Befürworter des Neoliberalismus propagieren immer den schlanken Staat. Weniger Vermögende sind auf einen gut ausgestatteten Staat aber angewiesen. Die Irrlehre des Neoliberalismus schert sich nicht um das Gemeinwohl. Sie fördert Ungleichheit und jene die mehr als genug haben. Die Steuerprogression für die Reichen muss weiter nach oben gehen und Geschenke für sie, wie das zur Zeit geschieht, darf es auf keinem Fall geben.
Rot-Grün und einzelne CDU-Politiker wollen die Steuern erhöhen. Zu Recht. Denn vor allem Betuchte müssen wieder mehr zum Gemeinwohl beitragen, kommentiert Ludwig Greven.
Steuern zahlt niemand gerne. Aber es gibt wohl kaum jemand, der sich nicht schon einmal darüber geärgert hat, dass öffentliche Schwimmbäder, Büchereien und Theater geschlossen werden, weil die Kassen der Gemeinden leer sind, dass Zehntausende Kita-Plätze fehlen, dass es zu wenig Lehrer gibt, dass die Zustände in Alters- und Pflegeheimen oft menschenunwürdig sind, und dass Züge ausfallen, weil die Bahn nicht genug Geld hat. Kurz: dass die öffentliche Armut in einem der wohlhabendsten Ländern der Erde zunimmt, während der private Reichtum eines Teils der Gesellschaft wächst.
Aber gibt der Staat nicht zu viel aus und nimmt er nicht schon mehr als genug ein? Hören und lesen wir nicht ständig von sprudelnden Steuereinnahmen, die Politiker dazu verlocken, die Senkung von Steuern zu fordern? Wieso aber fehlt dem Staat dann dennoch offensichtlich Geld an vielen Ecken und Enden? Wieso nimmt er weiter jedes Jahr viele Milliarden an Schulden auf?
Weil, kurz gesagt, viele staatliche Ausgaben schlicht notwendig sind. Nur hartnäckige Anhänger des neoliberalen Irrglaubens sind noch der Ansicht, allein ein schlanker Staat sei ein guter Staat. Dabei hat gerade die Finanz- und Euro-Krise gezeigt, wie wichtig ein Staat ist, der steuernd eingreifen kann. Erinnert sei an die Konjunkturpakete der Großen Koalition.
Ein handlungsfähiger Staat benötigt die entsprechenden Mittel. Vermögende sind auf gute öffentliche Schulen und Kliniken, auf öffentliche Sicherheit und Subventionen für Theater und Konzerthäuser, auf einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr nicht angewiesen. Alle anderen schon.
Notwendige Ausgaben
Natürlich kann und muss man immer wieder über die staatlichen Aufgaben diskutieren. In manchen Bereichen ließen sich sicher Ausgaben streichen, die staatliche Verwaltung könnte noch effizienter arbeiten, die Politik neigt zur Selbstbedienung. So gut wie jeder Versuch, an irgendwelchen Stellen in größerem Umfang zu sparen, stößt allerdings auf oft durchaus berechtigte Widerstände. Die Pendlerpauschale mag ökologisch ein Irrsinn sein. Aber dürfen Bürger dafür bestraft werden, dass sie nicht in der Nähe ihres Arbeitsortes wohnen?
Die unübersehbaren Mängel im Bildungs- und Gesundheitssystem verlangen zudem eher mehr als weniger Ausgaben. Wer also weniger Staat predigt, müsste genau sagen, wo er was streichen und was er den Bürgern und der Gemeinschaft wegnehmen will.
Der Staat ist nicht der Moloch, als der er gern beschrieben wird, sondern ein Regulativ, ohne das eine solidarische Gesellschaft nicht auskommt. Wozu es führt, immer mehr dem Markt zu überlassen, hat nicht zuletzt die Deregulierung der Finanzmärkte in den neunziger Jahren gezeigt. Erst dadurch konnten die Exzesse der Banken und Spekulanten entstehen, für die dann die Steuerzahler aufkommen mussten.
Ähnlich ist es in der Euro-Krise. Sie beruht im Wesentlichen darauf, dass Banken Ländern Milliardenkredite gewährt haben, die diese absehbar gar nicht zurückzahlen konnten. Für die Folgen haftet nun wiederum der Staat. Um die faulen Kredite zu decken und notleidende Banken bei uns und in den überschuldeten Euro-Ländern zu retten, nimmt er weitere Schulden auf. Auch dafür werden am Ende die Bürger bezahlen müssen, entweder in Form höherer Steuern oder gestrichener staatlicher Leistungen. Von den Zinsen hingegen, die der deutsche Staat für seine mittlerweile mehr als zwei Billionen Euro an Schulden entrichten muss, profitieren vor allem Banken, Investmentfonds und private Anleger, ebenso wie von den vorangegangenen Steuersenkungen.
Es ist eine Trgödie, dass der zerfallende Kommunismus als Gegengewicht zum Kapitalismus zu Beginn der 1990er Jahre wegbrach und in der Folge die sozialen Standards immer mehr zerbröseln.
Hier ein interessanter Artikel von freigeistblog.de
Auszug.
Der zu Beginn der 1990er Jahre, zerfallende Kommunismus war das Gegengewicht zum Kapitalismus und zwang diesen nicht nur in eine räumliche Beschränkung, sondern auch zur Aufrechterhaltung sozialer Standards, zur Erhaltung der Attraktivität als politisches Gegenmodell. Der Wegfall dieses Gegengewichtes entfesselte den ungehemmten und unbegrenzten Kapitalismus, den wir heute Globalisierung nennen.Dies war der Zug auf den Herr Kohl dieses Land, ohne die geringsten Bedenken aufspringen ließ und er führte auf ein totes Gleis, da er auf unbegrenztes Wirtschaftswachstum setzte und dabei ignorierte, das eine unbegrenzte Expansion in einem geschlossenen System nicht möglich ist. Kurzfristig und so dachte Herr Kohl wohl, befreite dieser Weg ihn aber, eine Lüge einzugestehen. Versprach er doch den Deutschen, um die Zustimmung zur Wiedervereinigung zu erhalten, die damals nicht so selbstverständlich war wie sie heute zu sein scheint, nicht nur blühende Landschaften, sondern auch das Unmögliche. Die Wiedervereinigung werde niemanden auch nur einen Pfennig kosten. Kohl brauchte Geld und konnte es durch sein eigenes Versprechen, nicht von den Bürgern fordern. Der Export sollte es richten, das Geld sollte von außen kommen und so wurde der Einstieg in die Globalisierung kritiklos und ohne regulierende Maßnahmen, von der Politik forciert.
Es war nicht so, das niemand erkannte, welch fatale Folgen dieser Weg haben würde, doch die, die ihre Stimme erhoben fanden kein Gehör. Zu weit links schienen die Bedenken und links galt als das überwundene, das falsche Wirtschaftssystem.
Dabei konnte jeder Student der Wirtschaftswissenschaften bereits im ersten Semester erahnen, dass die freie Konkurrenz der Märkte weltweit, nicht nur die Waren in Konkurrenz zueinander stellt, sondern auch die Löhne und Sozialsysteme.
Ein Umstand der zwingend die Angleichung aller Systeme fordert und nur für die Länder positiv sein kann, die aus einem geringeren Level nach oben angleichen, während alle Länder mit gehobenen Standards, nach unten abgleichen müssen. Dieser Umstand wurde in den 1990er Jahren durch indirekte Subventionierung der Löhne und direkte Subventionierung der Sozialsysteme kompensiert, bis zu Beginn des neuen Jahrtausends dies, aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr möglich war.
Mit Beginn des neuen Millenniums war der gefeierte Wohlstand und die beruhigende soziale Sicherheit, die Kernpunkte des wiedervereinigten Deutschlands, eine gewaltige Subventionsblase, die nun zu platzen drohte. So sah sich Bundeskanzler Schröder 2001 genötigt, in einer Rede vor dem Bundestag die Wohlfühlrepublik aufzulösen, indem er mehr Eigenverantwortung forderte und damit sagte, das der Staat in Zukunft nicht mehr, seiner bis dahin selbstverständlichen Verantwortung gegenüber seinen Bürgern, nachkommen werde. Es war das Ende der sozialen und der Beginn der freien Marktwirtschaft, die bald die Hartz Gesetze zur Folge haben sollte.
Peter Hartz der Namensgeber, eines im globalen Kontext zu verstehenden Sozialsystems, profilierte sich gegenüber seinem, nun als Wirtschaftskanzler gelten wollendem Herrn Schröder und Busenfreund, als Wegbereiter eines neoliberalen Wirtschaftssystems nach amerikanischem Vorbild und bewies seine mangelnde soziale Kompetenz nicht nur in einem bisher nicht dagewesenem Gesetzbuch der sozialen Rücksichtslosigkeit, sondern auch durch seine Griffe in die Sozialkassen seines Arbeitgebers, der VW AG, für die er dann später gerichtlich zur Rechenschaft gezogen wurde. Das erste Jahrzehnt des Neuen Jahrtausends wurde zur Dekade der sozialen Entrechtung, begleitet durch den vierstufigen Vollzug eines neuen Sozialgesetzbuches, das in seiner Vollendung als Hartz IV bekannt wurde und bis heute höchst umstritten ist.
[…]
Es war einmal eine gefeierte Errungenschaft freiheitlichen Rechtes, die Sippenhaft abgeschafft zu haben. Auch andere Rechtsgrundsätze, die die Grundsätzlichkeit eines Rechtsstaates begründen, wurden über Bord geworfen. Es galt zuvor das Zeugnisverweigerungsrecht, welches Verwandte ersten Grades und Ehepartner haben, um nicht gegen diese Aussagen zu müssen, insbesondere auch und gerade dann, wenn diese Straftaten begangen haben. Eine Leistungserschleichung von Hartz IV Bezügen wäre auch eine Straftat, jedoch gilt dieses Zeugnisverweigerungsrecht dann nicht mehr. Ehepartner und Verwandte ersten Grades sind gezwungen auszusagen mit katastrophalen Folgen für innerfamiliäre Beziehungen. Bei einem Vorwurf wegen Mordes müssten sie das nicht, weil der grundgesetzlich verankerte Schutz der Familie höherrangig ist. Dies führt zu dem irrwitzigen Rechtsstatus, das zwar jeder massenmordende Terrorist das Recht auf den Schutz seiner Familie genießt, nicht jedoch der Antragsteller sozialer Leistungen, der noch nicht einmal eine Straftat begangen haben muss.
Die Botschaft des Staates ist eindeutig. Das wirtschaftliche Interesse des Staates, die Durchführung der Globalisierung und die marktkonforme Gesellschaft, sind höherrangig zu bewerten, als etwaige Rechte des Bürgers, unabhängig ob diese allgemeine Rechtsgrundsätze oder grundgesetzlich verankert sind. Heute leben mehr als 6 Millionen Menschen ganz oder teilweise von Hartz IV, davon 1,6 Millionen Kinder. Seitens der Politik wird vehement verneint, das diese 8,5 % der gesamten Bevölkerung, Menschen zweiter Klasse sind. Dieses einzuräumen würde den sozialen Frieden gefährden. Doch Hartz IV Bezieher sind Menschen zweiter Klasse, allein schon weil allein für sie, ein Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht gilt und ihnen gegenüber einige Grundrechte nicht zugestanden werden. Mit deutscher Gründlichkeit wurden zwei Rechtssysteme innerhalb dieses Landes etabliert, eines für die wirtschaftlich Unabhängigen und eines für die wirtschaftlich vom Staat Abhängigen. Ein System, welches weltweit in dieser Deutlichkeit einmalig ist und in jedem anderen Land, von der Regierung öffentlich gegeißelt werden würde.
[…]
Arbeit ist nicht mehr das Mittel zur Erfüllung einer eigenen Lebensgestaltung und somit zweitrangig. Sie ist zum zentralen Mittel der Existenzerhaltung geworden. Allein ihren Sinn in Bezug auf das eigene Leben zu hinterfragen, scheint absurd geworden zu sein. Sie allein ist der Erfüllungsmaßstab zur Teilnahme an der Gesellschaft geworden und jeder der sich ihr entzieht ein Sozialschmarotzer.
Dies ist jemand der die Sozialsysteme zu seiner eigenen Bereicherung ausnutzt, ohne bedürftig zu sein und unterstellt es denen, die anstatt jede noch so prekäre Arbeit auszuführen, im Bezug von Hartz IV stehen. Kaum eine Unterstellung ist so böswillig und inhaltlich falsch, wie diese. Schließlich sind es die Unternehmer die unterstützt, von einer ihnen wohlwollenden Gesetzgebung, sich ihrer sozialen Verantwortung entziehen, in dem sie im Verhältnis zu den Arbeitnehmern, unverschämt geringe steuerliche Abgaben, ihrer im weiter steigenden Gewinne genießen. Es sind die Unternehmer, die dreist genug sind ihre Gewinne zu realisieren, in dem sie die Lohnkosten für ihre Arbeitnehmer aus den Sozialkassen mitfinanzieren lassen. Es sind die Unternehmer, die die Infrastrukturen dieses Landes nutzen um ihre Waren und Dienstleistungen zu produzieren und zu verkaufen. Einer Infrastruktur, deren Errichtung und Unterhaltung sie den Steuerzahlern überlassen, während sie sich diesen Steuern zunehmend durch Steuerspar- und Vermeidungsmodelle entziehen. Wenn es Sozialschmarotzer gibt, dann sitzen sie in den Chefsesseln dieser Republik und freuen sich über die tatkräftige Unterstützung der Politik, die sie erpresserisch genötigt haben, für ihre Wunschvorstellung der unbegrenzten Märkte und Gewinne, die Bevölkerung zu verarmen und zu entrechten. Man mag diese Ansicht für hetzerisch halten, doch ist sie es nur, wenn man sie aus einem dieser Chefsessel und nicht aus Sicht der breiten Bevölkerung betrachtet.
Der nächsten Schritt wird nun TTIP sein. Zur Durchsetzung dieses Abkommens werden wieder die Rechte der Bürger eingeschränkt werden müssen, zur Erfüllung der höheren Ziele der Wirtschaft. TTIP ist nur durch massive Veränderungen im Grundgesetz möglich und da auch hier seitens der Regierung der Unmut des Volkes erwartet wird, wird die Grundgesetzänderung erst thematisiert werden, wenn das TTIP-Abkommen bereits unterzeichnet ist. Dann wird auch diese Entrechtung, im sprachlichen Habitus der Kanzlerin, alternativlos sein, da sich die Regierung dann bereits vertraglich dazu verpflichtet hat. Wieder werden es die Rechte der Wirtschaft sein, für die der Einzelne seine, ein weiteres mal ein Stück weit aufgeben mussund es wird wieder die Sozialgesetzgebung sein, der es obliegen wird, diese neuen wirtschaftlichen Rechte, als Arbeitnehmerpflichten umzusetzen. Spätestens seit dem Jahr 2000 und jedem Schritt der aktuellen Sozialgesetzgebung lässt sich sagen. Wer glaubt es geht nicht tiefer, wird schon bald eines besseren belehrt werden.
Das Ende dieser Entwicklung wird erst gekommen sein, wenn für jeden Lebensumstand und jedes Leben selbst, nur noch die wirtschaftliche Begründung ausschlaggebend sein wird. Wer glaubte das die moderne Gesellschaft den Manchester-Kapitalismus überwunden hätte, muss zu Kenntnis nehmen, das dieser als Gedanke und wirtschaftliche Forderung,bereits wieder zurück gekehrt und zu einem pseudo-religiösen Anspruch in den Chefetagen geworden ist, der sich heute nur anderer Mittel bedient.
Vor allem seit dem ungehemmten Einzug des Neoliberalismus nimmt das Geld und der Kapitalismus die Stelle von Gott und Religion ein.
Hier ein Artikel von le-bohemien
Geld und Gott – Kapitalismus als Religion
Welche religiösen Elemente sind im Kapitalismus enthalten? Was charakterisiert seine symbolische Gewalt, mit der er nicht nur seine Hegemonie über die Gesellschaft manifestiert, sondern gleichzeitig auch die religiöse Ideologie des Kirchenapparats als Herrschaftsform abgelöst hat?
Von Armin Stalder
Im Jahr 1921 stellte Walter Benjamin die These auf, dass im „Kapitalismus eine Religion zu erblicken sei“. Er diene der Befriedigung derselben essentiellen Sorgen, Qualen und Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben, so seine prägnante Zusammenfassung.
Gut 70 Jahre später war dieser Befund kaum weniger aktuell.
Jean Ziegler attestierte den sich rasant entwickelnden Finanz-Kapitalismus eine genauso große Macht wie vor ihm Benjamin: „Es ist das zunehmend in den Händen weniger monopolisierte, immer stärker multinational sich ausdehnende Finanzkapital, das unserem Planeten ein fast homogenes Kollektivbewusstsein, ein einheitliches Gesetz des Handelns, universale Referenz-’Werte’ aufzwingt.“
Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 widerspricht dieser Einschätzung wohl kaum jemand mehr. Der Kapitalismus ist die vorherrschende normative Werte- und Gesellschaftsordnung in der westlichen Geographie und bemächtigt sich weltweit kontinuierlich weiteren Peripherien. Dies ist die inhärente Logik der stets fortschreitenden Kapitalakkumulation.
Gott ist tot – die symbolische Ordnung des Kapitals
Nach diesem Prinzip strukturieren sich die grundlegenden Normen der sozialen Interaktionen. Und sie werden von der Mehrheit der Mitglieder einer kapitalistischen Gesellschaft bewusst und unbewusst akzeptiert und praktiziert. In diesem Sinne kann man nach Jacques Lacan von einer „symbolischen Ordnung“ sprechen. Es ist die Maxime für Entscheidungen aller Art, besonders aber in ökonomischen Situationen, und hat sich als kategorischer Imperativ im kollektiven Über-Ich etabliert.
Georg Simmel beschreibt in „Die Philosophie des Geldes“, wie das Geld in der Neuzeit psychologisch langsam die traditionelle Rolle Gottes übernommen habe. Es ist heute nicht mehr länger nur von einer vorherrschenden Wirtschaftsordnung auszugehen, sondern von einem gesellschaftlichen Universalsystem, das durch seine finanzielle Machtposition sämtliche Aktivitäten von Individuen, Gesellschaften und Nationen determiniert. Der Kapitalismus dringt in sämtliche Bereiche menschlichen Lebens vor. Dieses Spektrum erfasst nicht nur Wirtschaft und Politik, sondern auch die öffentliche Verwaltung und reicht von klassischer Schulbildung über kulturelle Einrichtungen bis ins Detail individueller Alltagsentscheidungen.
Friedrich Nietzsches Zitat „Gott ist tot“ ist die geistig-kulturelle Diagnose einer Gesellschaft, in der sich im 19. Jahrhundert der wissenschaftliche und technische Fortschritt rasant entwickelte. Jene zentrale moralische Instanz (Religion institutionalisiert durch den Kirchenapparat), die dem Menschen eine gewisse Orientierung und die dazugehörende Lebensweise vorgab, verlor an Macht, Sinngebung und Einfluss. Seitdem muss – überspitzt formuliert – ein anderer “Lebenssinn” gefunden werden. Die Ausbreitung und Durchsetzung der industriellen Produktionsweise und die sich daraus entwickelnde Herausbildung der heutigen Konsumgesellschaft scheint offenbar dieser neue Sinn als Ersatz für die Religion zu sein.
Der Kapitalismus wird immer skrupelloser und nach dem Fall des Kommunismus fielen auch alle moralischen Schranken. Ich weiß nicht welches System den Kapitalismus ablösen könnte, aber sicher ist, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann. Gewinnmaximierung kann nicht der Sinn des Lebens sein. Diese Gier im Kapitalismus und an den Börsen steht menschlichem Zusammenleben enorm entgegen. Um des Geschäftes willen, wird belogen und betrogen ohne Gewissensbisse.
Hier ein Artikel von rtl.de
Wie die Gier die Welt zerstört: Kapitalismus gerät an seine Grenzen
Ein Kommentar von Oliver Scheel
Die weltweiten Privatvermögen haben sich einer Studie der Schweizer Großbank Credit Suisse zufolge seit dem Jahr 2000 auf 241 Billionen Dollar verdoppelt (derzeit 177,5 Billionen Euro). Der Zuwachs von Mitte 2012 bis Mitte 2013 habe 4,9 Prozent betragen. In Deutschland wuchs die Zahl der Millionäre in US-Dollar seit 2012 am drittstärksten nach den USA und Frankreich. Die Deutschen horten seit Herbst 2013 erstmals mehr als fünf Billionen Euro. Immobilien und Vermögensgegenstände wie Luxusautos sind da noch nicht einmal eingerechnet.
Die Gewinnmaximierung der börsennotierten Unternehmen treibt massenhaft Menschen in die Armut.
Was geschieht mit diesem Geld? Die Reichen haben viel zu viel davon, um es auszugeben. Das Geld gelangt daher nicht in den Wirtschaftskreislauf, sondern es wird an den Finanzmärkten eingesetzt.Dort soll es sich vermehren. Und das tut es. Immer mehr Reiche lassen immer mehr Geld für sich arbeiten. Und dabei kennen sie keine moralischen Grenzen.
„It’s the economy, stupid.“ Mit diesem Satz gewann Bill Clinton 1992 die Präsidentschaftswahl in den USA. Doch es war genau der Bill Clinton, der mit seiner Fixierung auf das absolut freie Spiel der Wirtschaft die aktuelle Krise überhaupt erst ermöglichte. Denn nur ein Jahr nach seiner Wahl zum US-Präsidenten schaffte er das Trennbankensystem ab. Dieser sogenannte ‚Glass-Steagall-Act‘ wurde nach der Weltwirtschaftskrise 1932 eingeführt, damit massive Verluste durch Spekulation an der Wertpapierbörse keine negativen Auswirkungen auf klassische Sparguthaben haben können. Die Banken sollten sich spezialisieren. Das wollte Clinton nicht, er wollte, dass die Banken frei sein sollten in ihrem Tun. Wozu das führte, ist uns allen bekannt.
Jetzt – nach der Krise – wurde durch die Schaffung der Bad Banks das Prinzip aus den 30er Jahren wiederbelebt. Unter diesen Umständen bekommt Clintons berühmter Satz einen sehr faden Beigeschmack und es stellt sich die Frage, wer hier eigentlich ‚stupid‘ war.
Und während Clinton Millionen mit Vorträgen verdient und damit unter Beweis stellt, dass er zum Großkapital gehört, ging sein damaliger Vize Al Gore einen anderen Weg. Er wurde zum großen Warner vor dem Klimawandel, der Ausbeutung der Erde und erhielt dafür sogar den Friedensnobelpreis. Jenen Preis, den Clinton so gerne gewonnen hätte.
Nur in Bulgarien und Rumänien geht die Arm-Reich-Schere weiter auf als in Deutschland
Der Kapitalismus hat viel mit der Umwelt und ihrer Zerstörung zu tun. Denn Gewinnmaximierung, auch Abschöpfung genannt, beruht auf Ausbeutung. Auf Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der humanen Ressourcen, also der Arbeitskräfte.
Und deshalb sind wir ins Endzeitalter des Kapitalismus eingetreten. Wenn die Erde nicht mehr genug Rohstoffe hergibt, wenn die Menschen sich nicht mehr zufrieden geben mit der Bezahlung von Hungerlöhnen, dann ist es vorbei mit der günstigen Produktion und den damit verbundenen riesigen Gewinnmargen.
Während die Löhne und Gehälter seit Jahren stagnieren, macht sich eine finanzielle Oberschicht von Tag zu Tag immer reicher.
Die 85 reichsten Menschen der Welt haben laut der Hilfsorganisation Oxfam das gleiche Vermögen wie die arme Hälfte der Weltbevölkerung.
Auch und im Besonderen sogar in Deutschland. In der EU hat sich die finanzielle Schere zwischen 2000 und 2010 von den 20 Prozent Reichsten und den 20 Prozent Ärmsten nur in Rumänien und Bulgarien noch weiter geöffnet als in Deutschland. Und die Regierung lässt die Unternehmen an der langen Leine. Und so geht die Hatz nach dem schnellen Geld immer weiter.
Doch woher kommt diese krasse Beschleunigung des Kapitalismus in den letzten 20 Jahren? Es hat auch etwas mit dem Fall der Mauer zu tun. Denn aus Sicht des Westens war der Kampf Kapitalismus gegen Kommunismus auch immer der Kampf Gut gegen Böse. Und deshalb gab es im Kapitalismus moralische Bremsen. Die USA und ihre Verbündeten wollten der Welt zeigen, dass man sowohl moralisch als auch wirtschaftlich das bessere System parat habe. Deutschland setzte auf den sogenannten rheinischen Kapitalismus, eine Form der sozialen Marktwirtschaft, die sich gegen neoliberale Thesen stemmte.
Doch mit der Niederlage der Sowjetunion, mit dem Untergang des Kommunismus, fielen auch alle moralischen Schranken. Der Kapitalismus hatte gesiegt und jetzt sollte der Lohn dafür eingefahren werden. Der Turbokapitalismus ging an den Start.
Doch auf wessen Kosten? Auf Kosten der Bürger. Wie die Bundeszentrale für politische Bildung berichtete, ist im Gefolge des neoliberalen Siegeszuges in Deutschland die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse extrem gestiegen. Zwischen 1991 und 2011 stieg die Zahl derer, die teilzeitbeschäftigt, befristet oder von einer Zeitarbeitsfirma geschickt wurden um 3,67 Millionen an. Das ist ein Plus von 86,3 Prozent.
Ich wusste es ja der Gauck ist ein ….. Ist er wirklich so dumm – oder stellt er sich nur so dumm? Er sorgt sich um den Liberalismus. Als wenn da nicht schon genug Ellenbogen-Menschen wären. Man merkt bei Gauck an jedem Wort, jeder Gestik und seiner Mimik, dass er ein Pfarrer ist – und dass er ein ausgeprochener Neoliberaler und Antikommunist ist, weiß man ja schon lange. Eine soziale Marktwirtschaft gibt es schon lange nicht mehr. Sozial ist ein Fremd- oder ein Schimpfwort geworden in bestimmten – besonders auch in neoliberalen Kreisen.
Gauck verteidigt Neoliberalismus
Bundespräsident Gauck hat vor zu viel staatlicher Regulierung gewarnt und mehr Wettbewerb gefordert. Der Begriff Neoliberalismus sei zu negativ besetzt.
Bundespräsident Joachim Gauck hat mehr wirtschaftlichen Wettbewerb und Eigeninitiative in Deutschland gefordert. Gleichzeitig müsse es aber auch mehr Chancengleichheit geben.
Vorbehalten gegen Marktwirtschaft und Liberalismus müsse entgegengetreten werden, denn freier Markt und freier Wettbewerb seien die Eckpfeiler der Demokratie, sagte Gauck in einer wirtschaftspolitischen Grundsatzrede.
Freiheit in der Gesellschaft und Freiheit in der Wirtschaft gehörten zusammen. Gauck rief die Deutschen auf, mehr Mut zum Wettbewerb zu haben. “Ungerechtigkeit gedeiht nämlich gerade dort, wo Wettbewerb eingeschränkt wird, durch Protektionismus, Korruption oder staatlich verfügte Rücksichtnahme auf Einzelinteressen”, sagte Gauck.
Gauck sprach anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg. Walter Eucken (1891-1950) gilt als einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft und Begründer des Ordoliberalismus. Das nach ihm benannte Institut wurde 1954 gegründet. Heute wird es von Lars Feld geleitet, einem der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung.
“Nicht weniger, wohl aber besser gestalteter Wettbewerb macht unsere Marktwirtschaft gerechter”, sagte Gauck. Gelinge dies, aktiviere der Wettbewerb jeden Einzelnen, beziehe ihn ein und lasse ihn teilhaben. Mehr Anerkennung für den Liberalismus
Gauck beklagte, dass der Begriff Neoliberalismus in Deutschland so negativ besetzt sei, obwohl sich dieser doch gegen den Laissez-faire-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts wende. “Ich wünsche mir mehr intellektuelle Redlichkeit – und auch etwas mehr historisches Bewusstsein und Anerkennung für das breite Spektrum des Liberalismus.”
Allerdings gebe es nach wie vor viele Ordnungsaufgaben des Staates, etwa bei der Regulierung von Banken und Finanzmärkten.
Viele Deutsche hielten die Marktwirtschaft nicht für gerecht, sondern beklagten Gier und Rücksichtslosigkeit, sagte Gauck. Ebenso klinge das Wort Freiheit für manche bedrohlich, viele fänden Wettbewerb eher unbequem.
(Anmerkung Hubert: hier könnte der Pfaffe mal nachdenken – denn da haben die Deutschen ausnahmsweise mal recht – Gauck ist auf dem Holzweg – oder er ist eben ein UNSOZIALER MARKTRADIKALER!!)
“Ich kenne viele, die einst fürchteten, eingesperrt zu werden, und jetzt fürchten, abgehängt zu werden.” Darum sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass Wettbewerb nicht einigen wenigen Mächtigen nutze, sondern vielen Menschen Chancen biete.
Voraussetzungen für Chancengleichheit, etwa bei der Bildung, müssten aber durch den Staat geschaffen werden. Immer noch machten Kinder aus bildungsfernen Schichten fünfmal seltener Abitur als Kinder höher gebildeter Eltern, sagte er. “Eine freiheitliche Gesellschaft ruht auf Voraussetzungen, die Markt und Wettbewerb alleine nicht herstellen.”
Sozialpolitik als Sprungtuch
Die Politik müsse auch verhindern, dass die wirtschaftliche Macht Einzelner zu groß werde. Fairen Wettbewerb gebe es nur, wenn Einzelne nicht bevorzugt würden. Auf Dauer tragfähig sei nur eine Wirtschaftsordnung, “die auf das Anliegen der sozialen Gerechtigkeit ziele und – zur Erfüllung dieses Anliegens – auf den höchstmöglichen wirtschaftspolitischen Wirkungsgrad”.
Diese Balance müsse immer wieder neu austariert werden, etwa in der Sozialpolitik. “Ich stelle mir eine aktivierende Sozialpolitik vor wie ein Sprungtuch, das Stürze abfedert, das denjenigen, die es brauchen, dazu verhilft, wieder aufzustehen und für sich selbst einzustehen.”
Welchem Glauben bzw. Religion Neoliberale anhängen zeigt das Buch „Ego“ des FAZ-Mitherausgebers Frank Schirrmacher sehr gut. Denn der Neoliberalismus hat keine wissenschaftlichen Grundlagen. Sein Credo ist das Ego – das ökonomische Ego einiger Weniger. Ich würde den Neoliberalismus in die Nähe von Faschismus rücken. Die Gesellschaft bleibt bei diesem System auf der Strecke. Mit der Macht des Kapitals galoppiren sie über alles drüber und hinterlassen hinter sich nur verbrannte Erde (Heuschrecken-Syndrom).
Auszug von nachdenkseiten.de
Frank Schirrmachers neues Buch „Ego“ – Überhaupt nicht marktkonform
Verantwortlich: Jens Berger
In seinem neuen Buch „Ego – Das Spiel Lebens“ wirft FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher einen tiefen Blick in das Betriebssystem des Kapitalismus. Die Software dieses Betriebssystems ist es, die Schirrmacher in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellt. Diese Software ist auf dem Modell des egoistischen Menschen aufgebaut und steuert heute nicht nur die vernetzten Märkte des Finanzsystems, sondern ist zudem bereits auf dem besten Weg, die Demokratie abzulösen. Es ist zu wünschen, dass Schirrmachers Buch weitere Diskussion über das Wesen des modernen Kapitalismus auslöst – denn nur, wenn wir das Betriebssystem verstehen, können wir es ändern. Von Jens Berger.
Dieses Buch basiert auf einer einzigen These, […] (dem) „ökonomischen Imperialismus“ […]. Damit ist gemeint, dass die Gedankenmodelle der Ökonomie praktisch alle anderen Sozialwissenschaften erobert haben und sie beherrschen.
Frank Schirrmacher
Was meint Angela Merkel eigentlich, wenn sie von „marktkonformer Politik“ spricht? Um erahnen zu können, was „marktkonform“ ist, muss man sich zunächst einmal vergegenwärtigen, was Märkte sind und wie sie ticken. Die Vorstellung von lautstark gestikulierenden Börsenhändlern, die sich gegenseitig ihre Order zurufen, gehört schon lange der Vergangenheit an.
Heute handeln Supercomputer im Nanosekundentakt miteinander, sie kaufen, verkaufen, täuschen, manipulieren und testen dabei ihre Gegenspieler. Oder um es kurz zu sagen – sie spielen. „Ego – Das Spiel des Lebens“ wirft einen Blick auf dieses Spiel, seine Spieler und die Spielregeln.
Grundlage der Spielregeln sind dabei Rechenmodelle, genauer gesagt Computercode, basierend auf Algorithmen. Der Mensch ist in diesen Modellen ein „homo oeconomicus“, ein „rationaler Agent“, dessen einziger Antrieb es ist, im Sinne des Egoismus seinen eigenen Nutzen zu maximieren. Rational ist im Sinne dieses Menschenbilds stets nur ein Handeln, dessen einzige Triebfeder der Egoismus ist.
Der „rationale Agent“ stellt nicht nur die Grundlage neoklassischer und neoliberaler ökonomischer Modelle dar, er ist auch die Kernkomponente der „Spieltheorie“, einem mathematischen Modell, bei dem mehrere Spieler auf Basis „rationaler“, also egoistischer, Motive gegeneinander antreten.
[…]
Nach einem 50 Jahre währenden Kalten Krieg […] befinden wir uns nach dem Ende des Kommunismus in einem neuen Kalten Krieg zwischen demokratischen Nationalstaaten und globalisierten Finanzmarktkörpern.
Frank Schirrmacher
Viele dieser Forscher fanden in den 1990ern bei den boomenden Investmentbanken einen neuen Arbeitsplatz. Die Finanzmärkte waren das neue spieltheoretische Schlachtfeld, auf dem es sehr viel Geld zu verdienen gab. So entwickelten die Mathematiker und Physiker[*] auf Basis der Spieltheorie des Kalten Krieges die Algorithmen, die heute den Handel an den Finanzmärkten bestimmen. Wenn wir also heute von „den Märkten“ sprechen, dann sprechen wir streng genommen vom Ergebnis eines Spiels, dessen Spieler auf Basis vorgegebener Algorithmen handeln, die wiederum den Egoismus der handelnden Subjekte als „Ratio“ verklären und ihn zu alleinigen Triebfeder menschlichen Handelns machen.
Bürger und Staat haben keine Souveränität mehr, sondern »spielen« sie nur. Darum werden Parlamente zu Staffagen und Öffentlichkeiten zu Echoräumen, die man anspricht, um in Wahrheit Märkte zu beeinflussen.
Frank Schirrmacher
Eine Politik, die „marktkonform“ ist, ist somit nichts großartig anderes als eine Politik, die dieses Spiel angenommen hat und sich den Spielregeln beugt. In einer Welt, in der das neoklassische Bild des „homo oeconomicus“ grundlegendes Element der Spielregeln ist und der Egoismus zum rationalen Handeln erklärt wird, bleibt jedoch kein Platz mehr für den Menschen als Mensch. Die „neue Supertheorie“, die laut Schirrmacher eine Melange aus neoklassischer und neoliberaler Ökonomie, Darwinismus und Computertechnologie ist, droht vielmehr in letzter Konsequenz zu einem neuen Totalitarismus zu werden.
Frank Schirrmacher gebührt Respekt und Anerkennung dafür, dass er die Auswüchse des modernen Kapitalismus im Kern benennt. Man kann sich vortrefflich darüber streiten, ob „Ego“ wirklich „ohne Zweifel links“ ist, wie Jakob Augstein es formuliert. Die Kritik an den Auswüchsen des modernen Kapitalismus, dem Dogma effizienter Märkte und der Prämisse, Egoismus sei die maßgebliche Triebfeder menschlichen Handelns, ist sowohl links als auch konservativ. Wenn Politiker und Leitartikler, die sich selbst als Konservative sehen, dies nicht wahrhaben wollen, liegt es vielleicht daran, dass sie eigentlich keine Konservativen, sondern vielmehr Marktliberale sind, die ihre Werte schon längst über Bord geworfen haben. Daher ist es auch ein großer Gewinn für die Debattenkultur, dass diese äußerst wichtige Debatte nicht von einem „Linken“, sondern vom konservativen Vordenker Frank Schirrmacher angestoßen wurde. Denn auf die Frage, ob Algorithmen oder gewählte Politiker über uns unsere Zukunft entscheiden sollen, müssten Linke und Konservative eigentlich die gleiche Antwort haben.
Die Jünger des Neoliberalismus diffamieren Leute, die für mehr soziale Gerechtigkeit, für mehr Gleichheit und einen starken Staat eintreten. gerne mit Wörtern wie Sozialromantiker, Utopisten oder Träumer. Sicher ist hingegen, dass der Neoliberalismus nicht das Ende der Fahnenstange ist und auch noch überwunden wird. Eine totale Ökonomisierung des Lebens und die Ansammlung von Kapital in den Händen einiger Weniger kann nicht Sinn und Zweck des Lebens sein. Der Neoliberalismus rückt in die Nähe von totalitären Systemen und ist zum Teil schon totalitär. Das drückt sich auch in der Sprache dieser Ideologie aus, zum Beispiel wenn sie sagt, dass es keine Alternative zu ihr gäbe. Der Neoliberalismus nimmt dem „Normalbürger“ die Freiheit im genauen Gegensatz zum Begriff liberal. Freiheit und Wohlstand gibt es in diesem System nur für Wenige.
Hier ein Artikel zur Gesellschaft im Neoliberalismus.
Wenn von einem starken Staat die Rede ist, verstehen die Neoliberalen darunter nicht etwa ein Vorsorge- und Interventionsstaat, wie etwa ein ausgebauter Wohlfahrtstaat mit umfassender staatlicher Infrastruktur. Dieser wäre eher als der „schwache totale Staat“ zu definieren, für den die Weimarer Rebublik stand – mit all ihren Parteien und Gewerkschaften, die ihre demokratischen Interessen artikulieren und gegebenenfalls auch durchsetzen konnten.
„Der wirklich starke Staat – ‘total im Sinne der Qualität und Energie’ – wäre dagegen ein autoritärer Staat, der sich auf die Führung von Eliten stützt und mit aller Macht eine liberale Wirtschaftsordnung verteidigt.“ An diesem Leitbild orientierte sich das Staatsverständnis der frühen Ordoliberalen. Hayek macht sich dabei die in Teilen berechtigte Kritik an der Überformung und Unterdrückung in totalitären Gesellschaftsexperimenten des 20. Jahrhundert zunutze, um letztlich alle Formen politischer Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft zu diskreditieren.
Die Vorstellung einer spontanen Ordnung in ihrer evolutionären Unabwendbarkeit trägt aber selbst totalitäre Züge, weil sie „die Marktwirtschaft nicht mehr als ein mögliches Funktionsprinzip wirtschaftlichen Handelns betrachtet, sondern mit Gesellschaft in eins setzt und damit den marktwirtschaftlichen Wettbewerb zum Steuerungsprinzip zivilisatorischer Prozesse erhebt.“ Jedes grundsätzliche Infragestellen des Diktats einer angeblich interessenlosen ökonomischen Rationalität wird, da fern von jeder Sachlogik dieser Welt als utopisch diffamiert.
Arundhati Roy beschreibt treffend einen Diebstahl der Sprache:„Diese Usurpation von Worten, die wie Waffen eingesetzt werden, um Absichten zu verschleiern und die jetzt genau das Gegenteil von dem bedeuten, was sie einst besagten, ist einer der brillantesten strategischen Siege in diesem neuen System. Die Kritiker werden marginalisiert, indem man ihnen die Sprache nimmt, mit der sie Zweifel vorbringen könnten. Man diskreditiert sie als “Feinde des Fortschritts”, als “Anti-Reformer” und natürlich “Feinde der Nation”. Man erklärt sie zu Verweigerern der übelsten Sorte.“
Die beschriebene Umdeutung der Begriffe trifft insbesondere die seit jeher umstrittenen Grundwerte und Hauptprinzipien der Aufklärung: Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.
Vielleicht hat der Siegeszug der demokratischen Marktwirtschaft in Europa , welche sich im Kampf der Systeme gegen den Faschismus, als auch später gegen den real existierenden Sozialismus durchsetzte, durch seine nun zwei Jahrzehnte währende Konkurrenzlosigkeit und Deutungshoheit, die Verkrustung und Dogmatisierung des internen Diskurses gefördert. Hat sich der Neoliberalismus nicht den Sieg über alle konkurrierenden Systeme und damit das Ende der Geschichte auf die eigenen Fahnen geschrieben? In seinem Anspruch, absolut zu sein, rückt er jedoch genau in die Nähe der totalitären Systeme, die er bekämpft wissen will.
Ein guter Artikel vom unheilvollen Treiben der kürzlich verstorbenen eisernen Lady Margaret Thatcher, der woz.ch, finde ich.
Den heute vorherrschenden marktradikalen Neoliberalismus haben wir ja hauptsächlich ihr (zusammen mit Ronald Reagan) zu verdanken.
Hier nun der Artikel.
Keine andere politische Figur Europas hat in den letzten Jahrzehnten das Denken weit über das eigene Land hinaus so geprägt wie Margaret Thatcher. Und so viel Verheerendes angerichtet.
Eine überlebensgrosse Figur: Margaret Thatcher (1925–2013). Foto: Daniel Munoz, Reuters
Sie behielt ihr Ziel stets im Auge und zeigte sich zuweilen pragmatisch. Sie war entschlossen und hatte gleichwohl manchmal Mitgefühl. Sie verfolgte strikt eine Mission und legte trotzdem eine überraschende Flexibilität an den Tag. Es gibt durchaus Positives zu sagen über die erste Premierministerin des Vereinigten Königreichs, die am Montag einem Schlaganfall erlag. Aber nicht viel.
Denn Margaret Thatcher hat vor allem zerstört und das Neue, das sie schuf, ausschliesslich den Reichen und Mächtigen zukommen lassen. Sie hat das Sozialgefüge Britanniens demontiert, die Wirtschaft deindustrialisiert, Kriege vom Zaun gebrochen, die Demokratie ausgehöhlt, Millionen ins Elend gesetzt, ganze Landstriche entvölkert, sich mit den falschen Leuten verbündet (der chilenische Diktator Augusto Pinochet war für sie «ein guter Freund», Nelson Mandela hingegen «ein Terrorist»), den Londoner Finanzplatz dereguliert
(die Folgen sind angesichts von Offshore-Leaks gerade wieder zu besichtigen), die Eliten verhätschelt, einen permanenten Klassenkrieg von oben geführt – und all jene kollektiven Organisationen zerstört, die ihr im Weg standen. Und sie hat polarisiert, bis über ihren Tod hinaus. Während die politische Klasse ihr Hinscheiden bedauerte, kam es in zahlreichen Städten – von Bristol bis Glasgow, von London bis Derry in Nordirland – zu spontanen Freudenbekundungen. Vergleichbares war seit dem Sturz osteuropäischer Potentaten nicht mehr zu beobachten.
«Die Eiserne Lady ist weg», jubelte einer auf dem Netz, «möge sie in Frieden rosten.»
Und das war noch recht freundlich formuliert.
Glück und Wille
Wie aber hat es die Krämerstochter aus dem kleinen Örtchen Grantham geschafft, zur einflussreichsten Person an der Regierungsspitze seit Clement Attlee zu werden, jenem grossen Reformer kurz nach dem Krieg? Durch eisernen Willen, weil sie zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle war und mit viel Glück. In den siebziger Jahren steckte Britannien in einer Strukturkrise. Die alten Kolonien waren weggebrochen, der Nachkriegskonsens bröckelte, der Internationale Währungsfonds zwang der damaligen Labour-Regierung ein drastisches Sparprogramm auf, das nicht im Interesse der Lohnabhängigen war. Zudem waren die VertreterInnen des bisherigen paternalistischen und sozialpartnerschaftlichen Tory-Konservatismus verschlissen.
Margaret Thatcher trat gegen sie an, gewann 1974 die Wahl zur Tory-Vorsitzenden, dann 1979 die Unterhauswahl (bei der sie allerdings weniger Stimmen erhielt als frühere konservative Premierminister) und kam 1982 als überaus unpopuläre Premierministerin in den Genuss eines militärischen Abenteuers der damaligen argentinischen Militärjunta. Der Falklandkrieg – der auch politisch hätte gelöst werden können – rettete sie ebenso wie bei den nachfolgenden Wahlen die Spaltung der Opposition: Die Labour-Partei bekam in Form einer Sozialdemokratischen Partei Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Über elf Jahre lang regierte Thatcher das Land – bis ihr lange Zeit grosses politisches Gespür sie im Stich liess, sie eine Einheitssteuer, die sogenannte Poll Tax, durchpaukte. Es kam zu Rebellionen im ganzen Land, in deren Gefolge sie 1990 von den eigenen Leuten entmachtet wurde.
Gegen den «inneren Feind»
Diese elf Jahre nutzte Thatcher auf vielfältige Weise. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, die Kapitalverkehrskontrolle abzuschaffen. Danach setzte die Anhängerin der marktradikalen Chicagoer Schule von Milton Friedman eine lange Reihe von Privatisierungen in Gang: Sie verhökerte die staatlichen Energiegesellschaften, das Nordseeöl, die Häfen, British Telecom, British Airways, die Strom- und die Wasserversorgung an die Banker, befreite 1986 deren City of London von bis dahin geltenden Auflagen und senkte den Spitzensatz der Einkommenssteuer schrittweise von 83 auf 40 Prozent. Das konnte sie jedoch erst tun, nachdem sie den Gegner beseitigt hatte, der ihre neoliberale Politik hätte stoppen können: die Gewerkschaften. Und insbesondere die NUM, die Organisation der damals rund 170.000 kampfstarken und selbstbewussten Bergarbeiter.
Nach langer Vorbereitung und einer Militarisierung der Polizei (die bis heute gegeben ist) gewann sie die epochale Auseinandersetzung 1984/85 gegen den «inneren Feind»; die lange Gegenwehr der «miners» prägt bis heute die Erinnerung an die Thatcher-Zeit. Es folgten Siege über die Drucker, die Docker, die EisenbahnerInnen und eine antigewerkschaftliche Gesetzgebung, die bis heute die Trade Unions lähmt. Doch Thatcher griff nicht nur zur schieren Gewalt – auch wenn die Polizeiübergriffe, die 1981 zu den Unruhen in den Ghettos von London, Bristol oder Liverpool führten, die Polizeieinsätze gegen die Friedensfrauen von Greenham Common oder die handstreichartige Abschaffung der demokratisch gewählten Metropolitan Councils in den Labour-dominierten Grossstädten dies vermuten lassen.
Individuum statt Gesellschaft
[…] «Es gibt keine Gesellschaft, sondern nur Individuen» lautete ihr Schlachtruf, mit dem sie die neoliberale Denkweise hegemonial verfestigte – nicht nur in Britannien, sondern (in Partnerschaft mit US-Präsident Ronald Reagan) weit darüber hinaus: Alle sorgen für sich. Jede gegen jeden. Heraus kam eine Ich-ich-ich-Ellenbogen-Konsum-Gesellschaft. Und ein betriebswirtschaftliches Budgetverständnis, das – siehe die Rezepte zur Bewältigung der Eurokrise – ganze Volkswirtschaften in den Ruin treibt; so wie Thatcher es während ihrer Amtszeit tat. Sie hat nicht «Britannien gerettet», wie es jetzt heisst. Sondern innerhalb weniger Jahre die industrielle Produktion um ein Viertel gesenkt, die Arbeitslosigkeit in die Höhe getrieben und die Kriminalität um siebzig Prozent gesteigert.
Von Pit Wuhrer
Hier meiner Meinung nach eine ausgezeichnete Analyse von Sepp Woll-Strasser vom ÖGB, was man in Wirklichkeit mit den drastischen Sparmaßnahmen erreichen will, nämlich den Sozialstaat so weit als möglich zu zerstören.
Hier der Bericht im „der Standard“.
Angriff auf das europäische Wohlfahrtssystem.
Von falschen Schuldzuweisungen und notwendigen Tabubrüchen in der Debatte um das hellenische Finanzdebakel – Von Sepp Wall-Strasser
Es ist, also wohnte man einem rituellen Schlachtopfer bei: Da wird uns ein Land vorgeführt, welches alle Übel und Krankheitserreger der Zeit in sich trägt – korrupt bis in die Knochen, faul, verschlagen, verschwenderisch. Ganze Heerscharen von Staatsbeamten liegen dem Staat auf der Tasche, die halbe Bevölkerung lebt in Pension, kein Wirt zahlt Steuern – ein Abschaum von Land! Sogar Investmentbanker ekelt es noch beim Aussprechen des Urteils: „Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt!“ In seiner öffentlichen Strafung wird Heilung für ganz Europa liegen.
Sündenbockphänomene treten vor allem in religiös-ideologisch fundierten Gesellschaften auf, die stark dazu neigen, ihre eigenen Grundfesten zu tabuisieren. Das Opfern des Sündenbocks hat die Funktion, nichts am System ändern zu müssen, sondern die bedrohte Ordnung wieder herzustellen. Erstaunlich, wie das auch im angeblich säkularen Informationszeitalter funktioniert. Mystifizierungen, Halbwahrheiten und offene Lügen setzen sich als politische Kategorien durch. Welche Tatsachen werden am Beispiel Griechenland im öffentlichen Diskurs tabuisiert?
1. Griechenland ist zum Spielball der Spekulanten geworden. Die hohe Verschuldung (115% des BIP) ist nicht der Hauptgrund der gegenwärtigen Krise, sondern die Spekulation auf Staatsbankrott und die ideologische Borniertheit der Politik und der EZB. Hohe Schulden haben die meisten Länder. Japans Schuldenstand liegt bei 200% des BIP. Aber Länder wie die USA und Japan können ihre Schulden direkt über ihre Zentralbank refinanzieren. Das ist vernünftig, weil sie sich den Märkten und der Spekulation nicht ausliefern und dadurch die Zinslast geringer ist. Diese Option haben in der Eurozone nur die Banken, nicht die Staaten. Die Banken bekamen im letzten Jahr trotz vieler toxischer Papiere unbegrenzt EZB-Geld zu einem Zinssatz von 1%. Den Staaten stand das nicht zu, weil die EZB-Verfassung eine Finanzierung der öffentlichen Körperschaften bisher aus ideologischen Gründen ausschloss!
2. Die „faulen Griechen“ leben nicht in Saus und Braus: 20 Prozent der Griechen sind von Armut bedroht, das monatliche Durchschnittseinkommen liegt bei 700 bis 1000 Euro. Dies ist anscheinend noch zu viel. Denn man wirft Griechenland (und den übrigen „PIGS“ ) vor, deswegen so hohe Schulden zu haben, weil sie zu wenig konkurrenzfähig sind. Was auf Deutsch (im wahrsten Sinn des Wortes) heißt: nochmals mit den Löhnen runter! Schuld daran aber ist vor allem Deutschland, weil es seit Jahrzehnten Lohndumping betreibt.
Die Einführung der Währungsunion mit einem Inflationsziel von zwei Prozent sah auch vor, die Löhne ungefähr zwei Prozent über der Produktivität zu halten. Deutschland ist massiv darunter geblieben, deutsche Unternehmen wurden zu Gewinnern, während fast alle anderen darunter leiden. Das ist ein klarer Verstoß gegen den Geist der Währungsunion.
3. Die Korruption ist nicht der Kern des Übels. Selbstverständlich gehört zu jedem Supermarkteinkauf eine ordentliche Rechnung. Aber auch hier ist es wie bei den Beamtentöchterpensionen: Damit steht oder fällt keine Volkswirtschaft. Vielmehr haben wir es mit dem generellen Problem der Steuerungerechtigkeit in Europa zu tun. Griechenland ist eines der Schlusslichter beim Aufkommen von Einkommens- und Gewinnsteuer: Es liegt bei nur 7,5% des BIP (OECD-Durchschnitt: 12%). Selbständige und Vermögende tragen fast nichts bei, in der Schweiz lagern mindestens 16 Mrd. griechisches Schwarzgeld. Der Euro-Pakt gibt keinerlei Vorgaben für mehr Steuerdisziplin, was ihn u. a. auch deswegen wieder zerstören kann.
Alternativen zu dieser Strategie gäbe es durchaus, sie umzusetzen würde allerdings mehrere schwere Tabubrüche voraussetzen. Hier die vordringlichsten:
Tabubruch eins: Freie Finanzmärkte sind nicht effizient. Anstatt Narrenfreiheit fürs Kapital braucht es eine grundlegende Neuregulierung der Finanzmärkte, die sofortige Einführung einer Finanztransaktionssteuer, Zerschlagung systemrelevanter Banken, Reform der EZB, … Die letzten zwei Jahre wurden total verschlafen.
Tabubruch zwei: Das Heil liegt nicht in Konkurrenz und Export, ganz im Gegenteil. Damit eine Währungsunion funktioniert, braucht es auch eine gemeinsame Steuer-, Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Lohnpolitik. Diese muss alle Mitglieder zu Lohnerhöhungen im Ausmaß der Produktivität verpflichten (was Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit senken und Griechenlands Handelsbilanz heilen würde) und die Besteuerung von Vermögen, Kapitalerträgen und Finanztransaktionen harmonisieren.
Tabubruch drei: Investieren statt Sparen. Sparen führt nicht aus der Überschuldung, sondern in die Rezession. Wenn jetzt die Löhne und Pensionen in Griechenland gekürzt werden, wenn Spanien, Portugal, Italien diesem Kurs folgen und Deutschland sich mit seinem Neuverschuldungsverbot durchsetzt, dann gute Nacht, armes Europa! Stattdessen braucht es eine Sanierung der Haushalte über Festlegung von Zinssätzen und massive Investitionen in Zukunftsbereiche – Ökologie, Bildung und Soziales.
Das Hauptproblem unserer Tage ist also nicht der Mangel an Lösungen, sondern dass diese von den Verantwortlichen nicht gewollt sind, weil sie offenbar ein anderes Ziel verfolgen: den Angriff auf den europäischen Wohlfahrtsstaat. Plötzlich fordern nämlich die sozialpolitischen Hardliner eine Wirtschaftsregierung – aber nicht, um den sozialen Zusammenhalt zu fördern, sondern um direkt in die Budget- und vor allem Sozialpolitik der einzelnen Mitgliedsländer eingreifen zu können. Dann bestimmen nicht mehr die nationalen Regierungen und Parlamente, ob es ein öffentlich finanziertes Pensions- und Gesundheitssystem oder einen freien Zugang zu Bildung gibt, sondern dies machen dann die Monetaristen der EZB, des IWF und die dahinter lauernden „Investoren“ .
So macht das eingangs beschriebene rituelle Opfern Sinn: Es soll uns eindrucksvoll vor Augen geführt werden: „Ihr alle habt über eure Verhältnisse gelebt!“ Nicht die Investmentbanker mit Milliardenboni, nicht die Aktionäre der systemrelevanten Banken, nicht die Spekulanten, die die Staatsbudgets aussaugen – nein, wer fünf Wochen Urlaub im Jahr genießen will, wer sich an seiner bescheidenen Pension erfreut, ein 13. und 14. Monatsgehalt zum Ausgeben hat – der ist der „wahre“ Krisenverursacher!
Vor dem Hintergrund dieser Deutungslogik ist der Blick auf Griechenland zugleich ein Blick in unsere Zukunft: Was der neoliberalen Sparpolitik der letzten 25 Jahre nur Schritt für Schritt gelungen ist – den Wohlfahrtsstaat zurückzudrängen -, soll nun offenbar in einem raschen Coup vollendet werden.
Insofern ist die Solidarität mit den Protestaktionen der griechischen Bevölkerung Hilfe zur Selbsthilfe. Damit nicht auch wir demnächst zur Schlachtbank geführt werden … (Sepp Wall-Strasser, DER STANDARD, Printausgabe, 14.5.2010)
Zur Person
Sepp Wall-Strasser ist Bereichsleiter für Bildung und Zukunftsfragen im ÖGB Oberösterreich.