Diesen Beitrag schreibe ich, da es in Deutschland in rechten Kreisen immer salonfähiger wird, sich unverschämt Anleihen aus dem Nationalsozialismus zu nehmen. So wie es ein Björn Höcke in einigen seiner Reden tut. Der hätte ja am liebsten, wenn in den Schulen nicht mehr über das Dritte Reich gesprochen würde um die Erinnerungskultur vergessen zu lassen und man keine „dämliche Bewältigungskultur“ in Deutschland weiterfürt. Den Gedenktag an Auschwitz würden Leute wie er wohl sofort abschaffen. Manchmal wird einem von Rechten auch gesagt, man hätte keine Ahnung vom Dritten Reich. Ich möchte damit das Gegenteil beweisen. Ich glaube ein bisschen Geschichtsunterricht tut vielen gut. Wie sagt der Bundeskanzler von Österreich, Kreisky, einmal: „Lernt Geschichte“. Manche möchte ja am liebsten nur die Gegenwart betrachten und alles vergessen was mal war. Ohne Vergangenheit kann man aber auch nicht sich selbst verstehen.
Lieber Gott mach mich stumm, dass ich nicht nach Dachau komm, war ein Spruch im Hitler-Reich. Die regierende NSDAP ist zur Staatspartei erklärt worden. Die Opposition, (Kommunisten, Sozialisten, bekennende Christen), sitzt in den Konzentrationslagern. Dafür herrscht Ruhe und Ordnung im Land. Wo gehobelt wird, fallen Späne, sagen die Deutschen.
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Aus ard.de – Auszug.
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Nationalsozialismus Die wichtigsten Ereignisse – Audio-Datei
Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Reichskanzler begann Hitler damit, Staat und Gesellschaft vollständig umzukrempeln – und sämtliche Grundlagen, die eine Zivilisation ausmachen, außer Kraft zu setzen.Es sollte ein germanisches Weltreich entstehen, die „arische“ alle anderen Rassen beherrschen und die Juden „mit Stumpf und Stiel ausgerottet“ werden. Ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse der NS-Zeit – von der Machtergreifung über die Pogromnacht, den Beginn des Zweiten Weltkriegs, die Wannsee-Konferenz bis zur Stunde Null.
Nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 zweifelte kaum jemand daran, dass die Weimarer Republik der Vergangenheit angehörte. Die Wendung zum autoritären Regime war in Europa nichts Unerhörtes, seit den 1920er Jahren war die Demokratie in vielen Ländern verdrängt worden. Worin sich das NS-Regime aber von den diktatorischen Systemen in anderen Staaten unterschied, waren die rücksichtslose Vehemenz und die Brutalität, mit der die NS-Führung ihren uneingeschränkten Führungsanspruch durchsetzte. Im abgestimmten Zusammenspiel von Terror und Propaganda errichteten die Nationalsozialisten in wenigen Wochen die von ihnen angestrebte Diktatur. Die in Deutschland nahezu allgegenwärtigen Hakenkreuze und Hitler-Porträts zeugten von der Alleinherrschaft der NSDAP und dem Personenkult um den „Führer“. Erst nach Kriegsende 1945 wurden vielen nunmehr beschämten Deutschen der verbrecherische Charakter und der Rassenwahn des NS-Regimes bewusst, mit dem sie zwölf Jahre lang die feste Erwartung auf eine bessere Zukunft verbunden hatten.
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Machtübernahme
Der Weimarer Republik mit ihrem als „demokratischem Chaos“ empfundenen Parlamentarismus hatten nur noch wenige Deutsche einen Ausweg aus der Weltwirtschaftskrise sowie der zerfahrenen politischen und sozialen Situation zugetraut. Von Hitler erhofften sich viele Deutsche die Rückkehr zu nationaler Geschlossenheit sowie wirtschaftlichen Aufschwung. Doch sowohl die Anhänger und Mitläufer des NS-Regimes als auch deren Gegner verkannten in aller Regel die dem Nationalsozialismus innewohnende Dynamik und Skrupellosigkeit, vor allem aber dessen sozialrevolutionäre Stoßkraft. Ein Großteil der Öffentlichkeit schätzte Hitler völlig falsch ein: Er war eben kein Politiker, sondern Ideologe und Revolutionär, die herkömmlichen Kategorien der europäischen Politik waren ihm fremd und gleichgültig. Gegen seine Gegner ging das NS-Regime von Anfang an mit äußerster Härte vor. Politisch Andersdenkende sowie Menschen, die demNS-Rassenidealnicht entsprachen, wurden verfolgt und entrechtet. Ein Instrument der NS-Herrschaft waren neu errichteteKonzentrationslager(KZ), die für politische Gegner und Minderheiten wie Juden oder Sinti und Roma zu Stätten brutaler Willkür wurden. Homosexuelle, Behinderte oder so genannte Erbkranke waren ebenso Opfer von gewaltsamen Maßnahmen.Die einen Tag nach dem Reichstagsbranderlassene Notverordnung vom 28. Februar 1933 hatte die politischen Grundrechte außer Kraft gesetzt und über das Deutsche Reich einen permanenten, bis 1945 nie aufgehobenen Ausnahmezustand verhängt. Der Verlust persönlicher Freiheitsrechte wurde bei einem Großteil der deutschen Bevölkerung durch positiv empfundene Veränderungen und den Zugewinn nationaler Souveränität kompensiert.
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„Volksgemeinschaft“ und Propaganda
Die zügige Reduzierung der Arbeitslosigkeit, sozialpolitische Maßnahmen und Einrichtungen wie das Winterhilfswerk gegen Hunger und Armut, die NS-Volkswohlfahrt und nicht zuletzt die beliebte Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ brachten dem NS-Regime bei den meisten Deutschen ebenso nachhaltig Sympathien ein wie die mit großem Aufwand betriebenen Olympischen Spiele 1936. Hinzu kamen außenpolitische Erfolge, mit denen Hitler die als Schmach empfundenen „Ketten von Versailles“ sprengte, das nationale Selbstbewusstsein der Deutschen immer weiter stärkte und Deutschland sukzessive auf Augenhöhe mit anderen Großmächten hievte: die Rückgewinnung des Saargebietes 1935, die Stationierung von Truppen im entmilitarisierten Rheinland 1936, der „Anschluss“ Österreichs und das Münchner Abkommen mit der dort beschlossenen Einverleibung des Sudetenlandes 1938 sowie die „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ 1939.
Bereits im März 1933 war das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ unterJoseph Goebbels geschaffen worden. In kurzer Zeit gewann Goebbels die völlige Kontrolle über alle Medien und das kulturelle Leben. Presse, Rundfunk, Film und Literatur standen von nun an im Dienst der nationalsozialistischen Weltanschauung. Wie kein anderer Politiker seiner Zeit bediente sich Goebbels aller Möglichkeiten von Propaganda. Öffentliche Feste und Großveranstaltungen dienten der Selbstinszenierung und der Machtdemonstration des NS-Regimes. Alljährlich inszenierte Massenkundgebungen beschworen und festigten die Einheit von „Führer“, Partei und Bevölkerung. Zehntausende ließen sich auf diesen Massenveranstaltungen von der allgemeinen Begeisterung mitreißen und jubelten „ihrem“ Führer Adolf Hitler zu. Weite Teile der Bevölkerung verehrten ihn überschwänglich. Der Mitte der 1920er Jahre in der NSDAP entwickelte Führerkult wurde ab 1933 zum Organisationsprinzip eines ganzen Landes.
Parolen wie „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ stärkten das Gemeinschaftsgefühl und die Identifikation des Einzelnen mit dem NS-System: Die von den Nationalsozialisten propagierte „Volksgemeinschaft“ wurde von den meisten Deutschen auch als solche empfunden.
Der Nationalsozialismus drängte ab 1933 in alle Bereiche von Staat und Gesellschaft, die einer rigiden Gleichschaltung mit dem Anspruch unterworfen waren, das öffentliche und private Leben mit NS-Ideologie zu durchdringen. Zahlreiche NS-Organisationen prägten das Alltagsleben der Deutschen jeglichen Alters. Im Zuge einer „geistigen Mobilmachung“ sollten sie zu überzeugten Anhängern des Regimes werden. Nicht mehr Beruf, Bildung, Herkunft oder Besitz sollten für die Bewertung eines Menschen wichtig sein, sondern nur noch seine Abstammung und sein Einsatz für die Gemeinschaft.
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Rassismus, Terror und Verfolgung
Allerdings fanden einzelne Maßnahmen, wie etwa die im Rahmen des staatlichen Antisemitismus verabschiedeten Nürnberger Gesetze von 1935 oder das Pogrom am 9. November 1938, in der Bevölkerung nicht nur die von der NS-Führung gewünschte und erwartete Zustimmung. Ihnen wurde zum Teil unverhohlene Ablehnung entgegengebracht. Von Anfang an gab es auch fundamentalen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Dieser Widerstand wurde von weltanschaulich ausgesprochen unterschiedlichen Gruppen getragen und reichte von passiver Resistenz bis zum Attentat. Viele Gegner des Nationalsozialismus sahen sich angesichts von Gewaltherrschaft und persönlicher Verfolgung bald zurEmigrationgezwungen.Geheime Staatspolizei und eine gleichgeschaltete Justiz spannten ein zunehmend engeres Netz der Verfolgung. Überwachung, Verbote, Willkürmaßnahmen und gewaltsame Übergriffe waren an der Tagesordnung.
Die Nationalsozialisten gingen von der sozialdarwinistischen Vorstellung eines naturgegebenen „Kampfes um das Dasein“ der Völker und Rassen aus und waren von der Überlegenheit der „arischen Rasse“ überzeugt. Aus nationalsozialistischer Sicht war dieser Kampf unausweichlich. Zu Hitlers grundlegenden Zielen gehörten daher von Anfang an die Vernichtung des „jüdischen Bolschewismus“ und die Eroberung von„Lebensraum im Osten„.Voraussetzung dafür war ein Krieg gegen Polen.Als die NS-Führung im März 1939 gegenüber dem östlichen Nachbarstaat einen immer aggressiveren Konfrontationskurs einschlug, verschärften sich die deutsch-polnischen Spannungen. Um die deutsche Machtausdehnung einzudämmen, garantierten Großbritannien und Frankreich die Unabhängigkeit des polnischen Staates. Davon unbeeindruckt, wies Hitler die Wehrmachtsführung im April 1939 an, einen Feldzug gegen Polen vorzubereiten. Gleichzeitig stellte Hitler seine ideologische Ablehnung des „Bolschewismus“ zurück. Seinen Außenminister Joachim von Ribbentrop ließ er Verhandlungen mit der Sowjetunion aufnehmen, um die Möglichkeiten eines gemeinsamen Vorgehens gegen Polen auszuloten. Der auch im Ausland für kaum möglich gehaltene Nichtangriffsvertrag zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der kommunistischen Sowjetunion vom 23. August 1939 regelte die Interessensphären der Vertragspartner und ermöglichte beiden Staaten, einen Krieg gegen Polen zu führen.
Wenn sie jetzt ganz unverhohlen, wieder Nazi-Lieder johlen,
über Juden Witze machen, über Menschenrechte lachen,
wenn sie dann in lauten Tönen saufend ihrer Dummheit frönen,
denn ein Deutscher hinter’m Tresen muss nun mal die Welt genesen,
dann steh auf und misch dich ein:
Sage nein!
Meistens rückt dann ein Herr Wichtig die Geschichte wieder richtig,
faselt von der Auschwitz-Lüge, leider kennt man’s zur Genüge,
mach dich stark und misch dich ein, zeig‘ es diesem dummen Schwein:
Sage nein!
[…]
Und wenn sie in deiner Schule ploetzlich lästern über Schwule,
schwarze Kinder spüren lassen, wie sie and’re Rassen hassen,
Lehrer, anstatt auszusterben, Deutschland wieder braun verfärben,
hab dann keine Angst zu schrei’n:
Sage nein!
Ob als Penner oder Sänger, Bänker oder Müßiggänger,
ob als Priester oder Lehrer, Hausfrau oder Straßenkehrer,
ob du 6 bist oder 100, sei nicht nur erschreckt verwundert,
tobe, zürne, misch dich ein:
Auf die Idee für diesen Beitrag hat mich das politische Magazin „miz“ (Materialien und Informationen zur Zeit) gebracht, wo das Buch von Martin Luther „Von den Juden und ihren Lügen“ vorgestellt wird.
Mit Martin Luther hat die Evangelische Kirche ein erhebliches Problem: der Reformator war ein wirkmächtiger Judenhasser. Unter seinen judenfeindlichen Hetzschriften sticht sein Buch Von den Juden und ihren Lügen von 1543 in makabrer Weise hervor. Luther war den Juden zuerst freundlich gesinnt, weil er hoffte, dass sie in Scharen zur neuen lutherischen Kirche übertreten würden. Als das nicht zutraf, wandelte sich das zum Hass auf Juden um.
Vorausschicken möchte ich auch, damit keine Missverständnisse entstehen, dass ich keiner Religion nahe stehe. Meine Meinung ist, dass die Welt ohne Religionen besser da stünde. Eine Welt ohne Religionen wäre bereits ein großer Schritt in Richtung irdisches Paradies.
Aus hpd.de – Auszug.
Seit sich die niederländische Kirche nach intensiven Beratungen mit jüdischen Organisationen in Hinblick auf das Lutherjahr 2017 von Martin Luthers Antisemitismus distanziert hat, scheint eine ernsthafte Diskussion über den Umgang mit dem Reformator auch in Deutschland in Gang zu kommen. Umstritten ist dabei seine Rolle als Wegbereiter des Antisemitismus, der im Holocaust seinen hoffentlich letzten Höhepunkt gefunden hat.
Um die Frage zu untersuchen, inwiefern man Luther in den kommenden anderthalb Jahren bis zum Höhepunkt des Reformationsjubiläums überhaupt als Hauptperson feiern sollte, versuche ich das Thema zu strukturieren, weil in der Diskussion mehr oder weniger bewusst zwei Begriffe durcheinandergeworfen werden: Antisemitismus und Antijudaismus. Auf den ersten Blick scheidet der Begriff Antisemitismus für Luther aus, da dieser 1860 von dem Bibliographen Moritz Steinschneider erstmals verwendet wurde. Dabei wird er mit Judenfeindlichkeit gleichgesetzt, die faktisch auch dem zeitlich älteren Antijudaismus attestiert wird. Wikipedia schreibt dazu: „Schon der mittelalterliche und frühneuzeitliche Antijudaismus diskriminierte und verfolgte Juden als fremdartiges Volk, ließ ihnen aber mit der Konversion zum Christentum stets die Integration in die herrschende Kultur offen.“
Der Unterschied ist also zunächst, dass Antijudaismus Voraussetzung für Christen zu sein scheint, Juden missionieren zu wollen. Erst nach erfolgreicher Konversion sei dieser Christ zufrieden.
Antisemitismus hingegen ist rassistisch motiviert und lehnt ein Merkmal eines Juden ab, dass dieser nicht durch Konversion abschütteln kann: seine Abstammung von Semiten. Dabei sollte man fragen, ob die Ablehnung eines Menschen wegen seiner Religion oder seiner Herkunft wirklich unterschiedlich verwerflich ist. Schließlich ist bereits das Ansinnen des Missionierenden im höchsten Maße intolerant, weil er seinem Gegenüber vorhält, dessen Religionszugehörigkeit sei minderwertig oder falsch. Doch ist es nicht reiner Zufall, in welche Familie oder Kultur ein Kind geboren wird? Religion an sich – vor allem die monotheistische – enthält den Keim der Intoleranz, der eine wechselseitige Akzeptanz erschwert. Der Antijudaismus ist also zunächst nicht harmloser als der Antisemitismus, weil er sein Gegenüber nicht so anerkennt, wie dieses durch seine Geburt wurde.
Für mich ist also zunächst unerheblich, ob ein Mensch antisemitisch oder antijüdisch eingestellt ist. Anders verhielte es sich z.B. mit einer politischen Einstellung. Diese wird oft erst im jungen Erwachsenenalter als Überzeugung angenommen, so dass es durchaus Auseinandersetzungen zwischen politischen Kontrahenten geben darf, die um den besseren politischen Weg streiten. Bei der Missionierung geht es um andere Motive, da hier die Konkurrenten einander sehr ähnlich sind und gleichzeitig die Unterschiede als ewig gültig, nicht hinterfragbar und deshalb unüberbrückbar ansehen. Somit ist für mich die Religionszugehörigkeit mit dem Merkmal der Herkunft vergleichbar.
Neben vielen weiteren antijüdischen Bibelstellen kann hier sogar ein „Jesuswort“ zitiert werden: „Warum versteht ihr meine Sprache nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt. Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun.“ (Joh 8, 43). Die Urchristen haben also – weil selbst zum Teil als Juden geboren – eine extreme Abnabelung von der Mutterreligion vorgenommen: die Verdammung der eigenen Väter als Teufelskinder, Propheten- und Christusmörder.
Das erklärt den Grund, warum Luther zeitlebens nie ein Judenfreund war (auch wenn dies vonseiten der evangelischen Kirche gerne behauptet wird), sondern warum er sie anfangs – z.B. in seinem Buch „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (1523) – noch zu missionieren versuchte. Doch auch dort folgt auf sein freundlich klingendes „Deshalb mein Rat und meine Bitte, dass man pfleglich mit ihnen (den Juden, Anm.) umgehe und sie aus der Hl. Schrift unterrichte, dann werden auch etliche zu uns kommen“ ein unmissverständliches „… bis ich sehe, was ich bewirkt habe.“
Nachdem dies scheiterte (auch, weil Luther in seinem Leben kaum ein Dutzend Juden getroffen haben dürfte), gab er mindestens in seinem letzten Lebensdrittel die Judenmission auf und verdammte sie als „halsstarrige notorische Lügner“.Hier kommt oft eine Verteidigungsstrategie zum Tragen, mit der stets religiöse Verfehlungen relativiert werden sollen: der historische Kontext! Zu Luthers Zeit war das halt so. Doch andere seiner Zeitgenossen, wie der Nürnberger Theologe Andreas Osiander und der Pforzheimer Jurist und Hebraist Johannes Reuchlin, nahmen eine deutlich tolerantere Haltung zum Judentum ein – wobei sie als gute Christen nicht dessen Falschheit infrage stellten. Jedoch verteidigten sie das Existenzrecht der Juden und auch das Praktizieren ihrer Religion.
Von den Juden und ihren Lügen
Luther selbst schrieb eine Reihe judenfeindlicher Texte, deren bedeutsamster 1543 erschien: „Von den Juden und ihren Lügen“.
Dieses Buch wurde letztmalig 1936 – also mitten in der Nazi-Zeit – veröffentlicht und diente als reiche Quelle für nationalsozialistischen Judenhass. In diesem Buch begründete Luther mit den Mitteln der Theologie, warum die Juden ein gottloses Volk und letztlich nichts als Teufelskinder seien (siehe das „Jesuswort“ weiter oben), die von „Gott“ verdammt worden wären – wegen ihrer Halsstarrigkeit und ihrem notorischen Lügen.
Daher rät Luther seiner Obrigkeit und seinen Pfarrerkollegen die Umsetzung seines „Sieben-Punkte-Programms“, dessen Ziel die Ausrottung des Judentums mindestens in Deutschland war. Dieses Programm erinnerte derart fatal an die systematische Judenverfolgung und versuchte „Endlösung der Judenfrage“ im Dritten Reich, dass hier klar wird, warum u.a. Hitler Luther einen „Riesen“ (1923) nannte und warum der evangelisch-lutherische Landesbischof aus Tübingen, Martin Sasse, 1938 schrieb:
Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. … In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, … der größte Antisemit seiner Zeit … , der Warner seines Volkes wider die Juden.
Dies stand im Vorwort eines Buches von Sasse, in dem er Teile aus „Von den Juden und ihren Lügen“ veröffentlichte.
Der Philosoph Karl Jaspers bemerkte hierzu später: „Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern.“
Während des Nürnberger Prozesses gegen die NS-Kriegsverbrecher im Jahr 1946 verteidigte sich der Herausgeber des Nazi-Hetzblattes „Der Stürmer“ mit deutlichem Bezug auf Luthers Wirken:
Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir z.B. ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde.
. http://hpd.de/artikel/warum-martin-luther-antisemit-12990
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[…] Die Protestantische Kirche der Niederlande hat sich von antisemitischen Schriften Martin Luthers distanziert. – In einer in Utrecht veröffentlichten Erklärung heißt es, einige Äußerungen des Kirchenreformators über Juden seien widerwärtig und unzulässig. Luther hatte unter anderem dazu aufgerufen, Synagogen in Brand zu stecken, Juden zu enteignen und sie zu vertreiben. Die Kirche erklärte, Luthers Schriften hätten zu einem Klima beigetragen, das später den Holocaust ermöglicht habe. Jüdische Organisationen hatten die Protestanten im vergangenen Jahr zu einer Distanzierung aufgefordert.
[…]
Wie positioniert sich die EKD (evangelische Kirche in Deutschland) zur „Causa Luther“?
1939 wurde noch von 13 evangelischen Landeskirchen in Eisenach das „Entjudungsinstitut“ ins Leben gerufen. Dieses Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben erfuhr seine Einweihung an einem denkwürdigen Ort: auf Luthers Wartburg.
[…] Die Neupositionierung der EKD zum Judentum begann sehr spät. Luthers judenfeindliche Schriften waren natürlich nicht unbekannt, wurden aber nicht herausgegeben oder nach außen hin sichtbar als Last des Protestantismus aufgearbeitet. 1982 veröffentlichte der Lutherische Weltbund zur Vorbereitung des Lutherjahres 1983 eine umfangreiche Arbeit. Im ersten Abschnitt steht:
Als Lutheraner haben wir ein besonderes Problem: Im kommenden Jahr begehen wir den 500. Geburtstag Martin Luthers. Er machte in seinen letzten Lebensjahren gewisse bissige Äußerungen über die Juden, die von den lutherischen Kirchen heute durchweg abgelehnt werden. Wir bedauern die Art und Weise, in der Luthers Aussagen dazu gebraucht worden sind, den Antisemitismus zu fördern.
„Gewisse bissige Äußerungen über die Juden“? Diese werden zwar abgelehnt, aber bedauert wird letztlich nur der Gebrauch dieser Äußerungen, um „den Antisemitismus zu fördern“.
[…] Hier zur Illustration einige wenige der „gewissen bissigen Äußerungen“, der „beschämenden Aussagen“ aus der Alibri-Ausgabe (Aschaffenburg, 2016):
„Sie sind nun mal das boshafte, halsstarrige Volk … die großspurigen, hochmütigen Schurken, die nichts anderes können, als mit ihrer Abstammung und mit ihrem Blut zu prahlen … sie sind die wahren Lügner und Bluthunde“ (S. 49) „Kein blutrünstigeres und rachsüchtigeres Volk hat die Sonne je beschienen, als diejenigen, die überzeugt sind, Gottes Volk zu sein …“ (S. 49 f.) „Ihr seid es doch nicht wert, dass ihr die Bibel von außen ansehen, geschweige denn drin lesen dürft. Ihr solltet nur die Bibel lesen, die unter dem Schwanz der Sau steht und ihr sollt die Buchstaben, die darunter herausfallen, fressen und saufen.“ (S. 149) „Lasst uns also diese edlen und beschissenen (beschnittenen wollte ich sagen) heiligen und weisen Propheten anhören, die uns Christen zu Juden machen wollen.“ (S. 149 f.) „Darum, wenn du einen richtigen Juden siehst, kannst du mit gutem Gewissen ein Kreuz schlagen und frei und sicher sprechen: Da geht ein leibhaftiger Teufel.“ (S. 151) „Und dieser trübe Bodensatz, dieser stinkende Abschaum, dieser eingetrocknete Bodensatz, dieser verschimmelte Sauerteig und sumpfige Morast von Judentum sollten mit ihrer Reue und Gerechtigkeit das ganze Weltreich, also die Erfüllung des Messias und der Prophezeiungen verdient haben, obwohl sie doch keine der oben aufgezählten Bedingungen erfüllen und nichts sind als ein fauler, stinkender, verrotteter Bodensatz vom Blut ihrer Väter?“ (S. 201)
Zum folgenden „Sieben-Punkte-Programm“ Luthers sagte der Philosoph Karl Japsers: „Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern“.
. Auszug aus dem „Sieben-Punkte-Programm“ Luthers:
„Erstens, dass man ihre Synagogen oder Schulen anzünde und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und überschütte, sodass kein Mensch für alle Zeiten weder Stein noch Schlacke davon sehe.“ (S. 247) „Zweitens sollte man auch ihre Häuser abbrechen und zerstören, denn sie treiben darin genau das gleiche, wie in ihren Synagogen. Stattdessen mag man sie etwa unter ein Dach oder in einen Stall tun, wie die Zigeuner.“ (S. 249) „Zum dritten, möge man ihnen alle ihre Gebetbüchlein und Talmude nehmen, in denen solcher Götzendienst, Lügen, Fluch und Lästerung gelehrt wird.“ (S. 249) „Zum vierten, soll man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbieten, weiterhin zu lehren.“ (S. 249) „Zum fünften, soll man den Juden das freie Geleit auf den Straßen ganz und gar verwehren und verbieten. Denn sie haben nichts im Land zu suchen. Sie sollen daheimbleiben.“ (S. 251) „Zum sechsten soll man ihnen das Wuchern verbieten, das ihnen schon durch Mose verboten wurde. Da sie nicht in ihrem eigenen Land sind, können sie nicht Herren über ein fremdes Land sein. Und man nehme ihnen alle Barschaft und Wertsachen wie Silber und Gold und lege es zur Verwahrung beiseite.“ (S. 251) „Siebtens soll man den jungen und starken Juden und Jüdinnen Flegel, Axt, Hacke, Spaten, Spinnrocken und Spindel in die Hand geben und sie ihr Brot verdienen lassen im Schweiß ihres Angesichts, wie es Adams Kindern auferlegt ist.“ (S. 245)
Das alles klingt nicht sehr theologisch (was auf Antijudaismus verweisen würde), sondern eindeutig rassistisch (was auf Antisemitismus verweist).
Da dies sicher Insidern der EKD bekannt ist, begann es seit Hubers Rede in der EKD zu brodeln. Mehr und mehr Beiträge erschienen in der Öffentlichkeit, die Luthers Person fragwürdig sahen. So verlagerte man den Schwerpunkt der Luther-Jubeljahre nach und nach auf das Reformationsjubiläum – obwohl das Jahrzehnt nach wie vor „Lutherdekade“ und das Jahr 2017 nach wie vor „Luther-Jahr“ heißt. Überall prangt das Konterfei des Reformators von Plakaten, Broschüren und Sondermarken. Er hat halt einen Namen, den man gut vermarkten kann. Einen Namen allerdings, der untrennbar mit äußerst hässlichen Schriften verbunden ist, die erst nach und nach in der Öffentlichkeit bekannt werden. So fällt ein schlechtes Licht auf die bevorstehenden Jubelfeiern, die mit insgesamt ca. 150 Mio. Euro recht gut dotiert sind, davon über 100 Mio. Euro aus dem allgemeinen Steueraufkommen (Bund und Land Sachsen).
Neulich las ich bei einer Person, die weit rechts angesiedelt ist, dass angeblich die weiße Rasse und ihre Kultur in Gefahr wäre. Unter anderem schrieb sie:
„Es geht um Rassismus gegen die weiße Rasse und zwar weltweit. Und das schon seit der Antike. Alle einstigen Hochkulturen, die grundsätzlich weißen Ursprungs waren, sind zu Grunde gegangen weil sie sich mit anderen Ethnien vermischt haben.“
Diese Meinung teile ich in keiner Weise.
Alexander Demandt schrieb das Buch: „Der Fall Roms. Die Auflösung des Römischen Reiches im Urteil der Nachwelt“. Demandt und findet einen Kronzeugen in dem Berliner Politologen Herfried Münkler. Der sieht in der Überdehnung der Machtsphäre einen politischen Kardinalfehler, „der den Großreichen, und so möglicherweise auch den USA, das Ende bereitet.
So meinte man in der NS-Ideologie einer höherwertigen Rasse anzugehören. (Und manche Deutsche glauben das auch noch heute).
Der „arische Mensch“ sei der eigentliche Träger der Kultur. „Vollblutgermanen“ hätten alle bedeutenden wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritte eingeleitet. Diese Führungsrolle sei durch Rassenmischung gefährdet. Denn „niedere Rassen“ wie Mongolen, Indianer und Neger könnten keinen „erbbiologischen Beitrag zur Verbesserung der weißen Rasse leisten“. Deshalb müsse man deren Erbgut durch Rassenhygiene schützen.
Unbedenklich wurden aus der Tierzucht übernommene Vorstellungen auf den Menschen übertragen: Durch Begünstigen der Fortpflanzung Gesunder – etwa frühen Eheschluss und Belohnung hoher Kinderzahlen –, Verhindern der Fortpflanzung Kranker – z. B. durch Empfängnisverhütung, Geburtenkontrolle und Zwangssterilisation – sollten die Erbanlagen in der Bevölkerung langfristig verbessert und Erbkrankheiten vermindert werden. Motiviert wurden solche Ideen stark durch die von verschiedenensozialdarwinistischen Richtungen vorausgesagte Degeneration der Gesellschaft bzw. der Rassen, die sie aufgrund einer angenommenen Ausschaltung der natürlichen Auslese durch zivilisatorische Einflüsse erwarteten.
Im Zuge dieser Recherche über Rassismus bin ich heute auf die sogenannten „Rheinlandbastarde“ gestoßen. Hier ein paar genauere Erläuterungen, was es mit ihnen auf sich hatte. Bei einer Diskussion über Rasse oder Rassismus geht ja sehr oft auch um höherwertig und minderwertig (Kultur usw.). Diese sogenannten Bastarde hatten in der NS-Ideologie einen denkbar niederen Wert. Ganz unten waren Juden und dann gleich Neger.
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Keiner hat hören wollen
1937: Die Sterilisierung der Rheinland-Bastarde
Angst vor den „Fremdlingen“, verzerrt bis zum Haß – das begann schon vor Hitler und Himmler, schon zu Zeiten der Weimarer Republik, schon unter Friedrich Ebert. Später dann, allerdings, wurde die bloße Angst, die dumm gewesen war, zum Verbrechen, das ungesühnt bleiben mußte: Die Opfer, jene schätzungsweise 385 „Negerbastarde“, die noch als Kinder „unfruchtbar zu machen“ waren, wußten damals oft gar nicht, was ihnen angetan wurde.
Es begann 1920 mit der „Schwarzen Schmach“ am Rhein, mit jenen ungefähr 40 000 farbigen Besatzungssoldaten der französischen Armee.Es begann mit Zeitungsberichten und Broschüren über Vergewaltigungen und „gefällige“ Frauen; mit einer Reichstags-Interpellation auch von SPD-Abgeordneten, wo es hieß:
„Für deutsche Frauen und Kinder, Männer und Knaben, sind diese Wilden eine schauerliche Gefahr“; mit der Antwort des damaligen Außenministers Köster, der tatsächlich schon zu jener Zeit „aus volkshygienischem Standpunkt heraus“ wegen der knapp vierhundert Mischlingskinder „eine Gefahr für Deutschland und Europa“ witterte;
mit der Anklage von Präsident Ebert gegen die „herausfordernde Verletzung der Gesetze europäischer Zivilisation“ durch die angeblich sexbesessenen Marokkaner in Köln, Wiesbaden oder Düsseldorf. Und ehe Hitler kam, legte die Reichsregierung 1932 zur Abwehr einer „Verschlechterung der Volksrasse“den Entwurf eines Gesetzes zur freiwilligen Sterilisation vor, der indessen nicht mehr angenommen wurde.Danach wurden dann, wie bekannt, Ausländerangst und Fremdenfurcht zu politischen Maximen, zu Legitimationen des Verbrechens, zu staatlichen Freibriefen für den Massenmord.Die Wurzeln eines Wahns aber reichen tiefer, weiter zurück, wie es:
Reiner Pommerin: „Sterilisierung der Rheinlandbastarde. Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit 1918–1937“; Droste Verlag, Düsseldorf; 114 Seiten, 26,– DM
an diesem einen, vergleichsweise „harmlosen“ Fall nachgezeichnet hat.
In der Nachfolge des „Holocaust“-Aufschreckens wollten viele wissen, wie es geschehen konnte; es muß aber auch gewußt werden, wann es geschehen konnte, ab wann. Hier ist es, für einen speziellen Bereich, genau dokumentiert.
Und es ging, wie bei einer gut geölten, fehlerlos funktionierenden Maschine, so weiter: Gegen die „Bastardnaturen“ waren aus „rassischem Stilgefühl“ und zur Erreichung des „nordischen Zuchtziels“ Eingriffe nötig, um die „Vermehrung des Leidens zu verhüten“. So wurde damals geredet, gelogen. Hohe Ministerialbeamte waren daran beteiligt, vor allem auch Ärzte und Wissenschaftler.
Tagungen fanden statt, unter strenger Geheimhaltung. Papiere wurden angefertigt, Pläne erwogen: Brauchen wir ein neues Gesetz? Das bringt nur das Ausland und die Kirche gegen uns auf. Muß der „Führer“ selber die letzte Entscheidung fällen, wie dieser „Akt der Notwehr“ vollzogen werden soll, ob freiwillig oder gewaltsam; wer es übernehmen soll, die Partei oder der Staat? Er wurde dann nicht damit behelligt, es klappte auch so.
So zum Beispiel: Der Siebzehnjährige, der als Rheinlandbastard die „typischen Merkmale“ eines Mischlings aufwies – „störrisches Wesen, Vorliebe zum Straßenleben“ –, war gerade als Schiffsjunge unterwegs. Da die Berliner Sonderkommission 3 der Gestapo über ihn verfügt hatte, er sei „unfruchtbar zu machen“,
wurde er gegen Mitternacht während seiner Fahrt auf einem Rheinkahn aufgegriffen und an seinen Heimatort geschafft. Seine Eltern stimmten dem Eingriff zu, der Chirurg schrieb am nächsten Tag der Berliner Gestapo-Kommission vertraulich: „Erfolg der Operation: sicher.“ Und so geschah es mit Hunderten, mit Jungen und Mädchen jeglichen Alters. Es war der Anfang von Auschwitz: Nach der Zwangssterilisierung kam die „Vernichtung unwerten Lebens“, kam die Vernichtung der Juden.
Im Jahr 1920 hatte der Arzt Dr. Rosenberger über die „Rheinlandbastarde“ geschrieben: „Sollen wir schweigend dulden, daß künftig an den Ufern des Rheins statt der hellen Lieder weißer, schongesichtiger, gutgewachsener, geistig hochstehender, regsamer gesunder Deutscher die krächzenden Laute grauscheckiger, niederstirniger, breitschnäuziger, plumper, halbtierischer, syphilitischer Mulatten ertönen?“ Es war, schon damals, die Sprache des Unmenschen. Aber keiner hat sie hören, keiner Furcht vor ihr bekommen wollen.
Im Frühjahr 1937 wurde in der Prinz-Albert-Straße, dem Sitz der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Berlin, die sogenannte „Sonderkommission 3“ gebildet, mit dem Auftrag, die Sterilisierung aller Kinder von französischen und amerikanischen Besatzungssoldaten aus der Zeit der Rheinlandbesetzung mit deutschen Frauen (den sogenannten „Rheinlandbastarden“) durchzuführen. Das Reichsministerium des Innern, das zuvor in jahrelanger systematischer Kleinarbeit und in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und Wohlfahrtsverbänden wie der Deutschen Caritas e.V. recherchiert hatte, stellte dazu die nötigen Unterlagen, die jedes Kind genau erfassten, zur Verfügung. Nach Abschluss der Aktion, die streng geheim gehalten wurde, waren mehrere hundert Jugendliche zwangsweise sterilisiert. Niemand von ihnen hat bis heute eine Entschädigung erhalten. Eine Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus blieb diesen Menschen versagt.
Seit 1989 mehren sich in Deutschland rassistische Angriffe gegen „Andersfarbige“. Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Ausstellung das Schicksal von Afrikanern und anderen Schwarzen im NS-Staat. Der Blick auf die Vergangenheit legt dabei Kontinuitätslinien frei, die oft erschreckend ungebrochen in die Gegenwart führen.
Ausgangspunkt für die Ausstellung ist die Beobachtung, dass es sich bei der großen Mehrheit der „schwarzen Deutschen“ um ganz normale Leute handelte, die ihr Leben nicht anders als die meisten übrigen Menschen nach den geltenden Normen und Regeln der deutschen Gesellschaft gestalten und meistern wollten.
Diesem Entwurf stellte sich das nationalsozialistische Konstrukt des „Negers“ entgegen, das äußerliche – „rassische“ – Merkmale wie Hautfarbe, Lippen und Haarform zum Vorwand nahm, sie zu „Fremden“ abzustempeln. Sie wurden als „gefährliche Pest“ gesehen, die den durch den Nationalsozialismus neu definierten „deutschen Volkskörper“ nicht nur kulturell, sondern auch biologisch bedrohte. Die gesellschaftliche und politische Diffamierung, Verfolgung und Vernichtung von Schwarzen durch den NS-Staat erscheint so am Ende als unausweichliche Folge eines rassistischen Konstrukts.
Die Ausstellung zeigt neben historischen Dokumenten wie Flugschriften, Plakaten und Archivalien Fotografien, Bücher, Münzen, Spielzeug, Werke der bildenden Kunst, Tondokumente, Filme und Interviews mit Überlebenden – Facetten aus dem Leben der Farbigen, die sich zu einem Gesamtbild ihres Schicksals zusammenfügen. Unter verschiedenen Gesichtspunkten und auf unterschiedlichen Ebenen wird so das Leben der Schwarzen in Deutschland und ihre Rolle im nationalsozialistischen Staat dokumentiert.
Die seit den Kreuzungsversuchen des österreichischenAugustinermönchs Gregor Mendel (1822-1884)begründete Vorstellung, der zufolge „minderwertige Rassen“ bei Kreuzung mit „höherwertigen“ deren Niveau herabsetzen, war seit Beginn des 20. Jahrhunderts unter Ärzten und Anthropologen sehr verbreitet und galt noch bis mindestens Ende der dreißiger Jahre auch den meisten Genetikern in Europa und Amerika als Axiom.
Die auf dieser Grundlage behauptete Möglichkeit einer „Bastardisierung“ der „nordischen Rasse“ durch Einmischung „minderwertigen” Bluts beherrschte seit der Jahrhundertwende die wissenschaftliche Diskussion über die Rassenhygiene, an der sich nicht nur national-völkisch Interessierte, sondern auch viele Personen aus liberaleren Kreisen der deutschen Gesellschaft beteiligten.
Sie alle glaubten mehr oder weniger daran, dass „Rassenvermischung“ schädlich sei, und man deshalb jede Aufnahme von „Bastardblut“ verhindern müsse. Die im Zusammenhang mit dem „Kampf gegen die schwarze Schmach“ penetrant wiederholte Behauptung, dass deutsche Frauen und Mädchen in großer Zahl Opfer schwarzer Vergewaltigungstäter wurden, erscheint vor diesem Hintergrund als ein Teil der dann von den Nazis systematisch betriebenen „wissenschaftlich“ begründeten „Rassenhygiene“.
Feindbilder: „Hinter dem Schwarzen steht immer der Jude“
In der streng hierarchisch geordneten Welt der Nazis waren selbstverständlich auch ihre Feinde hierarchisch gegliedert, an der Spitze “natürlich der Jude”, der alles in seinem Interesse und meist aus dem Verborgenen lenkt. Ein häufig wiederkehrender Topos war der jüdische Drahtzieher, der sich des Schwarzen bedient, um sein “schändliches” Spiel zu betreiben. http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0211_schwarze/aus_03_07.asp
Rheinlandbesetzung: „Die schwarze Schmach“
Die Beteiligung französischer Kolonialtruppen an der Besetzung des Rheinlandes und dann der des Ruhrgebiets nach dem Ersten Weltkrieg wurde von Teilen der nationalen Presse und einigen einflussreichen Vertretern von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft als bewusste Demütigung Deutschlands durch den französischen „Erbfeind“ angegriffen. Mit kalkulierter Empörung verwiesen sie auf die „Schmach“ , die dem „deutschen Kulturvolk“ angetan würde, indem man unzivilisierte „Wilde“, ausgestattet mit Hoheitsrechten und militärischer Macht, als Herren über Weiße setzte. Um die verbündeten Kriegsgegner zu spalten und Frankreich außenpolitisch zu isolieren, verwiesen sie grundsätzlich auf die Gefahren, die der weltweiten Vorherrschaft der „weißen Rasse“ aus solchem Vorgehen erwüchsen: Der Kolonisierte würde übermütig und wäre danach nicht länger so leicht zu lenken.
Hintergrund vieler Überlegungen zur „Rassenhygiene“ war die Eugenik.
Eugenik (von altgriechischeu ‚gut‘ und genos ‚Geschlecht‘, deutschErbgesundheitslehre) oder Eugenetik bezeichnet seit 1883 die Anwendung theoretischer Konzepte auf die Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik mit dem Ziel, den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu vergrößern (positive Eugenik) und den negativ bewerteter Erbanlagen zu verringern (negative Eugenik). Der britische AnthropologeFrancis Galton (1822–1911) prägte den Begriff. Um 1900 entstand auch der Gegenbegriff Dysgenik, der „Lehre von der Akkumulierung und Verbreitung von mangelhaften Genen und Eigenschaften in einer Population, Rasse oder Art“ bedeutet.
Das „zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ erlassene Gesetz verbot die Eheschließung sowie den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden. Es sollte der sogenannten „Reinhaltung des deutschen Blutes“ dienen, einem zentralen Bestandteil der nationalsozialistischen Rassenideologie. Verstöße gegen das Gesetz wurden als „Rassenschande“ bezeichnet und mit Gefängnis und Zuchthaus bedroht. Die Strafandrohung für außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden richtete sich nur gegen den Mann, nicht gegen die Frau.
Diese Bestimmung wurde oft Adolf Hitler persönlich zugeschrieben. Sie zeuge von seinem Frauenbild, nach dem die Frau sexuell unmündig sei.
[…] Die jüdischen Partner aus Mischehen wie auch die „jüdisch Versippten“, wie die „deutschblütigen“ Ehemänner aus Mischehen genannt wurden, wurden im Laufe des Krieges zu Zwangsarbeit verpflichtet und häufig in Lagern der Organisation Todt kaserniert. In Berlin wurden kurz vor Ende des Krieges auch die „arischen“ Ehefrauen entsprechend eingesetzt.
Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelić
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Wenn man auch nur einige Bücher von Karlheinz Deschner gelesen hat und nicht durch Eltern und Erziehung das Gehirn katholisch oder auch evangelisch verätzt bekam, kann man nicht anders als sich von der (oder den) Kirche(n) abwenden. Ich frage mich auch wo Gott bleibt. Einen Gott, der nur zuschaut, der geht mir nicht ab.
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Dem Berliner Kirchenkritiker und Publizisten Peter Gorenflos ist es zu verdanken, daß Karlheinz Deschners fundamentales Werk »Mit Gott und den Faschisten« nach 47 Jahren wieder in einer unveränderten Ausgabe erschienen ist. Mit der ersten Auflage 1965 sowie seinem Buch »Abermals krähte der Hahn« (1962) hatte sich Deschner den Zorn der katholischen Kirche und des bundesdeutschen Regimes zugezogen; es hetzte wegen Gotteslästerung seine Justiz auf ihn. Deschner war aber wegen seiner kirchenkritischen Arbeiten im In- und Ausland bereits so bekannt, daß er vor Verurteilung und Inhaftierung geschützt war.
Nach dem Ersten Weltkrieg, weist Deschner nach, ergriff die katholische Kirche die Gelegenheit, um gemeinsam mit dem aufkommenden Faschismus das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Die Angst vor einem Sieg der Arbeiterbewegung in ganz Europa nach dem Vorbild Rußlands war in Rom so groß, daß der Vatikan mit dem reaktionären Großbürgertum Italiens und dessen Handlangern, den Faschisten, ein Bündnis einging, das allen Seiten eine dauerhafte Existenz sichern sollte. »Diese unheilige, katholische Allianz mit dem angeblich kleineren – faschistischen – Übel«, schreibt Gorenflos im Vorwort zur Neuauflage, »führte in die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte: den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust (…) Bei diesem von der Catholica herbeigesehnten ›Weltanschauungskrieg‹, wie ihn Hitler auch nannte, wurde der Holocaust als eine Art nicht unwillkommener Kollateralschaden in Kauf genommen.«
Deschner wiederum bedauert in seinem Vorwort die Unkenntnis vieler darüber, daß die katholische Hierarchie sämtliche faschistische Staaten von deren Anfängen an systematisch unterstützt hat und so entscheidend am Tod von 60 Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg mitschuldig wurde. Er untersucht im ersten Kapitel die »freundschaftlichen« Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem italienischen Faschismus. Der »Duce« wußte, wofür die katholische Kirche nützlich ist, und der Vatikan begriff, daß sein Partner die Träger jeglichen Fortschrittsdenkens physisch ausrotten würde. In Italien wie in Deutschland betrieb der Papst die Auflösung der katholischen Partei, um Mussolini und Hitler in den Sattel zu helfen. So konnte z.B. der Abessinienkrieg 1935 mit päpstlichem Segen geführt werden.
Antibolschewismus
»Der Vatikan und der spanische Bürgerkrieg« heißt das zweite Kapitel. Bereits zwischen 1936 und 1939 kamen ungefähr 600000 Spanier ums Leben, danach ging das Schlachten weiter. Vatikan-Staatssekretär Eugenio Pacelli, ab 1939 Papst Pius XII., hielt schon während des Putsches 1936 fest zu General Francisco Franco. Thema des dritten Kapitels ist »Der Vatikan und Hitlerdeutschland«. Am 20. Juli 1933 wurde das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich geschlossen – Hitlers erster völkerrechtlicher Vertrag. Fast zwei Drittel der 34 noch heute gültigen Artikel sicherten kirchliche Privilegien.
Während des Zweiten Weltkrieges, zeigt das vierte Kapitel, unterstützten die deutschen Bischöfe Hitler noch intensiver als zuvor. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion erklärten sie am 10. Dezember 1941: »Mit Genugtuung verfolgen wir den Kampf gegen die Macht des Bolschewismus.« Ein Jahr später befanden sie, daß ein Sieg über den Bolschewismus gleichbedeutend mit dem Triumph der Lehren Jesu über die der Ungläubigen wäre. Bis 1945 und darüber hinaus gewährte der Vatikan Schutz und Schirm für die Faschisten.
Pius XII. segnete auch einen der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts, den kroatischen Ustascha-Führer Ante Pavelić, mit dem sich Deschner im fünften Kapitel »Der Vatikan und die Kroatengreuel« befaßt.
Vorwort zur Neuauflage
Weshalb – nach fast 50 Jahren – eine Neuauflage von Karlheinz Deschners Werk ›Mit Gott und den Faschisten‹? Weil es sehr aktuell ist. Weil es völlig zu Unrecht Gefahr läuft, in Vergessenheit zu geraten. Weil es einen Verdrängungsprozeß, nein, die gezielte Desinformations-Politik des Vatikan stört. Es erinnert an die Kollaboration des Vatikan nicht nur mit Hitler, dem wohl größten Verbrecher aller Zeiten, sondern auch mit Mussolini, Franco und dem wenig bekannten Pavelić, Faschistenführer in Kroatien und zusammen mit Kardinal Stepinac verantwortlich für das Konzentrations- und Vernichtungslager Jasenovac, über dessen Existenz heute nur noch wenige Bescheid wissen.
Weil das Lügengeflecht des Vatikan entlarvt wird, der sich seit einigen Jahrzehnten als Widerstandsorganisation gegen die Hitlerei aufzuspielen versucht, obwohl doch Pius XII. laut Kardinal Faulhaber »der beste Freund, am Anfang sogar der einzige Freund des neuen Reiches gewesen war«, gerade in der labilen Anfangsphase des Nationalsozialismus, als die Geschichte noch einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können! Weil es eben kein Mode-Buch ist, das aus Gefälligkeitsgründen einen Meinungstrend bedient, sondern präzise und detailreich historische Fakten präsentiert, zusammenfaßt und daraus für jeden nachvollziehbare Schlußfolgerungen zieht. Daniel Jonah Goldhagen hält es offenbar für unnötig, in seinem Buch ›Die katholische Kirche und der Holocaust‹ Deschner überhaupt zu zitieren, obwohl dieser doch schon fast 40 Jahre früher mit viel weniger Tinte weit mehr zu berichten weiß. Und weil es sich dabei auch noch spannend liest, wie ein Roman, in dem doch jede Zeile stimmt, und jeder Leser nach der Lektüre wesentlich klüger und aufgeklärter ist als zuvor; vielleicht auch schockiert ist über das Ausmaß der Kollaboration zwischen den Nazis, allen Faschisten und dem Vatikan! Kurz, weil es eine Geschichtslüge entlarvt. Die Lüge vom katholischen Widerstand.
Vergessen wir nicht, daß es die Französische Revolution war, welche die katholische Kirche in ihre Schranken verwies und damit ihrer feudalen Macht – wenn auch leider nur sehr halbherzig – ein Ende setzte. Dennoch verurteilte die spanische Inquisition den letzten Ketzer – den Schullehrer Caetano Ripol – am 26. Juli 1826 zum Tod am Galgen und zur »symbolischen Verbrennung«, fast ein halbes Jahrhundert nach dem Sturm auf die Bastille!In deren Folge besetzten napoleonische Truppen Ende des 18. Jahrhunderts den Kirchenstaat – der aus blutigen Kriegen hervorgegangen war und mit einer gefälschten Urkunde legitimiert wurde, der sogenannten »Konstantinischen Schenkung« –, verhafteten Pius VI. und führten ihn als Gefangenen nach Valence ab.Der Wiener Kongreß restituierte 1815 den Vatikanstaat mit verkleinertem Territorium noch einmal, aber 1870 ging er nach der Besetzung durch italienische Truppen endgültig im neuen italienischen Nationalstaat auf. Die Verantwortlichen wurden daraufhin exkommuniziert. Und scherten sich nicht darum.
Durch das Erstarken des Bürgertums, die Entwicklung der europäischen Nationalstaaten, die Emanzipationsbewegung, die Naturwissenschaften und den Fortschritt durch technische Entwicklungen wurde die Catholica in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer stärker in die Defensive gedrängt, versuchte mit dem ersten Vatikanischen Konzil verzweifelt – und aussichtslos – den Kampf gegen den »modernen Rationalismus« aufzunehmen und die angeschlagene päpstliche Autorität durch das Unfehlbarkeitsdogma aufzuwerten. Aber die Zeit lief gegen den Katholizismus. Unter Bismarck wurden im »Kulturkampf« fast 2000 katholische Kleriker inhaftiert oder zu hohen Geldstrafen verurteilt, die sich in staatliche Angelegenheiten eingemischt hatten, die USA brachen am 28. Februar 1867 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab (und nahmen sie erst wieder 1984 unter Ronald Reagan auf). Die »Römische Frage« war entstanden: wie rettet man sich vor dem endgültigen und damals absehbaren Niedergang, wie restituiert man seine alte Machtfülle und mit wessen Hilfe? Verschärft wurde dieses Problem durch das Aufkommen der dezidiert antiklerikalen, der Aufklärung und dem Gleichheitsprinzip verpflichteten Arbeiterbewegung nach dem Debakel des Ersten Weltkriegs.
Das ist der Ausgangspunkt von Karlheinz Deschners Buch ›Mit Gott und den Faschisten‹. Daß es nicht der Vergessenheit anheimfällt, ist das Anliegen dieser Neuauflage beim Ahriman-Verlag. Detailreich, historisch fundiert und unter Auswertung zahlreicher Quellen wird hier nachgewiesen, daß nach dem ersten Weltkrieg die Gelegenheit ergriffen wurde, zusammen mit dem aufkommenden Faschismus das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Aus Angst vor einem Sieg der Arbeiterbewegung in ganz Europa – nach sowjetischem Vorbild – ging der Vatikan zusammen mit dem reaktionären Großbürgertum und dessen Handlangern – den Faschisten – ein Bündnis ein, das beiden die Existenz sichern sollte. Diese unheilige, katholische Allianz mit dem angeblich kleineren – faschistischen – Übel führte in die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte: den zweiten Weltkrieg und den Holocaust.
Wovon träumten Benedikt XV., Pius XI. und Pius XII.? Sie träumten von einem katholischen Kontinentaleuropa im vereinten, militärischen Kampf gegen die gottlose Sowjetunion, so degeneriert sie durch Stalins Einfluß auch schon gewesen sein mag (man lese Arno Lustigers Rotbuch ›Stalin und die Juden‹). Sie träumten vom Ende der Orthodoxie, vom Ende des Kommunismus und von der Katholisierung Rußlands. Und von einem neutralen, anglikanischen Großbritannien, einer neutralen USA. Denn eine militärische Auseinandersetzung innerhalb des westlichen Lagers machte den Ausgang eines Krieges unberechenbar. Nach der militärischen Niederlage Frankreichs schien man diesem Ziel sehr nahe, und 1940 war die ganze Welt davon überzeugt, daß Hitler den Krieg gewinnen würde. Jetzt war die Realisierung des Traums der Kurie mit Hitlers Hilfe in greifbare Nähe gerückt.
Bei Karlheinz Deschner lernen wir, wie der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 vom Episkopat nicht nur in Deutschland offen begrüßt wurde, wie maßlos seine Begeisterung für Hitler und die Hetze gegen Rußland waren. Und Pius XII. – der angeblich zu wenig gegen Hitler getan haben soll, zu viel geschwiegen haben soll – sprach eine Woche danach in einer Rundfunkansprache von »Lichtblicken, die das Herz zu großen, heiligen Erwartungen erheben: Großmütige Tapferkeit zur Verteidigung der Grundlagen der christlichen Kultur und zuversichtliche Hoffnung auf ihren Triumph«, womit er laut Botschaftsrat Menshausen der Hoffnung Ausdruck geben wollte, daß die großen Opfer, die dieser Krieg erfordere, nicht umsonst wären und nach dem Willen der Vorsehung zum Sieg über den Bolschewismus führten.
Bei diesem von der Catholica herbeigesehnten »Weltanschauungskrieg«, wie ihn Hitler auch nannte, wurde der Holocaust als eine Art nicht unwillkommener Kollateralschaden in Kauf genommen. Vielleicht empfand man sogar eine klammheimliche Freude in Anbetracht des christlichen Antijudaismus über 2000 Jahre.
Kokettierte Hitler nicht schon im April 1933 vor hohen katholischen Funktionären – wie Deschner berichtet – und sehr zu deren Entzücken, daß seine »Behandlung der Judenfrage« nur die mittelalterliche katholische Tradition fortsetze? Der Papst verurteilte die nazistischen Judenpogrome jedenfalls niemals, selbst als man sozusagen vor seinen Augen die Juden zusammentreiben und abführen ließ. Die heutzutage propagierte Vorstellung von einem jüdisch-christlichen Abendland beruht auf einem Synkretismusschwindel.
Noch viel tiefer verstrickt in die faschistischen Verbrechen war der Vatikan in Kroatien, wo die Franziskaner federführend gewesen waren bei den dort durchgeführten Greueln, wegen deren Brutalität sich sogar die Deutschen beschwerten. Hier hatte Deschner einst Pionierarbeit geleistet, und wer sich näher mit dieser düsteren Materie befassen möchte, sei auf das ausführliche Grundlagenwerk von Vladimir Dedijer überJasenovac, das »jugoslawische Auschwitz«, verwiesen.
Wer wollte Karlheinz Deschner nicht zustimmen, wenn er am Ende des Buches im Jahre 1965 das Resümee zieht: »Erwägt man das Verhalten Eugenio Pacellis zur Politik von Mussolini, Franco, Hitler und Pavelić, so scheint es kaum eine Übertreibung, zu sagen: Pius XII. ist wahrscheinlich mehr belastet als jeder andere Papst seit Jahrhunderten. Mittelbar und unmittelbar ist er so offensichtlich in die ungeheuersten Greuel der faschistischen Ära und damit der Geschichte überhaupt verstrickt, daß es bei der Taktik der römischen Kirche nicht verwunderlich wäre, spräche man ihn heilig.«
Nun, die Seligsprechung ist fast 50 Jahre danach in Arbeit!
Kommen wir noch einmal zurück zur Gegenwart, zu den verfassungsrechtlichen Spätfolgen kirchlicher Kollaboration mit dem Faschismus in Deutschland.
Man halte die enge Verflechtung zwischen Kirche und Staat, diesen deutschen Kirchenstaat bis zum heutigen Tage, den es laut Grundgesetz und Weimarer Verfassung gar nicht geben dürfte, als Schablone gegen die Verfassungen der USA und Frankreichs, in denen die Trennung von Staat und Kirche klar geregelt ist. Dann wird deutlich, wie weit das heutige Deutschland von einer modernen Demokratie entfernt ist. Es ist ein Land, in dem die Kirchen aufgrund von Landeskonkordaten in allen Rundfunk- und Fernsehräten sitzen, in fast allen Zeitungsredaktionen, an zahllosen Multiplikationsstellen und – teils ganz offen, teils gut versteckt – an den Schalthebeln der Macht.
Dann wird klar, welch großen Gefallen Hitler und Mussolini dem Vatikan mit dieser speziellen Beantwortung der Römischen Frage getan haben, mit der Restitution seiner Staatlichkeit, seines Vermögens und des öffentlichen Einflusses, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Auflösung befanden. Und zu welch hohem Preis für den Rest der Welt!
Karlheinz Deschners Buch ist ein wichtiges Stück Aufklärung, ein Juwel für jeden, der die historische Wahrheit sucht, es ist ein Antidot gegen die Geschichtslüge vom katholischen Widerstand gegen Adolf Hitler und liefert einen elementaren Beitrag zur aktuellen Debatte über die Rehabilitierung der Piusbrüder um Richard Williamson, die geplante Seligsprechung Pius’ XII., die Skandale um die Vatikanbank, die Wiedereinführung der Karfreitagsfürbitte und die Rolle des Vatikan in der Welt überhaupt.
Wer den historischen Ariadnefaden aus dem Labyrinth kirchlicher Fremdbestimmung sucht, kommt um Karlheinz Deschners Buch ›Mit Gott und den Faschisten‹ nicht herum. Wer noch weiteres erfahren möchte, viele historische Schichten tiefer zum Beispiel, über die historischen Ursprünge des Christentums, dem empfehle ich an dieser Stelle Hyam Maccobys vorzügliches, zentrales Werk Der Mythenschmied, in welchem er nachweist, daß das Christentum nicht auf den jüdischen Jesus, sondern auf den Griechen Paulus zurückgeht, der einen hochvirulenten Mythenmix aus Gnosis, Mysterienkulten und der Jesusgeschichte zusammenstellte und damit den Auftakt setzte zu 2000 Jahren christlichem Antijudaismus, der im Holocaust kulminierte.
Den anderen Ariadnefaden aus dem religiösen Labyrinth, den subjektiven, »psychologischen«, findet jeder, der ihn sucht, bei Sigmund Freud (›Totem und Tabu‹, ›Die Zukunft einer Illusion‹, ›Der Mann Moses und die monotheistische Religion‹), vor allem aber auch bei Fritz Erik Hoevels in seiner wegweisenden Abhandlung zum Thema Religion »Bhagwan« Rajneesh und das Dilemma einer menschenfreundlichen Religion, aus dem Freiburger Ahriman-Verlag, dem nun auch das Verdienst zukommt, Deschners Meisterwerk ›Mit Gott und den Faschisten‹ neu aufzulegen. Beide Autoren machen klar, wie eng das Nadelöhr ist, durch das die menschliche Gesellschaft gehen muß, wenn die Ziele der Aufklärung, Vernunft, Freiheit, Gleichheit, maximales Glück für eine maximale Mehrheit, Realität werden sollen, wie viele archaische und dennoch reale Machtstrukturen bis dahin überwunden, gebrochen werden müssen.
Möge sich der interessierte Leser fast fünfzig Jahre nach der Erstauflage von ›Mit Gott und den Faschisten‹ von der Aktualität dieses Buches selbst überzeugen. Es ist spannend geschrieben, ein Lesevergnügen allerersten Ranges.
Man ist nach seiner Lektüre viel klüger als zuvor und verfügt nun endlich wieder über dieses hochwirksame, unersetzliche Antidot gegen die Geschichtslüge vom katholischen Widerstand gegen Hitler.
„Deutschland bleibt ein von Hitler traumatisiertes Land“
ZEIT: Wollen Sie etwa, wie der Publizist Éric Zemmour nahelegte, die Vorstadtviertel bombardieren, aus denen viele Attentäter stammen?
Finkielkraut: Richtig ist: Es gibt heute viele Molenbeeks, nicht nur in Belgien, auch in Frankreich. Und unser Feind ist leider auch der radikale Islam im eigenen Land. Natürlich werden nicht alle Salafisten und anderen Fanatiker zu Terroristen. Aber die Lage in Europa ist beunruhigend. Das eigentlich Wünschenswerte, die Integration des Islams in die europäische Zivilisation, wird immer schwieriger. Unter dem Druck der wachsenden Einwanderung nimmt die Islamisierung ganzer Stadtviertel zu. Das gilt auch für Deutschland.
ZEIT: Und Sie glauben, wir Deutschen seien blind und wollten die Gefahr nicht sehen?
Finkielkraut:Deutschland bleibt ein von Hitler traumatisiertes Land. Statt eines realistischen Weltbilds pflegen die Deutschen den Antirassismus. Der Jude war im Nationalsozialismus der Andere. Hitler hat aus ihm den absoluten Feind gemacht. Um dieses Verbrechen zu sühnen, entgehen die Deutschen bis heute nicht der Versuchung, den Respekt vor dem Anderen zum moralischen und politischen Kardinalprinzip zu erheben. So aber halten die Deutschen noch heute den tatsächlichen Feind für den Anderen, dem sie Buße schulden. Das Aufwachen aus dieser Art von Weltfremdheit wird für die Deutschen ein extrem schmerzhafter Schock sein.
ZEIT: Entgegen Ihrer Feindesobsession verteidigte kürzlich unser Finanzminister Wolfgang Schäuble die Aufnahme der syrischen Flüchtlinge in Deutschland als „Ehrenrettung für Europa„.
Finkielkraut:Ich verstehe das gut. Als die ersten Flüchtlingswellen ankamen, hielten die Deutschen den Moment für gekommen, ihren historischen Makel zu bereinigen. Sie konnten sich endlich freikaufen. Es war eine große Erlösung. Hitler-Deutschland beschwor die eigene Kraft. Merkel-Deutschland stellte sich auf die Seite des Schwachen. Hitler-Deutschland verkörperte den Hass auf den Anderen. Merkel-Deutschland sagte: Hier bin ich und kümmere mich um den Anderen in Not. Dazu aber gehörte eine große moralische Trunkenheit. Plötzlich verkörperte Deutschland das Gute. Frau Merkel wurde für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Nun erholt sich Deutschland langsam von einem schrecklichen Kater.Deshalb hat Bundespräsident Joachim Gauck neulich an ein paar Spielregeln erinnert: erstens, Respekt vor den Homosexuellen, zweitens, Gleichberechtigung der Frauen, drittens, Ablehnung aller Formen des Antisemitismus, viertens: Anerkennung des Staates Israel. Warum diese Gedächtnisstütze? Weil nämlich ein nicht zu übersehender Teil der Flüchtlinge mit diesen Regeln nichts am Hut hat. Indem es den Antisemitismus von gestern sühnen wollte, hat das Deutschland der Willkommenskultur womöglich den Antisemiten von morgen Spalier gestanden.
ZEIT: Sind Sie jetzt nicht auf dem besten Wege, den Islam pauschal zu verurteilen? Reicht es nicht, wenn der Papst vom dritten Weltkrieg spricht?
Finkielkraut:Dem schließe ich mich nicht an. Ich sehe ja, was der „Islamische Staat“ bezweckt: Er will uns in den Bürgerkrieg treiben. Die Strategen des heiligen Krieges hoffen, dass wir Deutschen und Franzosen uns am Ende auf jeden Muslim stürzen, verschleierte Frauen belästigen und Moscheen zerstören. Wir dürfen die Muslime nicht pauschal beschuldigen. Viele von ihnen sind ehrlich entsetzt über die Attentate, viel mehr noch als nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar. Aber wir dürfen den Islamismus auch nicht als Randphänomen betrachten. Der Islam ist nun mal seit seinen Anfängen eine eroberungslustige Religion. Er hat viele Niederlagen erlebt. Aber für die Islamisten ist heute die Zeit der Rückeroberung gekommen. Dafür proklamieren einigen von ihnen den globalen Krieg, andere nur das Predigen. Aber gemeinsam glauben sie, dass eine Islamisierung Europas zumindest teilweise möglich ist. Und wir dürfen nichts tun, um ihnen diesen Plan zu erleichtern. Europa muss dem im Gegenteil widerstehen, sich selbst behaupten, indem es seine Prinzipien und Sitten auf eigenem Boden unerbittlich durchsetzt. Andernfalls werden wir von innen ausgehöhlt.
ZEIT: Da muss man ja fragen, ob Sie trotzdem noch das Asylrecht verteidigen?
Finkielkraut: Ich verteidige das Asylrecht, aber ich mache mir Sorgen, dass der Islam an vielen Orten mehrheitsfähig wird und dort seine Sitten durchsetzt. Und am Ende der Islamismus profitiert.
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In der heutigen Lage in Deutschland mit einer extremen Polarisierung wegen der Flüchtlingsfrage, schadet es nicht wieder mal an den böhmischen Gefreiten zu erinnern. Die einen scheinen es vergessen zu haben – andere wieder möchten eine Wiederbelebung dieser kruden und menschenverachtenden Zeit.
Hier ein Bericht von Radio Bremen.
Rückblick auf den 30. Januar 1933
Ernennung Hitlers zum Reichskanzler
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Zu diesem Zeitpunkt rechnete kaum jemand damit, dass Adolf Hitler Deutschland und Europa in eine Katastrophe führen und sein Regime erst 12 Jahre später, mit dem Sturm alliierter Truppen auf Berlin, enden würde.
Als der Generalfeldmarschall des Ersten Weltkriegs, Paul von Hindenburg, in seiner Funktion als Reichspräsident den ihm lange suspekten „böhmischen Gefreiten“ Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, war – wie der Berliner Journalist Jochen Klepper schrieb – das „Bündnis zwischen Adel und Pöbel“ perfekt. Bereits am selben Abend ziehen 15.000 SA-Männer und Einheiten des Stahlhelm-Bundes mit Fackeln und trommelnd durch das Brandenburger Tor.
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Quelle: DPA
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Für einen NS-Film nachgestellte Szene des Fackelzugs der SA durch das Brandenburger Tor.
Hier eine Audio-Datei (mp3) zum hören und zum downladen:
Der Berliner Rundfunk berichtet: „Wie ungeheuer groß dieser Moment, dieser Augenblick ist – wie die Trauben hängen die Menschen oben an den Bäumen um etwes sehen zu können.“ Zum Vizekanzler ernennt Reichspräsident Hindenburg einen konservativen Vertrauten, den ehemaligen Zentrumspolitiker Baron Franz von Papen. Der war bereits 1932 sechs Monate lang Reichskanzler gewesen war und glaubt nun, er könne die NSDAP und Hitler zähmen: „Wir haben uns Herrn Hitler engagiert. In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht.“
Grundrechte außer Kraft gesetzt
Quelle: DPA
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Der neue Reichskanzler Adolf Hitler (l) und Franz von Papen (M)
Doch Hitler hatte sich die Kontrolle über die preußische Polizei gesichert und die Zusage für sofortige Neuwahlen. Unter dem Vorwand der „Abwehr kommunistischer staatsgefärdender Gewaltakte“ werden per Notverordnung wichtige Grundrechte außer Kraft gesetzt und der Reichspräsident lässt das Parlament auflösen.
Bereits im Vorjahr hatte Hitler angekündigt: „Sie haben ganz recht – wir sind intolerant! Ich habe mir ein Ziel gestellt: Nämlich die 30 Parteien aus Deutschland hinauszufegen.“
Bevor Hitler die Parteiendemokratie „hinausfegt“, lässt er bereits vier Tage nach seiner Machtübernahme die sozialdemokratische Presse verbieten. Fünf Tage nach seiner Ernennung verspricht Kanzler Hitler den Befehlshabern der Marine und des Heeres, keine weiteren pazifistischen Betätigungen mehr zu gestatten:
„Ertüchtigung der Jugend und Stärkung des Wehrwillens mit allen Mitteln. Todesstrafe für Landes- und Volksverräter. Straffste autoritäre Staatsführung. Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie.“
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Demokratie „hinausgefegt“
Quelle: DPA
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Nach der Machtübernahme der Nazis wurde von Ossietzky in einem Konzentrationslager interniert.
In wenigen Wochen werden 10.000 Menschen verhaftet: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, kritische Literaten – darunter Carl von Ossietzki. Der schreibt:
„Der Nationalsozialismus bringt wenigstens die letzte Hoffnung von Verhungernden: den Kannibalismus – man kann sich schließlich noch gegenseitig fressen…“.
Die Herrschaft Adolf Hitlers endete 1945, während des Sturms allierter Truppen auf Berlin.
Bis heute ist nicht sicher, ob der glühende Antisemit Rosenberg, der Chefideologe unter Hitler, möglicherweise selbst jüdische Vorfahren hatte.Das Interesse an dieser Frage ist erstmals im Monat der Veröffentlichung seiner antisemitischen Schrift Der Mythus des 20. Jahrhunderts und seiner Wahl in den Reichstag im Oktober 1930 entstanden. In der Öffentlichkeit war damals die Rede davon, dass „kein Tropfen deutschen Blutes“ in seinen Adern fließe und sich unter seinen Vorfahren nur „Letten, Juden, Mongolen und Franzosen“ befunden hätten.
Alfred Rosenberg (1893-1946) war Nationalsozialist der ersten Stunde und gilt als einer der Chefideologen der NSDAP, insbesondere durch sein Opus magnum „Der Mythus des 20. Jahrhundert“, das 1930 erschien. Trotz des sperrigen Stils und des „über weite Strecken logisch kaum nachvollziehbaren Eklektizismus“ wurde „Der Mythus des 20. Jahrhundert“ bis zum Kriegsende mit über einer Million verkaufter Exemplare zu einem Kassenschlager und diente als „konformistischer Zitatensteinbruch oder zeitgemäßes Geschenk“. Rosenberg war ein monomanischer Antisemit und ein Vertrauter Hitler. Schon sein erstes Buch „Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten“ (1920 erschienen) prägte die antisemitischen Passagen in Hitlers „Mein Kampf“.
Rosenberg war kein großer Redner und Organisator. Trotz ständiger Mitsprache bei allen „jüdisch-bolschewistischen“ Angelegenheiten blieb er in der NS-Führungsriege im Vergleich zu Göring oder Goebbels lange Zeit nur eine Randfigur. Erst nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Jahr 1941 stieg er zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete auf. Er wurde zu einem der Hauptverantwortlichen des „Vernichtungskriegs“ hinter der Front und dem sich daraus entwickelnden Völkermord an den Juden, auch wenn sein politischer Einfluss mit der Verschärfung der militärischen Lage wieder schwand. Vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg wurde er mit anderen NS-Spitzenfunktionären wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet.
Als einer der wenigen NS-Spitzenfunktionäre führte Rosenberg Tagebuch. Der Verbleib dieser Tagebücher war lange Zeit unbekannt. Erst im Jahr 2013 gingen die Original-Tagebücher in den Besitz des United States Holocaust Memorial Museum über und wurden auf der Website des Museums veröffentlicht. Nun haben die beiden Historiker Jürgen Matthäus und Frank Bajohr diese Tagebuchaufzeichnungen in kommentierter Fassung und mit einer etwa hunderseitigen Einleitung herausgebracht („Alfred Rosenberg. Die Tagebücher von 1934 bis 1944“). Nachdem in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viele Tagebücher von Zeitgenossen aus der NS-Zeit veröffentlicht wurden, am bekanntesten wurden sicherlich die Aufzeichnungen von Victor Klemperer, schließt die Veröffentlichung von Rosenbergs Tagebüchern eine Lücke. Letztlich hat neben Rosenberg nur Goebbels ähnlich umfangreiche Tagebuchaufzeichnungen hinterlassen. Da beide eine Intimfeindschaft verband, haben beide Aufzeichnungen in den Augen der Herausgeber die „Funktion eines wechselseitigen Korrektivs“.
Welches Binnenklima in der Führungsriege herrschte, machen die abwertenden Äußerungen Rosenbergs an zahlreichen Stellen deutlich. Seinem Intimfeind Goebbels unterstellt er in einem Eintrag einen schäbigen Charakter, er sei ein „Eiterproduzent“. In einem anderen Eintrag gibt er eine Unterhaltung mit Göring über Joachim von Ribbentrop wieder und bestätigt Görings Einschätzung, der Außenminister sei „ein richtig dummer Mensch mit der üblichen Arroganz“.
Stilistisch sind die Tagebücher schwere Kost, die Sprache ist holprig, es gibt zahlreiche grammatikalische Fehler und schiefe Satzkonstruktionen: „Es mutet ironisch an, dass ausgerechnet dem Deutschbalten Rosenberg, der sich im ‚Dritten Reich‘ gerne zum Chefinterpreten deutschen Denkens und deutscher Kultur stilisierte, jegliches Einfühlungsvermögen in die deutsche Sprache fehlte“, schreiben die beiden Herausgeber in der Einleitung. Die charakteristische Vagheit seiner Tagebuchnotizen macht es schwer, konkrete Fakten oder Anweisungen abzuleiten. Dieses Ungefähre war auch typisch für Hitlers Führungsstil. Rosenberg gibt zum Beispiel die Besprechung vom 16. Juli 1941 über die „Aufteilung des osteuropäischen Raumes“ im Führerhauptquartier wieder, Hitler habe betont: „alle Erlasse sind eben Theorie. Wenn sie den Notwendigkeiten nicht mehr entsprechen, müssen sie geändert werden“.
Rosenbergs Einträge müssen meistens kontextualisiert werden, um verständlich zu werden. Hilfreich sind hierbei die Fußnoten und die ergänzenden Dokumente. Die ausführliche und sachkundige Einleitung der beiden Herausgeber ist im Grunde eine lohnendere Lektüre als die Tagebücher selbst. Die deutschen Verbrechen im Osten und an der jüdischen Bevölkerung stehen nicht im Vordergrund von Rosenbergs Aufzeichnungen und bleiben meist ungenannt. Rosenberg gibt vor allem Auskunft über sich selbst. „Wirklich neue Erkenntnisse finden sich kaum“, befindet Sebastian Weitkamp in der FAZ, dennoch liefern die Rosenberg-Tagebücher „wichtige neue Mosaiksteine in unserem Wissen über das „Dritte Reich“. Dieses Buch wird in Zukunft zum festen Kanon der Literatur zur NS-Geschichte gehören“, so der Historiker Felix Römer in derZEIT.
Alfred Rosenberg: Unbeirrt, bis in den Tod Goebbels, eine „Eiterbeule“: Die Tagebücher von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg zeigen, wie eitel, intrigant und zerstritten die führenden Nationalsozialisten waren. ZEIT
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Hier noch einige Auszüge aus Wikipedia.
Alfred Ernst Rosenberg (russisch Альфред Вольдемарович Розенберг, Alfred Woldemarowitsch Rosenberg; * 31. Dezember 1892 in Reval; † 16. Oktober 1946 in Nürnberg) war zur Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus Politiker und führender Ideologe der NSDAP. Als Student war er 1917 Zeuge der Revolution in Moskau. Wie die russischen Rechtsextremen interpretierte er diese als Folge einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung. Mit dieser Vorstellung prägte er später maßgeblich die Ideologie der NSDAP. Ab 1920 trug Rosenberg mit zahlreichen rassenideologischen Schriften erheblich zur Verschärfung des Antisemitismus in Deutschland bei. Im Zweiten Weltkrieg unternahm er mit seinem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) Beutezüge in ganz Europa, insbesondere zum Raub von Kulturgütern.Als Leiter des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete (RMfdbO) verfolgte er im Rahmen seiner Ostpolitik das Projekt der Germanisierung der besetzten Ostgebiete bei gleichzeitiger systematischer Vernichtung der Juden. Rosenberg wurde im Nürnberger Hauptprozess als Hauptschuldiger der NS-Kriegsverbrechen angeklagt, in allen vier Anklagepunkten für schuldig befunden, zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Jugendliche Prägungen
Bis heute ist nicht sicher, ob der glühende Antisemit Rosenberg möglicherweise selbst jüdische Vorfahren hatte. Das Interesse an dieser Frage ist erstmals im Monat der Veröffentlichung seiner antisemitischen Schrift Der Mythus des 20. Jahrhunderts und seiner Wahl in den Reichstag im Oktober 1930 entstanden. In der Öffentlichkeit war damals die Rede davon, dass „kein Tropfen deutschen Blutes“ in seinen Adern fließe und sich unter seinen Vorfahren nur „Letten, Juden, Mongolen und Franzosen“ befunden hätten. Verkündet haben soll diese Aussage etwa der Journalist Franz Szell und am 15. September 1937 ebenso die Vatikan-Zeitung L’Osservatore Romano. Nachgewiesen werden konnten jüdische Familienwurzeln allerdings bislang nicht. Allem Anschein nach wurden diesbezügliche Dokumente, die diese Frage mutmaßlich hätten klären können, während der deutschen Besatzungszeit in den Jahren 1941 bis 1945 vernichtet, nach Ansicht mancher Forscher gezielt.
„Der Nationalsozialismus war eine europäische Antwort auf die Frage eines Jahrhunderts. Er war die edelste Idee, für die ein Deutscher die ihm gegebenen Kräfte einzusetzen vermochte. Er war eine echte soziale Weltanschauung und ein Ideal blutbedingter kultureller Sauberkeit.“ – aus einer Schrift, vor den Nürnberger Prozessen in der Gefängniszelle verfaßt
„Germanische Sittlichkeit, das war jene tiefe Wahrhaftigkeit vor sich selbst, die sich Rechenschaft geben wollte von ihrem Ich, der Natur, dem Kosmos. Aus dieser Einsicht sind die Mystiker, die großen Erforscher der Natur geboren worden bis zur erhabenen Pflichtlehre Immanuel Kants.“ – Weltanschauung und Wissenschaft, Völkischer Beobachter, Norddt. Ausg. vom 23.11.36, S. 42, zitiert nach Reinhold Bethke, Lebendige Wissenschaft. Über den Sinn der weltanschaulichen Begründung. Tübingen (Mohr), o.J., 1937, S. 65
„Wir glauben an die Ewigkeit genau so wie die Kirchenchristen. Und wenn wir glauben, daß die Kräfte, die unserem Volk den sittlichen Impuls zur Umkehr auf todbringendem Wege gaben, genau so »religiös« sind, wie jene vielgestuften Vorstellungen, die von mittelalterlichen Dogmen fast verschüttet, den echten Kern der heutigen Kirchenlehre ausmachen, so geschieht dies, weil wir eben in der Diesseitigkeit das Ewige zu sehen und zu erleben vermögen, – eine Eigenschaft, die das Christentum, wo immer es lebendig war und ist, gehegt und gepflegt hat.“ – Das Schwarze Korps, Zeitung der SS, 3. Jg., 1. Folge vom 7. Januar 1937, S. 6, zitiert nach: Reinhold Bethke, Lebendige Wissenschaft. Über den Sinn der weltanschaulichen Begründung. Tübingen (Mohr), o.J., 1937, S. 65
Nazi-resistent sind Katholiken ganz bestimmt nicht. Die katholische Kirche tendiert schon seit unendlichen Zeiten zu rechten Diktaturen, siehe Spanien, siehe lateinamerikanische Länder. Ihre Feinde sind Kommunisten, Bolschewiken und Atheisten versteht sich von selbst. Es ist schon eine totale Verdrehung von Tatsachen, wenn der ehemalige Kardinal von Köln, Meisner, den Atheisten die Schuld in die Schuhe schieben wollte als er behauptete sie wären für das Emporkommen des Nationalsozialismus verantwortlich.
Man beachte im Artikel das Video „So sah Köln im „Dritten Reich“ aus“.
Für mich ist es unverständlich wie man so einem Demagogen und Diktator wie Hitler so zujubeln konnte.
Nazi-Doku zeigt: So wurde Köln braun
Von CHRIS MERTING
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Am Historischen Rathaus zelebrieren die Nazis mit Gauleiter Josef Grohé ihre Machtübernahme (1933).
Foto: Kölnprogramm
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Köln – Wie konnte das katholische Köln so schnell so braun werden? Eine neue Film-Dokumentation zeichnet mit teilweise noch nie gesehenen historischen Aufnahmen den Weg Kölns in die NS-Diktatur. Und dieser Weg erscheint geradliniger als viele Mythen vom Nazi-resistenten Köln das einen glauben lassen wollten.
„Achtmal war Hitler in Köln zu Besuch, allein zwischen 1930 und ’33 waren es sechs Auftritte“, so der Filmemacher Hermann Rheindorf (47). Der Journalist hat für seine dreiteilige Dokumentation „Köln im Dritten Reich“ Material aus öffentlichen Archiven in aller Welt und privaten Sammlungen zusammengetragen.
Die einzigartigen Filmdokumente zeigen auch, dass Hitler bereits in den frühen Jahren des Nationalsozialismus in Köln frenetisch gefeiert wurde. So auch im August 1930 – ausgerechnet im Arbeiterbezirk Ehrenfeld.
Hitler füllte die Rheinlandhalle, in der 15.000 Menschen Platz hatten. „Das Publikum war gemischt wie bei einem Familienausflug“, kommentiert Rheindorf die historischen Aufnahmen, die am Mittwoch präsentiert wurden.
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Hitler trat als Agitator achtmal in Köln auf, erstmals im August 1930 in Ehrenfeld.
Foto: Kölnprogramm
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In der Doku kommen viele Kölner Zeitzeugen zu Wort. In ihren Familiengeschichten wird deutlich, wie die NSDAP alle Bereiche bis zum Karneval durchdrang, wie Gegner und Minderheiten verfolgt wurden. So berichten etwa Ludwig Sebus, Agathe Hartfeld, geborene Herr und Schwester von Trude Herr, sowie der Edelweißpirat Fritz Theilen.
„Das waren sehr emotionale Begegnungen“, so Rheindorf, „viele haben während der Interviews geweint.“
Interview mit Dirk Verhofstadt zum Reichskonkordat
Im Juli feierte das „Reichskonkordat“ Geburtstag. Es war der erste internationale Vertrag, den das Hitler-Regime abschließen konnte und ist bis heute gültig. Eingefädelt hatte es Nuntius Eugenio Pacelli, der später als Papst Pius XII. die Geschicke der katholischen Kirche während des Zweiten Weltkrieges lenkte. Mit ihm und seiner Rolle bei der Vernichtung der europäischen Juden hat sich der belgische Publizist Dirk Verhofstadt in einer umfangreichen Studie auseinandergesetzt, die vor Kurzem in deutscher Übersetzung erschienen ist. Gunnar Schedel sprach mit ihm über jenes Abkommen, das viele als verheerenden ersten Schritt zur internationalen Anerkennung des nationalsozialistischen Deutschland sehen.
MIZ: Herr Verhofstadt, vor 80 Jahren wurde das Reichskonkordat abgeschlossen. Warum war ein Konkordat auf Reichsebene überhaupt notwendig? Es gab doch die Länderkonkordate mit Preußen und Bayern…
Dirk Verhofstadt: Tatsächlich hatte der Vatikan schon Konkordate mit Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden (1932) abgeschlossen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Rechte der Länder beschnitten, sodass der Vatikan einen Vertrag mit dem ganzen Reich anstrebte. Nach Verhandlungen mit dem NS-Regime wusste Pacelli, dass dies möglich sein würde.
Mit dem ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning war ihm das nicht gelungen, obwohl dieser ein prominentes Mitglied der katholischen Zentrumspartei war. Am 8. August 1931 fand in Rom ein Gespräch zwischen Pacelli und Brüning statt. Pacelli verlangte von Brüning, ein Konkordat abzuschließen, mit dem die Interessen der katholischen Kirche, vor allem im Bereich der Bildung, gewährleistet werden sollten – eine Forderung, die Brüning ablehnte, da ihm klar war, dass sie kaum durchzusetzen sein würde. Pacelli riet dem Kanzler daraufhin, nicht länger mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, sondern mit Hitler, um so ein Konkordat zu ermöglichen. Brüning antwortete, dass Pacelli die Situation in Deutschland und vor allem die wahre Natur der Nazis völlig falsch einschätze. In diesem Moment warf die Kirche das Ruder herum und beschloss, die Zentrumspartei aufzugeben, um eine Einigung mit Hitler zu ermöglichen. Pacelli fand diesen Weg offenbar akzeptabler als die Wechselhaftigkeit der Weimarer Republik.
MIZ: Ging das Reichskonkordat auf eine Initiative der nationalsozialistischen Außenpolitik zurück oder gab es bereits vorher Verhandlungen? Und welche Rolle spielte dabei Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII.?
Dirk Verhofstadt: Der deutsche Historiker Gerhard Besier veröffentlichte 2004 sein Buch Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland: Die Faszination des Totalitären, in welchem er sich auf die Einstellung Pacellis zu Nazi-Deutschland konzentriert. Er verweist auf ein Treffen zwischen dem Zentrumspolitiker Ludwig Kaas und Pacelli in Innsbruck am 26. September 1930, zwölf Tage nach der Reichstagswahl, die der NSDAP zu ihrem großen Durchbruch verhalf. Die NSDAP bekam 6,4 Millionen Stimmen, einen Anteil von 18,3 Prozent. Sie wurde damit zur zweitgrößten Partei in Deutschland und hatte nun mehr Sitze im Parlament als das Zentrum. Die deutschen Bischöfe kehrten sich damals noch gegen die braune Bewegung, aber Pacelli änderte in diesem entscheidenden Augenblick seinen Kurs. „Angesichts der prekären Lage des Zentrums (…) nach den letzten Wahlen konnte der klärende Ratschlag von Pacelli einen entscheidenden Einfluss ausüben, und das in der Tat in Richtung der Akzeptanz von Beziehungen zu Hitler“, heißt es in einem Bericht der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl vom 30. September.
[…] MIZ: Was war die Motivation für den Vatikan, sich auf Verhandlungen mit einem totalitären Regime einzulassen? Noch dazu mit einem, das die katholische Kirche bis zur Machtergreifung immer kritisiert hatte…
Dirk Verhofstadt: Erstens seine Furcht vor dem Kommunismus angesichts von dessen erfolgreicher Ausbreitung in Europa in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Pius XI. zeigte (wie Pacelli) stets mehr Sympathie für „katholische Staaten unter strenger Führung“, wie den spanischen katholisch-korporatistischen Staat, und betrachtete die demokratischen Ideale wie Freiheit, Unabhängigkeit und Eigeninitiative als Krankheiten, von denen der „schwächliche Körper des Christentums geheilt werden muss“. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als sowohl Deutschland als auch die österreichisch-ungarische Monarchie mit ihrer starken katholischen Präsenz in Trümmern lagen und die „rote Gefahr“ aus dem Osten herankam, entschied sich der Vatikan resolut für totalitäre Systeme, welche die Interessen der Kirche schützen sollten. Daher die Konkordate mit Mussolini und später mit Hitler.
[…] MIZ: Pius XII. wird sein Schweigen angesichts des Holocaust vorgehalten. War das Reichskonkordat der „Pakt mit dem Teufel“, der zur Folge hatte, dass der Papst seinen Vertragspartner nicht öffentlich kritisierte?
Dirk Verhofstadt: Ja. Mit dem Konkordat schob Pacelli die deutschen Bischöfe und einfachen Gläubigen in die Arme der Nazis. Nehmen Sie den Brief von Michael Buchberger, dem Bischof von Regensburg, den er bereits am 3. Juli 1933 an den Führer sandte: „Wir sind bereit, voll guten Willens und Loyalität mit Ihrer Exzellenz für den Wiederaufbau unserer Heimat zusammenzuarbeiten, das heißt für die geistige und moralische Gleichschaltung des gesamten deutschen Volkes auf christlicher und patriotischer Basis.“ Bemerkenswert ist, dass dieser Bischof das Wort Gleichschaltung gebrauchte, ein Begriff, mit dem die Maßnahmen bezeichnet wurden, mit denen die Nazis Deutschland in eine totalitäre Diktatur verwandelten. Kardinal Bertram sandte als Vorsitzender der Bischofskonferenz von Fulda am 22. Juli 1933 einen Brief des Dankes an den Führer. Darin schrieb er, dass die Kirche bereitwillig mit dem Regime zusammenarbeiten würde.
Allerdings gab es einen einzigen deutschen Bischof, der seine Vorbehalte zum Ausdruck brachte. Schon anlässlich der Machtergreifung 1933 hatte der Berliner Bischof Konrad Preysing erkärt: „Wir sind in den Händen von Kriminellen und Verrückten.“ Und Anfang Juli fragte Preysing bei Pacelli an, ob „ein Konkordat wohl noch möglich ist“ in einer Zeit der völligen Willkür und Unterwerfung unter die Interessen des Vaterlandes. Diese kritische Sicht war richtig. Pacelli aber entschied sich, eine Vereinbarung mit einem Regime abzuschließen, das kein Rechtsstaat war. Seine Fürsprecher betonen immer wieder, dass der spätere Papst in guter Absicht gehandelt habe und der Text – zumindest auf dem Papier – besonders günstig für die Kirche war. Aber an wen sollte man sich richten, wenn die Vereinbarung durch eine der beiden Parteien nicht eingehalten wurde? Pacelli hatte mit dem Konkordat die deutsche Kirche faktisch aus der Hand gegeben und seine Unterschrift unter eine Reihe von Abmachungen gesetzt, deren Einhaltung niemand zusichern konnte. Diese Haltung zeugt nicht nur von Naivität, sondern auch von Ignoranz, Mangel an Einfühlungsvermögen und sogar von Komplizenschaft.
Morde bis zum Untergang des Dritten Reiches und darüber hinaus
In der sächsischen Anstalt Großschweidnitz sind zwischen 1939 und 1945 über 5700 Patienten „gestorben“, allein bis Mai 1945 1012 Bewohner.
In Hadamar werden 1941 10 000 Menschen vergast und danach etwa 5000 mit Hunger und Spritzen ermordet. Im Januar 1945, zwei Monate vor dem Einmarsch der Amerikaner, bestellt Dr. Adolf Wahlmann noch 10 000 Veronaltabletten, um weiterhin Patienten vergiften zu können. Von der Befreiung Hadamars gibt es Filmaufnahmen der US-Army. Sie zeigen zum Skelett abgemagerte Menschen wie sie aus den Konzentrationslagern bekannt sind.
In der Anstalt Meseritz-Obrawalde, 150 km östlich von Berlin, werden ab 1942 18 000 Menschen ermordet. Die letzten am 28. Januar 1945, einen Tag bevor die sowjetische Armee eintrifft. Einige tausend noch ungenutzter Urnen dokumentieren, daß weiter gemordet werden sollte.
In der bayerischen Anstalt Kaufbeuren hatte Direktor Valentin Faltlhauser aus eigenem Antrieb eine spezielle „Hungerkost“ entwickelt, wonach seine Patienten binnen dreier Monate verhungerten. Noch drei Monate nach der Befreiung und nach der Verhaftung des Direktors geht das Massensterben weiter. In der brandenburgischen Anstalt Teupitz leben am 28. April 1945, am Tag der Befreiung, noch 600 Bewohner, Ende Oktober sind es nur noch 54 Patienten.
In der sächsischen Anstalt Altscherbitz sterben 1945 mehr Menschen als während der Nazi-Zeit. Die Sterberate beträgt 1945 36,5 Prozent, das sind 838 Menschen. 1947 steigt die Sterberate auf 38 Prozent, das sind 887 Menschen.
In der württembergischen Anstalt Zwiefalten sterben 1945 46,5 Prozent der Insassen, doppelt so viele wie 1944.
In der pommerschen Anstalt Ueckermünde beträgt 1945 die Sterblichkeit 55 Prozent. In der Anstalt Bernburg/Saale verdoppelt sich 1945 die Zahl der Sterbefälle. Schloß Hoym in Sachsen-Anhalt, während der Nazi-Zeit eine Absterbeanstalt für sog. psychiatrische Pflegefälle. Auch hier beginnt das Massensterben erst nach der Befreiung. Bei 500 Bewohnern beträgt 1945 der „durchschnittliche Sargbedarf“ 250 Särge.
Die Anstalt Düsseldorf-Grafenberg hat 1946/47 eine Sterberate von 55 Prozent, 1948/49 sind es noch immer 30 Prozent. Grafenberg hatte schon vor den Nazis Kranke zur Erprobung von Malaria-Präparaten Bayer-Elberfeld zur Verfügung gestellt. Der Psychiater Heinz Faulstich („Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949″, 1998) hat als erster Vertreter seines Faches die Ermordung mittels Hunger dokumentiert. Faulstich gibt für die Nachkriegszeit eine Mindestzahl von 20 000 Toten an, wahrscheinlich seien es jedoch erheblich mehr. Eine Bestandsaufnahme insgesamt scheitert daran, daß zahlreiche Anstalten ihre Unterlagen vernichtet haben.
Bis heute finden die Täter im Regelfall mehr Verständnis als ihre Opfer.Es gibt eine Ausnahme: Mitarbeiter der Wittenauer-Heilstätten in Berlin haben die Vergangenheit ihrer Klinik aufgearbeitet. Von 1939 bis zum Kriegsende am 24. April 1945 waren 4 607 Patienten umgekommen, in der Regel etwa 20 Tage nach ihrer Einlieferung. Nach der Befreiung werden 2500 Menschen neu aufgenommen, davon „sterben“ im selben Jahr 1400, etwa 55 Prozent. Seit 1957 heißt die Einrichtung Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Bonhoeffer war Gutachter bei der „Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger“ (Bonhoeffer), freiwillig, wie alle. Bonhoeffer arbeitete noch nach seiner Pensionierung für die rassistischen Sterilisierungsgerichte. Im Dezember 1941 hat er einen sog. Halbjuden zu begutachten, der vor 14 Jahren ein einziges Mal in der Psychiatrie gewesen war. Selbst das NS-Erbgesundheitsgericht hat Bedenken, da er keinerlei kranke Symptome zeige und normal arbeite. Bonhoeffer empfiehlt dennoch die Sterilisierung.
Menschen, die zwangssterilisiert wurden, fielen dem Rassenwahn der Nazi-Zeit zum Opfer, wurden aber rechtlich nie als Nazi-Verfolgte anerkannt und entschädigt
Es bleiben lediglich Almosen aus einem Härtefallfond.
Die Täter setzten ihre Karriere ohne Scham fort, traten sogar als Gutachter in Entschädigungsfällen auf und verhöhnten ihre Opfer, angesichts ihrer Minderwertigkeit könne kein seelischer Schaden vorliegen.
Einer der meistgeehrten Psychiater der Nachkriegszeit war Prof. Helmut E. Ehrhardt, Mitglied der NSDAP ab 1937, Ordinarius für Gerichtliche und Soziale Medizin in Marburg. Ehrhardt tat sich vielfach als Weißwäscher der Nazi-Psychiatrie hervor. 1963 meinte er in einem Gutachten für das Bundesfinanzministerium: „Eine Entschädigungsregelung für die Sterilisierten würde in vielen Fällen zu einer … Verhöhnung des echten Gedankes der Wiedergutmachung.“Ehrhardt wurde mit der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der deutschen Ärzteschaft, geehrt. Er war u.a. Mitglied des Beirats für Seelische Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation, des ethischen Komitees und der forensischen Sektion des Weltverbandes für Psychiatrie, zuletzt auch Ehrenmitglied.
Die Verhöhnung der Opfer hat Tradition: bereits 1946 erstattete der Wiener Ordinarius der Psychiatrie Otto Pötzl ein Gutachten, wonach die Verabreichung von Giften eine besonders humane Tötung gewesen sei, da die Opfer in den Tod „Dahindämmern“. Der Wiener Gerichtsmediziner Leopold Breitenecker gutachtete 1967 in einem Prozeß gegen Vergasungsärzte über den Gaskammertod: „Es ist sicherlich eine der humansten Tötungsarten überhaupt.“ (Ks 1/66 GStA Frankfurt a. M.). Breitenecker, Gründer der Österreichischen Gesellschaft für gerichtliche Medizin, war Mitglied diverser Ethik-Kommissionen. Sein Sohn Manfred, Universitätsprofessor, Institut für theoretische Physik der Universität Wien, meinte noch in diesem Jahr, die Angehörigen der Ermordeten könnten die Aussage über das Sterben in der Gaskammer „vielleicht als Trost“ empfinden.
Der Schutz mörderischer Kollegen stand höher als das Leid der Opfer. So wird verständlich, daß Psychiatrieprofessor Werner Heyde, der medizinische Leiter des Gasmords, bis 1959 mit Wissen zahlreicher Kollegen unter dem Namen Dr. Sawade als Gutachter in Entschädigungsfällen arbeiten konnte.
Täterschutz galt bis zum Tode: Die Todesanzeige der Ärztekammer Niedersachsen für Dr. med. Klaus Endruweit, zum Vergasen in der Anstalt Sonnenstein in Pirna eingesetzt: „Wir werden seiner ehrend gedenken.“ Die Todesanzeige der Klinik Wunstorf für Hans Heinze, dem ehemaligen Leiter der größten Kindermordstätte der NS-Zeit: „Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.“ In der Todesanzeige der Universität Kiel für Prof. Werner Catel, verantwortlich für den Kinder-Massenmord, heißt es, er habe „in vielfältiger Weise zum Wohle kranker Kinder beigetragen“. Die Traueranzeige der Psychiatrischen Universitätsklinik Düsseldorf für Prof. Friedrich Panse gipfelt in dem Satz: „Ein Leben der Arbeit im Dienst leidender Mitmenschen … ist vollendet.“ Panse war T4-Gutachter, d.h. er gutachtete Patienten in die Gaskammer. Ende des Referats von Ernst Klee.