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„Diese Haltung zeugt von Ignoranz“   Leave a comment

Auszug.

Interview mit Dirk Verhofstadt zum Reichskonkordat

Im Juli feierte das „Reichskonkordat“ Geburtstag. Es war der erste internationale Vertrag, den das Hitler-Regime abschließen konnte und ist bis heute gültig. Eingefädelt hatte es Nuntius Eugenio Pacelli, der später als Papst Pius XII. die Geschicke der katholischen Kirche während des Zweiten Weltkrieges lenkte. Mit ihm und seiner Rolle bei der Vernichtung der europäischen Juden hat sich der belgische Publizist Dirk Verhofstadt in einer umfangreichen Studie auseinandergesetzt, die vor Kurzem in deutscher Übersetzung erschienen ist. Gunnar Schedel sprach mit ihm über jenes Abkommen, das viele als verheerenden ersten Schritt zur internationalen Anerkennung des nationalsozialistischen Deutschland sehen.

MIZ: Herr Verhofstadt, vor 80 Jahren wurde das Reichskonkordat abgeschlossen. Warum war ein Konkordat auf Reichsebene überhaupt notwendig? Es gab doch die Länderkonkordate mit Preußen und Bayern…

Dirk Verhofstadt: Tatsächlich hatte der Vatikan schon Konkordate mit Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden (1932) abgeschlossen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Rechte der Länder beschnitten, sodass der Vatikan einen Vertrag mit dem ganzen Reich anstrebte. Nach Verhandlungen mit dem NS-Regime wusste Pacelli, dass dies möglich sein würde.

Mit dem ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning war ihm das nicht gelungen, obwohl dieser ein prominentes Mitglied der katholischen Zentrumspartei war. Am 8. August 1931 fand in Rom ein Gespräch zwischen Pacelli und Brüning statt. Pacelli verlangte von Brüning, ein Konkordat abzuschließen, mit dem die Interessen der katholischen Kirche, vor allem im Bereich der Bildung, gewährleistet werden sollten – eine Forderung, die Brüning ablehnte, da ihm klar war, dass sie kaum durchzusetzen sein würde. Pacelli riet dem Kanzler daraufhin, nicht länger mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, sondern mit Hitler, um so ein Konkordat zu ermöglichen. Brüning antwortete, dass Pacelli die Situation in Deutschland und vor allem die wahre Natur der Nazis völlig falsch einschätze. In diesem Moment warf die Kirche das Ruder herum und beschloss, die Zentrumspartei aufzugeben, um eine Einigung mit Hitler zu ermöglichen. Pacelli fand diesen Weg offenbar akzeptabler als die Wechselhaftigkeit der Weimarer Republik.

MIZ: Ging das Reichskonkordat auf eine Initiative der nationalsozialistischen Außenpolitik zurück oder gab es bereits vorher Verhandlungen? Und welche Rolle spielte dabei Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII.?

Dirk Verhofstadt: Der deutsche Historiker Gerhard Besier veröffentlichte 2004 sein Buch Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland: Die Faszination des Totalitären, in welchem er sich auf die Einstellung Pacellis zu Nazi-Deutschland konzentriert. Er verweist auf ein Treffen zwischen dem Zentrumspolitiker Ludwig Kaas und Pacelli in Innsbruck am 26. September 1930, zwölf Tage nach der Reichstagswahl, die der NSDAP zu ihrem großen Durchbruch verhalf. Die NSDAP bekam 6,4 Millionen Stimmen, einen Anteil von 18,3 Prozent. Sie wurde damit zur zweitgrößten Partei in Deutschland und hatte nun mehr Sitze im Parlament als das Zentrum. Die deutschen Bischöfe kehrten sich damals noch gegen die braune Bewegung, aber Pacelli änderte in diesem entscheidenden Augenblick seinen Kurs. „Angesichts der prekären Lage des Zentrums (…) nach den letzten Wahlen konnte der klärende Ratschlag von Pacelli einen entscheidenden Einfluss ausüben, und das in der Tat in Richtung der Akzeptanz von Beziehungen zu Hitler“, heißt es in einem Bericht der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl vom 30. September.

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MIZ: Was war die Motivation für den Vatikan, sich auf Verhandlungen mit einem totalitären Regime einzulassen? Noch dazu mit einem, das die katholische Kirche bis zur Machtergreifung immer kritisiert hatte…

Dirk Verhofstadt: Erstens seine Furcht vor dem Kommunismus angesichts von dessen erfolgreicher Ausbreitung in Europa in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Pius XI. zeigte (wie Pacelli) stets mehr Sympathie für „katholische Staaten unter strenger Führung“, wie den spanischen katholisch-korporatistischen Staat, und betrachtete die demokratischen Ideale wie Freiheit, Unabhängigkeit und Eigeninitiative als Krankheiten, von denen der „schwächliche Körper des Christentums geheilt werden muss“. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als sowohl Deutschland als auch die österreichisch-ungarische Monarchie mit ihrer starken katholischen Präsenz in Trümmern lagen und die „rote Gefahr“ aus dem Osten herankam, entschied sich der Vatikan resolut für totalitäre Systeme, welche die Interessen der Kirche schützen sollten. Daher die Konkordate mit Mussolini und später mit Hitler.

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MIZ: Pius XII. wird sein Schweigen angesichts des Holocaust vorgehalten. War das Reichskonkordat der „Pakt mit dem Teufel“, der zur Folge hatte, dass der Papst seinen Vertragspartner nicht öffentlich kritisierte?

Dirk Verhofstadt: Ja. Mit dem Konkordat schob Pacelli die deutschen Bischöfe und einfachen Gläubigen in die Arme der Nazis. Nehmen Sie den Brief von Michael Buchberger, dem Bischof von Regensburg, den er bereits am 3. Juli 1933 an den Führer sandte: „Wir sind bereit, voll guten Willens und Loyalität mit Ihrer Exzellenz für den Wiederaufbau unserer Heimat zusammenzuarbeiten, das heißt für die geistige und moralische Gleichschaltung des gesamten deutschen Volkes auf christlicher und patriotischer Basis.“ Bemerkenswert ist, dass dieser Bischof das Wort Gleichschaltung gebrauchte, ein Begriff, mit dem die Maßnahmen bezeichnet wurden, mit denen die Nazis Deutschland in eine totalitäre Diktatur verwandelten. Kardinal Bertram sandte als Vorsitzender der Bischofskonferenz von Fulda am 22. Juli 1933 einen Brief des Dankes an den Führer. Darin schrieb er, dass die Kirche bereitwillig mit dem Regime zusammenarbeiten würde.

Allerdings gab es einen einzigen deutschen Bischof, der seine Vorbehalte zum Ausdruck brachte. Schon anlässlich der Machtergreifung 1933 hatte der Berliner Bischof Konrad Preysing erkärt: „Wir sind in den Händen von Kriminellen und Verrückten.“ Und Anfang Juli fragte Preysing bei Pacelli an, ob „ein Konkordat wohl noch möglich ist“ in einer Zeit der völligen Willkür und Unterwerfung unter die Interessen des Vaterlandes. Diese kritische Sicht war richtig. Pacelli aber entschied sich, eine Vereinbarung mit einem Regime abzuschließen, das kein Rechtsstaat war. Seine Fürsprecher betonen immer wieder, dass der spätere Papst in guter Absicht gehandelt habe und der Text – zumindest auf dem Papier – besonders günstig für die Kirche war. Aber an wen sollte man sich richten, wenn die Vereinbarung durch eine der beiden Parteien nicht eingehalten wurde? Pacelli hatte mit dem Konkordat die deutsche Kirche faktisch aus der Hand gegeben und seine Unterschrift unter eine Reihe von Abmachungen gesetzt, deren Einhaltung niemand zusichern konnte. Diese Haltung zeugt nicht nur von Naivität, sondern auch von Ignoranz, Mangel an Einfühlungsvermögen und sogar von Komplizenschaft.

http://www.miz-online.de/node/396

Gruß Hubert