nit
verfluchen, weil ich bitter Strafen litt.

Ich bin noch lange nicht dein Sklave hier,
du Judas, bin auch nicht dein Schmeicheltier.
Vergessen wird dir nie die Kerkerzelle,
als draußen Sommer war mit Feuermohn und Wein
und viele Frauen bettelnd auf der Schwelle
zu meinem Herzen lagen. Ach, du Stein;
der Satan wird dir zahlen, wie du mich so hart
geschlagen hast und mich genarrt.

Auch Jesus, der so hell brennt wie ein Stern,
der schont gewiß nicht all die feinen Herrn,
die mir so manche Freude stahlen
bei Nacht und auch bei Tageslicht;
sie werden es im Feuerofen zahlen,
mit keinem Geld entgehn sie dem Gericht.
Darüber wird vielleicht noch mancher Winter schnein
und ich ein armer und gejagter Dichter sein.

Oft denk ich deiner auch, mein Kamerad;
daß vor mir du verdarbst, ach, das ist schad.
Ich träumte heut, du bist ein Stern geworden,
der erste, wenn die Sonne untergeht,
dort, wo sonst keine Sterne stehn im Norden.
Jetzt hast du Nacht für Nacht mein Stoßgebet;
und daß statt deiner ich dereinst im Kerker saß,
wie gut, daß ich es bald verschwitzte und vergaß.

Gepeinigt hast du mich gar manche Nacht,
du siehst, ich habe mich deshalb nicht umgebracht,
dein Mädchen war mir Beistand, wenn’s mich quälte,
und hat mit ihrem Fleisch mich gut genährt.
Ach, keiner in der Welt, den ich zum Bruder mir erwählte,
hat mir so reichlich Huld und Gunst gewährt.
Jetzt kommt ein guter Wind von Flandern her
und läßt mich Erde schmecken, Wald und Meer.

Auch Du, Maria, warst nicht schlecht zu mir,
mit Deinem Bild im Herzen schlief in mir das Tier.
Auch den Apostel Sankt Johannes kröne
mein Dankwort für so manchen Trost in großer Not.
Und dir, mein König, stolz im Kranz der Söhne,
erflehe ich den Sieg und Englands Tod;
es blüh dir Ruhm und Ehre für und für
und daß Sankt Petrus gnädig öffne dir die Himmelstür.
In dieser Welt, wo alles grau verweht,
dir, liebe Mutter, schnell noch ein Gebet.
Sei du der Baum, dess Blätter ewig dauern
und der uns immerblühend goldne Früchte schenkt.
Dir wird der Himmel nicht mit schwarzen Mauern
verrammelt sein, wenn der Herr Jesus deine Hände lenkt.
Du hast dich nie mit fremdem Gut gemein gemacht,
du hast gedarbt und an den Sohn gedacht.

Vielleicht erlöste dein Gebet mich aus dem Hungerloch.
Und nun nach bittrer Wochen Qual und Joch,
willst du, mein Herz, mir schnell den Abschied schreiben?
Ja, weil ich elend bin, zu nichts mehr gut,
muß ich wohl mit dem dunklen Wasser treiben
und durch mein Blut schwärt keine andre Glut:
Weil ich kein Geld mehr habe, auch kein Weib,
sing ich dies Winterlied nicht nur zum Zeitvertreib.
So lang ich Augen habe und noch einen Laut
und unter meinem Hintern noch ein Büschel Kraut,
will ich sie küssen, deine Sorgenhand,
die mich erhoben hat von Schanden allerhand.
Es kann mich nichts mehr schrecken,
ich seh nur dein Gesicht, nur deinen Mund,
ich darf in meinem Traum ihn schmecken
und schmecke mich vielleicht daran auch noch gesund.

Des ganzen Lebens schwarze Litanei,
vom Mutterleibe bis zum Todesschrei,
die langen Wanderungen durch die kalten
Gelächter aller Menschen und zuletzt
der Streich des Henkers, haben böse Falten
in mein Gesicht gemacht, mich so herumgehetzt
wie Wölfe, fort aus einem warmen Nest gejagt
und nie nach meinem Leid gefragt.

Mir hat’s die Augen müder noch gemacht,
als alle Schriften, die ich manche Nacht
gelesen habe in der Klosterzelle.
Und bin ich auch gewandert ohne Kreuz und Stab,
es sprang der Bach im Feld mit froher Welle
an mir vorüber und auch grüne Waldung gab
mir das Geleit zu allen Jahreszeiten
bis tief hinein in die wildfremden Weiten.

Nicht immer brauchen oben Sterne sein,
Gott kommt auch mit den schwarzen Wolken überein.
Er hat noch jedem seinen Sarg gegeben
und gab der Jugend einen hellen Mut.
Wie mancher führt im Mai ein Lasterleben
und der November nimmt ihn auf in eines Klosters Hut.
Dort fliegen Engel ein und aus
als wär’s ein Tauben- oder Hurenhaus.

Und wünscht auch mancher jetzt schon meinen Tod;
es kommt zuletzt ein großes Morgenrot,
dort wird gezählt und abgewogen,
und wer mich quälte, wird die Prüfung nicht bestehn.
Um ihre Freuden sind die Herren jetzt betrogen,
sie werden dunkle Straßen gehn,
dort blühen keine Blumen mehr,
dort sind nur Steine kalt und leer.

Als Alexander noch ein Kaiser war,
wie schienen da die Sterne wunderbar
auf jeden Schelm herab und gaben ihm so frohen
Gewissensmut und rechtes Wort zur Zeit.
Wollt ihn ein blasser Henkertod bedrohen,
sah ihn der Kaiser an mit Gnädigkeit
und fragte mitten in dem Schlachtgebrumm:
„Bist du ein Räuber worden, ei, warum?“

Da sprach der Mann: „Warum beschimpfst du mich?
Bin ich nur darum Dieb vor dir, weil wenig ich
gestohlen habe? War mir deine Macht gegeben,
dann könnte ich auf Erden gerade so wie du
hoch über allem Volk als Herrscher leben.“
Da schloß der Kaiser schmerzlich seine Augen zu
und sprach: „Ich pflanz dich jetzt in bessre Erde ein
und will mit Fleiß und Lust dein Gärtner sein.“

Da gingen viele Jahre hin in Gnade und mit Glück
und nie fiel dieser Mann in sein gewesnes Tun zurück,
er hat mit reiner Herzenslust
des Kaisers gute Tat vergolten.
Wie oft hab ich mich schon ein Narr gescholten,
daß ich mir solchen Kaiser nit gewußt.
Ich weiß, ich bin sehr oft ein Stümper nur,
das Elend hält mich fest an seiner Nabelschnur.

So trieb ich mich herum auf schlechtem Pfad
und Böses wuchs herauf selbst aus der guten Tat,
ich habe nichts dabei errafft und nicht gespart,
bin arm geblieben und ein Lumpenhaufen.
Nun ist mein Haupt ganz grau und ausgehaart,
und dafür kann man keine Herzenslust sich kaufen.
Mir hält die Erde hin die Knochenhand
und Würmer graben mich hinunter in den Sand.

Wie war als junger Bursche ich so stolz
auf mein Gesicht, schoß überall Kobolz,
zuletzt hinauf auf einen weißen Leib,
der nährte mich mit süßen roten Beeren
und war der schönste Zeitvertreib
den Sommer lang. Das wird nie wiederkehren.
Dahin der Nachtigall Musik, der Maientanz,
was blieb, ist dieser Dornenkranz.

Es ist kein Feld und ist kein Strohsack mein,
die Sippschaft läßt mich nicht ins Haus hinein,
weil ich so räudig bin und in zerrissnen Schuhn.
Morsch sind im Maul die Zähne mir schon sehr
und weh will jeder Schritt mir tun.
O käm noch einmal nur die gute Fee daher;
mein Herz, es ginge wieder in dem raschen Schlag
und läge da bei einem weißen Reh im Rosenhag.

Ein Mannsbild, sorgendürr und hungerkrank,
das findet nirgends einen Kuß zum Dank,
ein andrer frißt, was mir zur Lust geboren
mit rotem Mund und blauem Augenstern.
Ich habe meinen Thron im Himmelbett verloren
an einen samt- und seidnen Herrn.
Der charmusiert mit meinem Herzgemahl
und macht den Bauch ihr dick, die Wangen schmal.

Ach, hätt ich nicht den Mai so schlecht vertan,
war ich noch jetzt in manchem Korb der Hahn,
wer aber will mich armen Tor
jetzt noch ins Bett und Kinder von mir wissen?
Wer duldet diesen Kopf, den einst der Henker schor,
auf einem reinen weißen Seidenkissen.
Als ich die Schule schwänzte, da beganns
mit mir bergab zu gehn, wuchs mir der Satansschwanz.

Ich brauch mich nicht zu sorgen, daß von dem Wenigen mir
noch jemand etwas raubt. Nicht dort, nicht hier
ruht alles, was mein eigen war in Bitterjahren
und so, wie einstens den verlernen Söhnen schon,
kräht auf dem Mist ein Hahn mir nichts als Hohn,
und wenn er dreimal kräht den gleichen Ton,
dann muß ich in das Grubenloch hinunterfahren,
und oben blüht vielleicht ein Büschel Mohn.

Es ruht dort unten schon so mancher Kamerad,
der Treue mir versprach und hielt. O gute Tat!
Nur von den Frauen, keine hat es so gehalten.
Zum Abschied spein sie mir jetzt ins Gesicht
und möchten auch dazu noch fromm die Hände falten,
doch wenig wiegt vor Gott solch ein Gewicht
und wiegen sie ihm dennoch viel durch meine Schuld:
Ich habe Zeit und üb mich weiter in Geduld.

Ich war wohl nie ein zager Tränenwicht,
der, eh man schlägt, schon in die Knie bricht,
die Zeit hat mich mit einem dicken Fell belehnt,
das schwemmt von seiner Stelle fort kein Regen,
und wer in meinem Kopf nur Häcksel wähnt,
den kitzelt immer noch mein guter Degen,
er fragt nach keiner Quint und keiner Terz,
er nimmt sofort den Weg ins Herz.

So manche Herren sind groß geworden und so stolz,
sie geben niemand was von ihrem Brot und Holz,
in güldnen Wagen fahren sie mit weißen Pferden
und haben Mohren in der Dienerschaft sogar.
Sie haben schon ihr Himmelreich auf Erden
und werden auch nicht eingehn zu der Engelschar,
wenn mit Drommeten über Nacht die Stadt
zusammenkracht und niemand mehr hier seine Heimat hat.

Und mancher fuhr ins Kloster ein zur letzten Ruh
und gab sich aus. ging barfuß ohne Schuh.
Ich aber bin der ausgelachte Narr geblieben,
mein Leben starb wie Zunder weg und Stroh.
Vielleicht hab ich ein Lied wem aufgeschrieben,
und war’s zu Dank ihm, bin ich leise froh.
Vielleicht denkt manche Jungfrau an Villon zurück,
der ich die Unschuld ließ, ich wünsch ihr weiter Glück

Nur was ich leiden mußte, werde ich nicht los,
es will nicht mehr heruntergehn von meinem Schoß,
ich muß es wiegen wie ein Kind und muß es küssen
und zieh mir eine Schlange an dem Busen groß.
Einst wird es sich wohl doch verwandeln müssen
und mir dann in die Augen sehn: Wer bist du bloß,
daß du so lange mich geduldig trugst
und nicht mit allen vieren um dich schlugst.

Im Wald, da ruht ganz still ein tiefer See,
sind schön Gewürm darin und, wenn ich tiefer geh,
der muntren Fische grünlich goldne Farben.
Da wünsch ich mir schon lang die letzte Ruh,
da sollen sein gebettet meine Sorgen.
Ich steh schon lange mit dem Tod auf Du und Du,
ich brauch auf keinen Weiser mehr zu schaun,
ich suche mir, will’s Gott, ein Loch im Heckenzaun.

Mich freut kein Haus, mich freut schon lange nichts,
mein Herz, wie eine Dornenkrone stichts.
Ich bin nie Gottes liebster Sohn gewesen,
ich ging dahin, wie mich die Laune gerade trieb,
mich hätten gern Zigeuner aufgelesen,
doch war ein Schoß, wo ich geborgen blieb.
Jetzt hat die liebe Frau ganz weißes Haar
und ist allhier schon sechzig Sorgenjahr.

Auch Laster sind von Gott gesandt und gut;
wohl dem, der sie bis zum bittren Ende tut.
Wer sie nicht kennt, der kann auch nicht von Sünden
erlöset werden durch des Herren Blut.
Woher ich, kam, will ich auch münden.
Im Mutterschoß, da ist es, wo man schöner ruht
als in dem Freudenbett der Königin,
denn solche Nächte gehen oft wie ein Begräbnis hin.

Wer sterben muß, ach, der stirbt hin mit Weh
im Winterwald, beim Mond, im schwarzen Schnee.
Ist eine Schwester da mit Galle und mit Essigschwamm,
wird niemand dir den Platz wegnehmen,
und wo du liegst, da wird man in den Stamm
drei Kreuze schneiden und den Ort verfemen.
Zur Erde wird dein Fleischernes alsbald
und morgen schon die große Jagd darüber schallt.

An mir ist wirklich nichts verloren hier.
Doch du, du schönes weißes Schmeicheltier,
mir nachgesprungen, weil er dich verführte,
der arge Lump mit Federhut und Sarazenenschwert,
und nicht zum Eheweib vor Gott erkürte.
Du bist der Himmelfahrt schon wert
und auch des Paradieses höchsten Lohn;
vom Haupte der Marie die güldne Krön.

Dein Bild vor Augen, also schlaf ich ein.
Es wird nur eine kleine Reise sein,
dann werden mir die Augen überlaufen
vor all den Sternen, die mir Spielgefährten sind,
von Pfaffen nicht mehr billig einzukaufen
für ein Versteck im Kleiderspind.
Dann wirst du, sanftes Reh, allein nur mein
auch ohne Kranz und Schleier sein.

So hab ich nun die Augen leise umgedreht,
ein Rabe plärrt dazu das übliche Gebet,
daß ich nun rein von allen Sünden bin geworden
und also hebt ein leiser Wind mich auf;
ich fahre aus dem winterweißen Norden
und aus der Welt und ihrem Lauf
in eine immergrüne Einigkeit,
dort brauche ich kein Haus und auch kein Kleid.

Ich sage nicht, daß jedem solch ein Glücksgenuß
verliehen wird vom lieben Gott. Wie mancher muß
mit weniger Sünden sich bescheiden und mit Tran
und Weizenmehl sich das Gesicht beschmieren,
um weißer noch, als Flaum von einem Schwan,
den Ehrenstuhl im Gotteshaus zu zieren.
Dafür singt auch an seinem Sterbebett
ein Nonnen- oder Mönchsquartett.

Bei mir ist’s, wie gesagt, ein Rabenaas,
das singt nicht schön und diesmal nur zum Spaß;
denn mit dem Ende war’s noch nicht ganz richtig,
ein Landsknecht hat mich wieder aufgejagt
und nahm mein Leid so wichtig,
daß er mich in das „Warme Nest“ mitnahm,
und dort bangt keine Frau um ihre Scham.
Mit ihrem roten Mund hat sie mich auskuriert
und manches andere noch in meinen Schlund hineinfiltriert.

Wie viel ist nur für unsereinen schön und gut
und albern, wenn ein Greis sich damit wichtig tut.
Seht nur, wie er das schwarze Maul aufreißt,
wie seine kleinen Äuglein sich verdrehn,
wenn sich kein Mädchen mehr in seinen Fisch verbeißt,
und wäre sie vom Kopf bis zu den Zehn
ein abgegrastes Ackerstück …
selbst das war für den Onkel noch zuviel an Glück.

Ich meine nämlich jetzt den Herrn Ronsard,
der ehedem von meinem Kral der Gutsbesitzer war,
für jeden, der mit einem freundlichen Besuch
uns ehrte, habe ich drei Groschen bluten müssen,
dabei hat es bei ihm gerochen wie in einem Poggenluch,
und oft verging so dem Besuch das Küssen,
dabei hat meine sich besonders viel
Pläsier erdacht für ihr berühmtes Flötenspiel.

Auch bei dem Herrn Ronsard versagte es total,
als er sich heimlich in die Kammer stahl,
um ein Geweih mir aufzusetzen. (Notabene:
fünf Frauen hatte er schon in das Grab gebracht,
und immer noch lag auf der straffen Bogensehne
ein krummer Pfeil bereit.) Der alte Bock
bekam sein Fett kaum noch hinein in sein brokatnen Rock.
Ich habe einen neuen ihm nach Maß vermacht.

Doch lassen wir das Thema jetzt,
sonst fühlt noch mancher alte Sünder sich verletzt
und hetzt den Staatsanwalt mir auf den Hals;
von wegen Unzucht, Völlerei und Afterkunst.
Ich habe nämlich keinen blauen Dunst
vom Paragraphenkram und kenne bestenfalls
den Henker, dem ich einmal nur mit knapper Not
entwischt bin, denn der Galgen ist kein schöner Tod.

Ich will mich lieber seitwärts, wenn’s geht auch splitternackt
noch einmal in ein rotes Mohnfeld legen.
Es ist so schön (der Fromme denkt: wie abgeschmackt!),
wenn rudelhaft die Wolken durch den Himmel fegen.
Mir schmeckt nun einmal dieser Zug
ins Tierbereich. Was drüber ist, das ist Betrug
an jenem Mark und Drüsensaft,
der uns das himmlischste Vergnügen schafft.

Ich bin wahrhaftig nicht das Menschenkind,
das immer stöhnt, wenn mal das Glück vorüberrinnt.
Ich denk, der Herrgott hat uns allesamt aus dem Morast
herausgefischt und seinem Bilde angepaßt.
Es liegt an euch, wenn ihr schon vor der Zeit verblüht.
Ich habe noch mit mir soviel Geduld
und stecke noch so tief in meiner Schuld,
daß mir der Schädel wie im Fieber glüht.

Es tröstet, wenn zumal die jungen Dinger mich
für jenes sagenhafte Einhorn halten,
das sie auf ihrem Freudenstrich
begehren, um mit ihm sich in das weiche Gras zu falten.
Ich habe manchmal selber nicht kapiert,
wie schnell mir oft die Augen übergingen,
und dann war es auch schon passiert.
Frag mich nicht was, man spricht nicht gern von solchen Dingen.

Mein Landesherr, der denkt in diesem Punkt zur Zeit
ein wenig ungenierter und er schreibt sein Leid
und auch die Lustgefühle mit dem Federkiel
ins Tagebuch. Tät François Villon dies auch,
dann wäre es wohl aus mit seinem faulen Bauch.
Denn gerade der, der ist die Hauptperson im Spiel
und deshalb singe ich zuguterletzt noch fix
ein schlichtes Lied, das jeden freut. Und weiter nix.

Wie es um Liebe rundherum beschaffen ist
und daß der Hunger sich nicht selber frißt,
das kann nach mir jetzt jeder Esel sagen,
und sicher lohnt es sich auch dann für ihn.
Der erste muß sich mühen einen Baum zu schlagen,
der nächste wählt den besten Splitter Kein
sich aus, ernährt sein Hirn mit diesem Licht,
woher er’s nahm, ach, danach fragt die Mitwelt nicht.

Inzwischen sah ich mir das Beinhaus an,
dort, wo die Schädel reihenweise auf den Brettern
ins Leere glotzen. Keinem ist in goldnen Lettern
ein Titel beigefügt, ob Jüngling oder Mann,
in diesem Zustand sind sie alle gleich;
die einen waren Richter einst und Advokaten,
die einen Ziegelbrenner, die anderen Soldaten,
der eine hatte nichts, der andere, der war mehr als reich.

Ob Jägermeister oder Schinderknecht,
ob aus Findelhäusern oder fürstlichem Geschlecht;
die hohlen Köpfe sind nicht da zum Herzelfreuen.
Mir wird’s ein wenig windig hinter meiner Stirn,
in welchem Sinn wir Menschen uns erneuen,
wenn nichts mehr da ist von dem bißchen Hirn.
Ich bin dafür: die Finsternis bleibt Finsternis
und ob’s im Himmel lichter ist, ist ungewiß.

Und wer da glaubt, daß all die Weibsen hier
(entkleidet der Behänge und der Spangen Zier)
sich dennoch von den Männern unterscheiden:
nichts wird in diesem Punkte offenbar.
Sie haben immerhin, ich will mich nicht dran weiden,
zurückgelassen, was allein ihr Eigen war,
um uns damit zu fischen.
Der Staub liegt hier gleich hoch auf allen Tischen.

Denn so allmählich kommt der Tag heran,
wo ich vielleicht in Ruhe nicht mehr kacken kann,
geschweige Verse dichten für den Hausgebrauch.
Vor meiner Türe hockt seit vielen Jahren schon
die Kinderschar herum und wartet auf den letzten Ton
aus dem bekannten Loch. Der Teufel wartet auch
darauf und hat sogar um Vorschuß nachgesucht.
Und als ich ihm nichts gab, hat mich der Wucherer verflucht.

Aus diesem Grunde -will ich endlich reinen Tisch
mit meinem Oheim machen. Und was nicht mehr ganz frisch,
das kommt gleich auf den Mist.
Den Rest verschreibe ich zu einem Teil
der Nonne, die mit dreißig Jahren noch ganz heil
in ihrer reinen Jungfernschaft geblieben ist.
Und wieder einen Teil erhält der Henker für den Strick,
mit dem er selber sich erlöst von seinem Mißgeschick.

Ich will auch dieses Mal
mit einer netten runden Zahl
die Kirche „Unserer Lieben Frau“ erfreun.
Dafür soll mir an jedem Allerseelentag
und in der Frühe, mit dem ersten Glockenschlag,
die jüngste Frau aus dem Kabuff „Zur goldnen Neun“
die gleiche Zahl von Lilien auf den Grabstein legen
und ihr Gebiß mit einem Lied von mir bewegen.

Was sonst noch übrig bleibt von meinem Hab und Gut,
das soll man einem Bettler in den Hut
hineintun. Doch wenn dieser Tropf
vielleicht gar Dankschön sagt
und nach dem „edlen Spender“ fragt …
dann hau ihm mit dem Brett eins auf den Kopf.
Der Pfaff fragt auch nicht lang: woher?
Er sieht nur nach, ob es von Gold ist und wie schwer.

Ich hätte mancherlei auf meinem Herzen noch.
Doch, wenn man so behindert ist wie hier im Loch,
dann denkt man mehr, ob man sich wirklich streckt
und nicht die Zunge bloß in einen grünen Himmel bleckt;
Auch hab ich Sorge, daß mir aus dem Hosenbein
was Nasses läuft. Das darf um keinen Preis
mein Abschied sein, sonst weiß es morgen und brühheiß
der Nekrolog und schreibts in die Geschichte ein.

Auch wegen solcher Todesart an sich,
bin ich mir noch nicht klar, ob ich
nicht bei dem fürstlichen Gericht noch protestieren soll
Es zeugt wahrhaftig nicht von viel Respekt,
wenn man Villon, den Dichter, so verdreckt
dem Herrn zurückgibt. Doch die Welt ist voll
von Unkultur. Drum will ich auch nicht mehr
den Kopf mir kratzen für dies Hammelheer.

Ich habe ihn mir ratzekahl gekratzt,
als Dichter mehr, als auf den breiten Stufen
zur irdischen Glückseligkeit der Freuden-Nacht.
Dorthin hat man mich auch nicht gleich gerufen,
denn welches Kätzchen kauft den Kater sich im Sack?
Als Dichter aber mußte ich mich selber üben,
denn was vorher hier war, auch bei den Römern drüben,
das paßte nicht für meinen Schabernack.

„Wie dem auch sei, sagt in der ‚Rose‘ ein Poet:
Ans Ziel gelangt nur, wer alleine seiner Wege geht.“
Den andren Weg, ihr wißt, ist Villon nie gegangen.
In diesem Fall hätt auch das peinliche Gericht
mich nicht als dritten Mann der Kumpanei gehangen.
Doch eingebrannt bleibt es mir stehen im Gesicht,
solang noch warm sind meine Atemzüge,
daß ich mich nicht damit begnüge,

wie all die anderen in jenem großen Haufen,
als Schaf gleich Schaf in Frieden mitzulaufen.
Und habe ich auch keine Beißer mehr
in meinem Maul, ich muß sie dennoch zeigen
jedwedem, der aus Gott weiß welchem Winkel her
mir ein Abschieds-Amen möchte geigen.
Die Tränen hat der Wind mir weggefegt,
den Dornenkranz das Schicksal mir aufs Haupt gelegt.

Er war mein Eigen, keinem fortgestohlen,
denn zweimal kann sich solch ein Mißgeschick
bei weiteren Zeitgenossen nicht mehr wiederholen,
auch nicht in eines Traumes Augenblick.
Mir träumte nie ein anderer als ich zu sein,
und fuhren auch die Huren so dazwischen,
als ginge ich zu weißen Fürstenkindern ein …
am Morgen war’s vorbei mit dem Im-Trüben-Fischen.

Ich sause ab, ich sage gern ade.
Bald trage ich ein Kleid, so weiß wie Schnee.
Es braucht nicht grad der Himmel sein,
wo man mir eine kleine Kammer gibt.
Ich habe einmal die Kathrein geliebt,
man weiß wie sehr. Sie mag mich wieder freien
und geht’s in ihrem Kral wie damals zu,
dann, liebe Seele, hast du endlich Ruh.

 

Das Große Testament von Francois Villon

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Gruß Hubert

 

Veröffentlicht 16. März 2017 von hubert wenzl in Literatur, Lyrik, Uncategorized

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Сергей Есенин – Жизнь Обман – Leben betrügen – Jessenin   Leave a comment

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Ist wohl sehr seltsam, wenn ein Mann wie Jessenin, der russische Dichter, mit 30 Jahren schon das Leben satt hatte. Das kann man sich ja kaum vorstellen. Aber Dichter sind eben keine Durchschnitts-Menschen.

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Jessenin und Majakowski: Fertig mit dem Leben

Sergej Jessenin und Wladimir Majakowski waren die Revolutionäre unter den Sowjetschriftstellern. Sie lebten wild und unangepasst. Jessenin, der sich selbst einen „Hooligan“ nannte, und Majakowski, der Frauenheld, setzten ihrem Leben selbst ein blutiges Ende. Betrauert werden wollten sie nicht, unvergessen sind sie geblieben.

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Sergej Jessenin: „Leben gab’s ja schon einmal“

Am 25. Dezember 1925 kam Sergej Jessenin im Sankt Petersburger Angleterre Hotel an. Hinter ihm lag eine durchzechte Nacht in der Schriftstellerbar. Völlig betrunken hatte er dort randaliert, andere Schriftsteller angegriffen, sie als „Emporkömmlinge“ und „mittelmäßig“ beleidigt. Er hatte mit Möbeln um sich geworfen und Gläser auf dem Fußboden zerschmettert, bis man ihn mit Gewalt hinausgeworfen hatte. Die kommenden Nächte sollten ihm Frieden bringen.

Sergej Jessenin war 30 Jahre alt. Und schon hatte er das Leben satt, die Frauen, die Schriftstellerei und seine Freunde. Jessenin war das Enfant terrible der Bolschewiken: Er verhielt sich ungehörig und rebellisch, war aber auch talentiert, wurde von der Öffentlichkeit geliebt und war der neuen Obrigkeit gegenüber loyal. In seinen letzten Lebensjahren provozierte Jessenin zunehmend. Sein Werk „Beichte eines Hooligans“ (1921) zeigte aber auch eine andere Seite seiner Persönlichkeit: beklommen und ordinär.

Er war so etwas wie ein Leinwandidol: blond gelocktes Haar, helle Augen – doch seine rauen Manieren passten nicht zu seiner Erscheinung. Frauen mochten Jessenin, und er verschloss sich ihnen nie. Er war drei Mal verheiratet, und alle drei Ehen scheiterten. Seine berühmteste Frau war die US-amerikanische Tänzerin Isadora Duncan. Sie war 45 Jahre alt, er 28. Nach ihrer Hochzeit brachen sie zu einer einjährigen Reise nach Europa und in die Vereinigten Staaten auf. Zur Freude der internationalen Presse gab es zahlreiche öffentlich ausgetragene Streitereien und heftige Ausbrüche von Jessenin, der stets betrunken war. Im Westen schien sich niemand für Jessenins Werk zu interessieren, und vom Foxtrott abgesehen, fand der Dichter dort auch nichts, was ihn interessierte. Die Rückkehr nach Russland besiegelte das Ende dieser stürmischen Partnerschaft.

Im Jahr 1925 heiratete Jessenin in Moskau eine von Tolstois Enkelinnen, Sophia, die ihn dazu zwang, sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. Doch die Therapie erwies sich als wirkungslos. Es schien angesichts seiner Depression und seiner Alkoholabhängigkeit keine Hoffnung zu geben. Nachdem Jessenin das Krankenhaus verlassen hatte, hob er das gesamte Geld von seinem Bankkonto ab und begab sich auf eine Zechtour.

Schließlich landete er in Sankt Petersburg. Er kam, um zu sterben. Zwei Tage verbachte er noch im Wodkarausch. Am 27. Dezember schnitt er sich die Pulsadern auf und erhängte sich dann an den Heizungsrohren an der Zimmerdecke. Er hinterließ ein letztes Gedicht: „Freund, leb’ wohl… Sterben –, nun, ich weiß, das hat es schon gegeben; doch: auch Leben gab’s ja schon einmal.“ Er schrieb es mit seinem eigenen Blut.

Es gibt übrigens das Gerücht, dass sein Tod in Wahrheit gar kein Selbstmord gewesen sei. Tatsächlich soll ihn der sowjetische Geheimdienst umgebracht haben. In den Monaten vor Jessenins Tod war die Obrigkeit beunruhigt über die Ausschweifungen des immer betrunkenen Dichters. Die vielen Schlägereien, die er mit seinen Freunden anzettelte, brachten ihn immer häufiger vor Gericht. Die Bolschewiken fürchteten, dass Jessenin beginnen könnte, die neue Regierung anzuprangern und zu beschimpfen, und dachten daher angeblich darüber nach, ihn unter ständige Bewachung zu stellen. Diese Version der Todesumstände ist jedoch sehr umstritten.

Wladimir Majakowski: „Der Fall ist erledigt“

Wie so oft in der russischen Geschichte hatte der Tod des einen Dichters Auswirkungen auf das Leben eines anderen. Die Nachricht von Sergej Jessenins Tod traf Vladimir Majakowski zutiefst. Für ihn war Jessenins Selbstmord ein Verrat am Kommunismus.

Majakowski war der herausragende Dichter der Revolution, der sich mit Leib und Seele für die Sache der Bolschewiken einsetzte. Der Kritiker Viktor Schklowsky schrieb über ihn: „Majakowski trat in die Revolution ein, als würde er sein eigenes Haus betreten.“ Er brachte den Sozialismus in die Fabriken, seine Gedichte wurden regelmäßig in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, er schrieb Bühnenwerke und arbeitete auch als Schauspieler.

Obgleich Majakowski als Dichter erfolgreich und als Person des öffentlichen Lebens berühmt war, erlitt er in seinem Privatleben viele Enttäuschungen – die Frauen wurden sein Verhängnis.

[…]

Einige Tage, bevor er sich erschoss, hinterließ er einen an seine Mutter, Schwestern und Freunde adressierten Brief, der mit der für ihn so typischen, fröhlichen Ironie geschrieben ist: „Gebt niemandem die Schuld, dass ich sterbe, und bitte kein Gerede. Der Verstorbene hat das ganz und gar nicht gemocht.“ Der Brief schloss mit den Worten: „Wie man so sagt, der Fall ist erledigt; das Boot meiner Liebe ist am Alltag zerschellt. Ich bin mit dem Leben fertig, und wir sollten von gegenseitigen Verletzungen, Kummer und Wut absehen. Viel Glück.“

[…]

Einer weithin akzeptierten Interpretation von Majakowskis Tod zufolge drückte er auf den Abzug, nachdem es zur Trennung von der Schauspielerin Veronika Polonskaja gekommen war, mit der er eine kurze, doch äußerst stürmische Romanze gehabt hatte. Polonskaja war in den Dichter verliebt, aber nicht gewillt, ihren Ehemann zu verlassen. Wenige Augenblicke, nachdem sie Majakowskis Wohnung verlassen hatte, hörte Veronika einen Schuss. Sie lief zu dem Dichter zurück und sah, wie sich ein blutroter Fleck auf seinem weißen Hemd ausbreitete. Majakowski hatte sich in die Brust geschossen. Der Krankenwagen kam für jede Rettung zu spät.

Dennoch sind bis heute nicht alle Hintergründe seines Todes geklärt. Die gescheiterte Liebesbeziehung mag vielleicht nur der letzte Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, denn der Dichter hatte andere große Probleme: Seit Ende der Zwanzigerjahre war Majakowski von der Richtung enttäuscht, welche die sowjetische Politik einschlug. Er schrieb satirische Bühnenstücke, in denen er die sowjetischen Spießer und Bürokraten verspottete, doch die obrigkeitstreuen Kritiker zerrissen diese Werke. Majakowskis persönliche künstlerische Zurschaustellung wurde von den Schriftstellern und den literarischen Autoritäten gleichermaßen gering geschätzt. Wenige Tage vor seinem Tod hatte Majakowski bei seinem letzten Auftritt an der Moskauer Universität von den Studenten nur Beleidigungen und Buhrufe zu hören bekommen. Um all dem die Krone aufzusetzen, wurde Majakowski, der häufig nach Europa reiste, auch noch die Erlaubnis verweigert, das Land zu verlassen.

Er sollte zum Schweigen gebracht werden. Doch er hinterließ seine Stimme in seinen Werken: Die Kraft seiner Kehle werde „euch über die Gipfel der Jahrhunderte und über die Köpfe der Regierenden und Dichter hinweg erreichen“. In der Tat zählte Majakowski auch nach seinem Tod noch zu den Dichtern, die von den Sowjets am meisten verehrt wurden – Straßen, Metrostationen, Schiffe und sogar Planeten wurden nach ihm benannt, und einer der größten Plätze in Moskau trägt ebenfalls seinen Namen.

http://de.rbth.com/lifestyle/2014/07/18/jessenin_und_majakowski_fertig_mit_dem_leben_30377

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Noch ein Auszug zu Jessenin.

Hat Esenin ein Land gesucht, das nur seine eigene Utopie war? Die Vision eines anderen Landes, das heimatlich und ekstatisch zugleich ist? Esenin kann sie nur kurze Zeit aufrechterhalten. Die Revolution, die er begrüßt, muß ihn enttäuschen. Sie stillt das existenzielle Heimweh nicht. Etwas in ihm zerbricht. „Der rauhe Oktober hat mich betrogen“, dichtete er. Und:

Offen und gerade heraus gesagt, ist unsere Republik nur ein Bluff… Eine Herde! Eine Herde! Seht ihr denn nicht, und begreift ihr nicht, daß eine solche Gleichheit nichts nützt, eure Gleichheit voller Lüge und Betrug.

Esenins letzte Jahre sind eine einzige Flucht vor der Sowjetwirklichkeit, deren Mangel, deren pragmatische Kühle er nicht ertragen kann. Kurze Zeit ist er mit der gefeierten Tänzerin Isadora Duncan verheiratet. Die kultivierte Weltbürgerin und der russische Bauernsohn können sich kaum verständigen; Esenin produziert öffentliche Skandale und behandelt die gefeierte Diva wie ein Bauerntrampel. In seiner verzweifelten Heimatlosigkeit weiß er sich selbst nicht zu retten, aber er dichtet genialische Verse:

Mit einem Fuß blieb ich im Alten stecken

Und jagte doch den Stahlkohorten nach –
Und haltlos blieb ich liegen auf der Strecke

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http://www.planetlyrik.de/ursula-krechel-zu-sergej-jessenins-gedicht-meiner-heimat-leb-ich-nicht-mehr-gern/2014/09/

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Gruß Hubert

Veröffentlicht 23. Januar 2017 von hubert wenzl in Literatur, Lyrik, Uncategorized

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ЧЕРНЫЙ ЧЕЛОВЕК – сериал ЕСЕНИН – BLACK MAN – Serie Jessenin   Leave a comment

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ЧЕРНЫЙ ЧЕЛОВЕК – сериал ЕСЕНИН     – BLACK MAN – Serie Jessenin

 
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Ich verstehe zwar kein Russisch, aber ich kann gut nachfühlen was er fühlt. Mir gefällt dieser russische Dichter Jessenin.

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Gruß Hubert

Veröffentlicht 3. Januar 2017 von hubert wenzl in Literatur, Lyrik, Musik, Uncategorized

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Das brennende Scheit   Leave a comment

 

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Ein brennendes Scheit erinnert mich auch an das Leben.
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Ein Scheit fängt Feuer
wird langsam warm und dann heiß
kommt ins Glühen
und an den Höhepunkt
es glüht eine Weile dahin
voll Leidenschaft
langsam verglüht es
immer mehr
es wird kühler und kälter
und erlischt
und wird zu kalter Asche.

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Gruß Hubert

 

Veröffentlicht 26. Dezember 2016 von hubert wenzl in Kultur, Literatur, Uncategorized

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Norbert C. Kaser   1 comment

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Mein Landsmann Norbert C. Kaser war nie ein Bequemer, zu sehr juckte es ihm auch nach Provokation, um die für ihn zu engen Fesseln der Südtiroler Heimat und bornierter Künstler-„kollegen“ zu sprengen. Im folgenden einige Ausschnitte aus seinem Wirken und kurzen Leben (1947 – 1978).

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Ein streitbarer Tiroler war Norbert C. Kaser allemal, erst nach seinem Tod gewann er einen gewissen Einfluss über die Grenzen seiner Heimat hinaus. Nun erscheint ein großer Teil seines Werkes als Taschenbuch.

Von Matthias Kußmann

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Bruneck, wo Kaser sein Leben lang wohnte. Das Bild ist von 1964, Kaser war damals 16 Jahre alt. (picture alliance / dpa)Bruneck, wo Kaser sein Leben lang wohnte. Das Bild ist von 1964, Kaser war damals 16 Jahre alt. (picture alliance / dpa)

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„waer ich doch ein fisch
laege vergiftet im wasser
zur trauer den weibern
waer ich ein weitentfernter
vietnams
verfault im reis
zur freude den maennern
waer ich ein totgesoffner
am innsbrucker bahnhof

alles waer ich gern
nur nicht bei euch
waer ich nur ein toter taxilenker
waer ich nur ein rentnermoerder
waer ich nur ein kinderschaender
waer ich nur student

alles
nur nicht bei euch“

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Der Anfang eines Gedichts, das Norbert C. Kaser um 1970 schreibt. Er sympathisiert mit der 68er-Bewegung und tritt später in die Kommunistische Partei ein – allerdings in Südtirol, weitab der studentenbewegten Metropolen. Und sein Protest gegen die Väter und den Kapitalismus ist nicht, wie damals häufig, modische Pose, sondern innere Notwendigkeit. Kaser ist Zeit seines kurzen Lebens ein Außenseiter. 1947 in ärmlichen Verhältnissen unehelich geboren, von der Großmutter verteufelt, der Vater machte sich aus dem Staub.

„das gehoeft

brenn vaterhaus brenn
brenn großmutterhaus
das vieh ist heraus
sogar die henn

die verrueckten schweine
blendet das licht
gellend faellt der hof
in sich
brenn zu asche
nordwind
vertreibs

brenn vaterhaus brenn
brenn großmutterhaus
das vieh ist heraus
& auch die henn“

Kaser fällt gleich zweimal durch die Matura-Prüfung. Den dritten Anlauf macht er in einem Kapuziner-Kloster, wo er versucht, Brecht als Lektüre durchzusetzen, und erstmals eigene Texte liest. Wie die Brüder reagierten, ist nicht bekannt, jedenfalls verlässt er den Orden nach einem halben Jahr – mit der Matura. Dennoch ist Kaser, auch das ungewöhnlich bei 68ern, ein gläubiger Christ – allerdings ein kritischer. 1976 tritt er aus der Kirche aus.

„da ich ein religiöser mensch bin, trete ich aus der katholischen kirche aus. (…) versuchen Sie nicht mir nachzulaufen oder mich zu belaestigen wie das verirrte schaf – lassen Sie meinetwegen Ihre ewig opfernde lammfromme herde ja auch nur keinen augenblick lang unbehuetet. – mit keinerlei hochachtung …“

Kaser studiert Kunstgeschichte, bricht es ab und arbeitet als Hilfslehrer in kleinen südtiroler Bergschulen, wo er selbst Texte für die Schüler schreibt, weil er Lehrbüchern misstraut. Er ist Mitte 20 und Alkoholiker, die Weinflasche steht beim Unterricht auf dem Pult. Da hat er bereits erste eigene Gedichte publiziert – in kleinen handgemachten Bändchen, eines heißt „Probegesaenge“, eines „20 Collagen und 20 Fuerze“. In die literarischen Karten schauen lässt er sich weder damals noch später. Durch Zufall ist ein kurzes Radiogespräch mit ihm erhalten geblieben. Kaser ist 30 und als Autor völlig unbekannt, noch ist kein Buch von ihm in einem Verlag erschienen.

„Ich bin grundsätzlich gegen Werkstattgespräche. Warum ich irgendwie was schreibe und dass ich etwas schreibe, das soll man bitte mir selber überlassen. Ich möchte auch keine Erklärungen abgeben über dieses oder jenes. Wer´s versteht – ist gut und recht. Wer´s nicht versteht – tut mir Leid.“

Seine südtiroler Autorenkollegen und ihre süßliche Heimatdichtung verspottet er – Kaser orientiert sich an der Weltliteratur. Er liest und liest, vor allem amerikanische Beatpoeten, dann Charles Olson und Robert Creeley. Wie sie nutzt er eine einfache Sprache, Alltagsjargon, Kraftausdrücke, rhythmische Wiederholungen und ungewöhnliche Metaphern. Er verdichtet seine Texte immer mehr, manchmal nähern sie sich dem Haiku, freilich einem bitteren. Wie hier, wenn im letzten Vers die anfängliche Idylle in existentielle Gefährdung umkippt:

„ueber dem meer
in fuelle der mond
die luft ein
schnitt am hals“

Dieses Gedicht steht in Kasers Handschrift auf der Umschlag-Rückseite des Bandes „herrenlos brennt die sonne“, mit dem der Haymon Verlag an den Autor erinnert. Kasers Handschrift ist klar, fast kindlich einfach.

„des esels tod

mein esel mein esel
warum bist du so tot
zucker bring ich dir
in diesem seltnen fall
& tausend kuesse von mir
im frischgestreuten stall“

 

Und die südtiroler Bauernkinder lernen ohne gereckten Zeigefinger, dass sich Nachdenken lohnt, dass man keine Angst vor sogenannten Autoritäten haben muss und dass sich Tiere freuen, wenn sie einen sauberen Stall haben.

„die ersten kuehe waelzen sich vor freude und bruellen, die schweine laufen quietschend davon. Um halbzehn glaenzt der ganze stall.“

Immer wieder versucht sich Kaser in kurzen Prosastücken über sein eigenes Leben und Schreiben klar zu werden. Auch dafür gibt es ein beeindruckendes Beispiel im vorliegenden Auswahl-Band. „warum gerade brixen?“ heißt der Text, in dem der Autor in gespielt naivem Ton über seinen Geburtsort nachdenkt, der ihm niemals Heimat war, über seine uneheliche Geburt und die Jahre bei den „grauen Schwestern“ in einem Nonnenkloster, wohin ihn seine Mutter als Kind gegeben hatte.

„die zeiten waren nicht die besten, aber alois, zu olang ein metzger ohne rechtschreibkenntnisse geworden, versorgte in allem frieden unsere familie mit fleisch & nahrungsmitteln, die zum großteil die grauen schwestern selber fraßen. Diese nonnen ließen mich tagelang in nassen windeln liegen, bis mein kleiner hintern fleischig war & man mich nach kastelruth in pflege gab. Dort traf mich die englische krankheit, dass mein ueberschwerer kopf nur so baumelte …“

Am Ende des Textes steht eine lakonische und Kaser-typische Volte – plötzlich wendet sich, ob ironisch oder nicht, mag der Leser entscheiden, alles zum Guten.

„meine tanten liebten mich & meine großmutter hatte spaeter keinen lieberen enkel als mich. Das ist vorlaeufig alles.“

Kaser soll häufig Briefe und Postkarten an sich selbst geschickt haben, auf denen manchmal nur ein einziges Wort stand. Einmal war es eine Karte mit Giottos Bild „Auferstehung des Lazarus“. Auf die Rückseite notierte er nur das Wort: „hoffentlich“. — Mit 28 muss er, schwer leberkrank, zum Alkoholentzug in die Psychiatrie.

„es ist ein gutes spital mit vielen freiheiten – so viele freiheiten, dass man die vergitterten fenster erst richtig spuert.“

Nach dem Entzug beginnt er wieder zu trinken. Am 21. August 1978, mit 31 Jahren, stirbt Norbert C. Kaser an einem Lungenödem als Folge von Leberzirrhose, mit grotesk aufgequollenem Leib. Sein letztes Gedicht lautet:

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„ich krieg ein kind
ein kind krieg ich
mit rebenrotem kopf
mit biergelben fueßen
mit traminer goldnen haendchen
& glaesernem leib
wie klarer schnaps

zu allem lust
und auch zu nichts
ein kind krieg ich
es schreiet nie
lallet sanft
ewig sind
die windeln von dem kind
feucht & nass

ich bin ein faß“

Ein Jahr nach Kasers Tod erscheint die erste Auswahl seiner Werke. Mehrere Verlage erinnern im Lauf der Jahrzehnte an ihn, darunter Diogenes, die Friedenauer Presse, dann Haymon mit einer dreibändigen Werkausgabe. Er wird jedes Mal von den Feuilletons wiederentdeckt und bald darauf vergessen. Höchste Zeit also, Kasers widerborstige, zugleich poetische Texte neu zu lesen und im Gedächtnis zu behalten.

„kakteen
(…)
bluehen ist ihre staerke nicht

werft sie vom fenster
und mich dazu
mein fallen mit toenernen toepfen
ist mir musik“

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Norbert C. Kaser

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Gruß Hubert

 

Veröffentlicht 19. Oktober 2016 von hubert wenzl in Literatur, Lyrik, Uncategorized

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