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Stellungnahme von Gabriele Röwer zu Herrn Dr. Meier – Karlheinz Deschner   1 comment

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Die mit Karlheinz Deschners Schaffen seit Jahrzehnten vertraute Mainzer Pädagogin und Autorin (E-Mail: gabriele_roewer@gmx.de) repliziert detailliert auf Pirmin Meiers Deschner-Porträt.

Auszug.
Stellungnahme von Gabriele Röwer zu Herrn Dr. Meier.

Ihre Detailkritik Karlheinz Deschners
Vorweg: Anmerkungen zu Ihrem Sprachgestus und zu Ihrer Sicht Deschners als „Polemiker“:

Ich bitte um Nachsicht dafür, dass mir Ihr Sprachgestus Deschner gegenüber oft, gelinde gesagt, Mühe macht. Sie sprechen zuweilen gleichsam „olympisch“, als wüssten Sie, einem auktorialen Erzähler gleich, was Deschner gewollt oder nicht gewollt haben mag, ein Autor, den Sie – im Unterschied zu all jenen, über die Sie sonst Beachtliches schrieben – so oder so kaum kennen. Fehlende – oder wie in einem besonders gravierenden Fall verfälschte – Zitate oder Texthinweise sprechen für sich, ebenso die fehlende, mich bei unserem gemeinsamen Freund Robert Mächler stets aufs Neue beeindruckende klare Unterscheidung zwischen persönlicher Stellungnahme im Gefolge wertungsfrei-sachlicher (bei Ihnen kaum ansatzweise zu findender) Darstellung des zu würdigenden Werks.

Den im März 2013 abgeschlossenen 10. Band der „Kriminalgeschichte des Christentums“ (Abk. KdC), nur auf diesen nehmen Sie, wenn auch minimal, überhaupt Bezug (wie viel lasen Sie davon?), lassen Sie in einigen Varianten des vorliegenden Textes gar schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts enden, statt (auch für das „Portal der Erinnerung“ nach Hinweis korrigiert) erst im Ausgang des 18. Jahrhunderts. Im summarischen Eingang zur neuzeitlichen „Politik der Päpste“ (Neuauflage 2013) wird die Französische Revolution (wie vieles andere vor dem Pontifikat Leo XIII. 1878 ff) nur gestreift, freilich nicht, wie Sie mutmassen, aus Desinteresse an damaliger „Christenverfolgung“. (Auf welche Quellen stützt sich übrigens Ihre Mitteilung andernorts, die Christenverfolgung im 20. Jahrhundert übertreffe alle anderen für dieses Säkulum dokumentierten Verfolgungen?)

Zudem urteilen Sie nach meinem Empfinden nicht selten anmassend-apodiktisch, zumindest verallgemeinernd über etwas, das nur, Ihnen sonst so wichtig, am Einzelfall relevant wird. Ein Beispiel, das für andere steht: „Polemiker (als den Sie Deschner hier mehrfach bezeichnen) sind regelmässig Gescheiterte.“

Auch Ulrich von Hutten? Auch Lessing und Schopenhauer? Auch Heine und Marx? Auch Tucholsky und Karl Kraus? Auch Ambrose Bierce und Oskar Wilde? Sofern man unter „Polemik“ nicht, wie heute verbreitet, abschätzig blosse Streitsucht, ein Niedermachen des andern mit allen Mitteln und um jeden Preis versteht, sondern, wie vor Zeiten, eine gelehrte Fehde im Wettstreit nachprüfbarer, auch scharf und schärfst formulierter Argumente, etwa zur Aufdeckung einer Lüge oder Schandtat.

Das Movens von Deschners Kirchenkritik

Deschner legt den Finger auf die Verbrechensgeschichte Ihrer Kirche, gegen die Sie, so spüre ich aus vielem heraus, trotz aller Kritik, so etwas wie eine „Heilsgeschichte“ verteidigen möchten (müssen? siehe Fichte). Beides könnte nebeneinander bestehen, würden Kritiker Deschners sich überhaupt erst mal lesend auf ihn einlassen. Rasch würde deutlich, dass er die von Ihnen vermissten und von Apologeten favorisierten positiven Gestalten der Kirchengeschichte in der Nachfolge des synoptischen Jesus keineswegs leugnet, freilich klarstellt, zum einen, dass sie nicht selten einst von ihrer Kirche verfolgt, später, wenn opportun, zur Selbstrechtfertigung bisweilen umso höher gehoben wurden; dass sie, zum andern, kaum bestreitbar, alles in allem nur geringen oder keinen Einfluss hatten auf die, von Deschner detailreich fokussierten, politikbestimmenden kurialen Mächte (deren „Macht“ Sie indes von Deschner „regelmässig falsch“ eingeschätzt sehen…) nebst deren Vasallen, welche zur Wahrung und Mehrung ihrer Macht nach innen und aussen die Ethik der Bergpredigt Jahrhundert für Jahrhundert „im Namen des Herrn“ mit Feuer und Schwert ins Gegenteil verkehrten. Für deren namenlose Opfer aber schlägt das Herz Deschners, auch sonst mitfühlend, ja, mitleidend wie nur einer. Kaum jemand hat das wohl so eindringlich zum Ausdruck gebracht wie sein ihm auch räumlich fast benachbarter Freund Hans Wollschläger in einem mehrfach veröffentlichten „Leitfaden a priori“ von 2004:

„Deschner schreibt als Kirchengeschichte die ganze Geschichte neu – und gibt sie in eben dieser Identität als die Kriminalgeschichte zu erkennen, die sie war. Das geht der gesamten Vertuschungs-Historiographie mitten ins Gesicht, und nur folgerichtig geschieht es mit allen dort verpönten Mitteln: urteilend, wertend – nämlich ‚moralisch‘ wertend, nämlich aus der Sicht der Opfer urteilend, die das alles erdulden mussten: eine Greuel-Chronik ohne Wenn und Aber. ‚Differenzierung‘ verlangt da habituell die Zunft-Kritik, um aus dem Blutsumpf in irgend eine ‚Idee‘ abheben zu können; nichtsda: sie brächte, aus der Nähe der Erduldenden gesehen, keine Differenz. Diese Nähe, an der er unerbittlich festhält, ist Deschners Prinzip – und seine ihm nicht entreissbare Legitimation.“

Doch nicht Hass treibt diesen Kirchenkritiker an, wie auch Sie mehrfach suggerieren, trotz seiner, wie Sie konzedieren, so gar nicht „hasserfüllten Augen“ (im ironisch gefärbten Titel des Films von Ricarda Hinz), sondern Feindschaft, wahrlich nicht zurückzuführen auf plattes Ressentiment. In der ausführlichen Einleitung zu seinem Hauptwerk über seine Methode, das Objektivitätsproblem und die Problematik aller Geschichtsschreibung stellt er klar:

„Die Geschichte derer, die ich beschreibe, hat mich zu ihrem Feind gemacht.“ Und mit Blick auf seine Kritiker, die ihm Einseitigkeit oder Fehler vorwerfen werden, fügt er hinzu: „Und nicht, weil ich nicht, was auch wahr ist, geschrieben habe, bin ich widerlegt. Widerlegt bin ich nur, wenn falsch ist, was ich schrieb.“

Statt sich dem erschütternden Resultat seiner Gesamtbilanz auszusetzen, schirmen sich etliche von Deschners Kritikern davor ab.

[…]
oder schliesslich, indem sie es, wie der von Ihnen zitierte Hans Küng, belächeln als „ewige Fortschreibung der kirchlichen Skandalchronik“ („chronique scandaleuse“ in der Kurzfassung Ihres Textes) – wobei wenigsten der fortgesetzte „Skandal“ zugegeben wird, während Sie im vorliegenden Text, für mich viel gravierender, Deschner fast bis zur Unkenntlichkeit diminuieren als einen „skandalisierenden (!) historiographischen Erzähler“ – unverkennbar der Wink: die Geschichte der Kirche selbst ist nicht finster, nicht skandalös, sondern Deschner ist es, der sie schwärzt – sie eben, effekthascherisch, skandalisiert. Semper idem: wer den Schmutz aufdeckt, gilt als Verschmutzer.

Ausblendung von Deschners „Politik der Päpste“ im 19. und 20. Jahrhundert

Einen Gipfel aber erreicht für mich Ihre fatale Ausblendung des Skandalons (!) päpstlicher, Politik zur Durchsetzung kurialer Macht mit allen erdenklichen, nur eben nicht „ur-christlichen“ Mitteln bei Ihrer weitgehenden Ignorierung der über 1000 Seiten umfassenden neuzeitlichen Papstgeschichte Karlheinz Deschners „Die Politik der Päpste. Vom Niedergang kurialer Macht im 19. Jahrhundert bis zu ihrem Wiedererstarken im Zeitalter der Weltkriege“ (Alibri/2013), vom Autor verstanden als gleichsam 11. Band seiner „Kriminalgeschichte des Christentums“. Dessen mit gut 550 Seiten (der Hälfte also des Gesamtwerks) und weit über 3000 Anmerkungen allein dem Pontifikat Pius XI. (ab 1922) und Pius XII. (ab 1939) gewidmeten Hauptteil hatte Deschner längst vor dem 1. Band der KdC (1986) vorbereitet bereits durch das epochale Werk „Mit Gott und den Faschisten“ von 1965, worin er als erster in dieser Ausführlichkeit die Verbindungen zwischen Vatikan und europäischem, inkl. kroatischem, Faschismus, aufzeigte; später dann erheblich erweitert um die Päpste seit Mitte des 19. Jahrhunderts und nach 1962 im Doppelband von 1982/83 („Ein Jahrhundert Heilsgeschichte…“, Verlag Ki&Wi), nochmals aktualisierend erweitert 1991(Rowohlt) und schliesslich 2013 bis in die Gegenwart erweitert von Michael Schmidt-Salomon.

Während Sie das immense Werk im vorliegenden Text nur bei Nennung jenes Namens einmal kurz streifen, ansonsten nur auf dessen mutmassliche Entstehungszeit zu sprechen kommen anlässlich einer Veranstaltung mit dem „Demagogen“ Deschner 1982 im Zürcher Spirgarten, die Ihren zutiefst negativen Eindruck von dessen Kritik des zeitgenössischen Papsttums bis heute nachhaltig prägte, las ich dieses Werk als Korrektorin der Neuauflage vor einem Jahr Wort für Wort, immer wieder innehaltend, überwältigt auch von der Sprachkraft, mit welcher der Autor die Fülle der gerade hier (!) bestdokumentierten, meist „geheimdiplomatischen“ Verbindungen des Vatikans mit sämtlichen Weltmächten, je nach Gebot und Gunst der Stunde, darzustellen wusste. (Vgl. meine Zusammenfassungen

http://www.deschner.info/de/downloads/JW%2018.5.2013.pdf

und http://www.alibri-blog.de/?p=455 .)

Der Nerv von Deschners Opus Magnum:

Kritik der Heuchelei im Heiligenschein

Gerade die Gefahr der „Verlogenheit“ halte ich nicht für unwahrscheinlich. Denn Fakt ist: Deschner deckt sie auf, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, diese Heuchelei im Heiligenschein. Noch gehen Sie nicht selbst der Entlarvung kirchlicher „Doppelmoral von Helden und Heiligen“ nach als dem Zentralnerv von Deschners Arbeit, zitieren aber, dankenswerterweise, den auch hier wieder unübertrefflich klaren Michael Meier, kritischer Katholik wie Sie, indes langjähriger Kenner des Werks von Karlheinz Deschner mit Gespür zugleich für dessen ethisches Movens.

Johannes Ude freilich, vielseitig gelehrter österreichischer Priester, Lebensreformer, Pazifist (1874?1965), taucht leider, obwohl ich in unserer Korrespondenz auf ihn verwies, in der vorliegenden Langfassung Ihres Deschner-Nachrufs nicht mehr auf. Dessen Maxime „Ich kann das Unrecht nicht leiden“ (und nicht, wie Sie unterstellen, das Jagen nach möglichst breiter Publikumswirksamkeit seiner hier und heute ohnedies gefahrlosen, aber einträglichen Kirchenkritik) leitete Deschners gesamtes Werk, nicht nur das kirchenkritische.

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Stellungnahme von Gabriele Röwer zu Herrn Dr. Meier – Karlheinz Deschner