Archiv für 20. November 2013

Befragung eines Kriegsdienstverweigerers – Franz Josef Degenhardt   Leave a comment

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Dies ist die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers durch den liberalen und zuvorkommenden Kammervorsitzenden

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… also sie berufen sich hier pausenlos aufs grundgesetz
sagen sie mal
sind sie eigentlich kommunist
ja sie dürfen sitzen bleiben
überhaupt wir sind hier ziemlich liberal
lange haare bärte ketten ringe
ham wir alles schon gehabt
aber in die akten scheißen mögen wir hier nicht
marx und engels haben sie gelesen sagen sie uns
sagen sie verstehen sie das denn
sie ham doch bloß die volksschule besucht
na nun regen sie sich nicht gleich auf
dafür können sie ja nichts
lesen dürfen sie ja was sie wollen ? überhaupt
hier darf jeder machen was er will
im rahmen der freiheitlich-demokratischen grundordnung versteht sich

ja soldat sein das will heute keiner mehr
kann ich auch verstehen
und ich selber hätte keine lust aber
gründe haben müssen wir dafür
na nun fangen sie nicht wieder an
mit imperialismus den zwei kriegen
und die alte klasse ist noch immer an der macht
und sie wollen nicht für die
kastanien aus dem feuer holen
das verstehn wir ja
mag auch alles richtig sein
interessiert uns aber nicht
das ist nämlich politik
hier interessieren nur gewissensgründe
was das ist
hört sich zwar sehr grausam an
trifft den nagel aber auf den kopf nämlich
ob sie töten können oder nicht
ja hier darf jeder machen was er will
im rahmen der freiheitlich-demokratischen grundordnung versteht sich

also fangen wir mal an
in ?ner kirche sind sie nicht
auch nicht in ?ner anerkannten sekte
sehen sie da wirds schon schwierig mit gewissensgründen
einen haben wir mal hier gehabt
und der machte auf buddhist
war son typ mit glatze aber
durchgekommen ist er schlaues kerlchen
also passen sie mal auf
ich werd jetzt ihr gewissen prüfen
nehmen wir mal an sie gehn spazieren
mit ihrer freundin nachts im park
plötzlich
kommt ?ne horde russen
stockbesoffen und bewaffnet halt
sagen wir ?n trupp amerikaner
schwer betrunken und bewaffnet nachts im park
machen sich an ihre freundin ran
SIE haben ?ne MP dabei
na was machen sie
was sagen sie uns da
sie verbitten sich dies beispiel
meinetwegen bitte schön
hier darf jeder machen was er will
im rahmen der freiheitlich-demokratischen grundordnung versteht sich

schön die russen und amerikaner fallen also weg
die chinesen sicher auch
und mit negern brauch ich gar nicht erst zu kommen
lassen wir das eben
nehmen wir einfach ein paar ganz normale kriminelle
schwer betrunken und bewaffnet
nachts im park
machen sich an ihre freundin ran
SIE haben wieder die MP dabei
na was machen sie
sagen sie uns bloß jetzt nicht
sie fallen auf die knie und beten
denn mit so was kommt hier keiner durch
der marx und engels liest
was sagen sie uns da
ich red die ganze zeit von politik
das ist aber wirklich komisch
bilde einen fall
so richtig auf sie zugeschnitten
baue ihnen auch noch goldene brücken
aber sie aber
hier darf jeder machen was er will
im rahmen der freiheitlich-demokratischen grundordnung versteht sich

so nun wolln wir aber wirklich wissen was sie tun
also noch mal
ein paar schwere jungs
schwer bewaffnet und betrunken nachts im park
machen sich an ihre freundin ran
SIE haben wieder die MP dabei
na was machen sie
was sagen sie uns da
sie wehren sich
weil sie ja in notwehr sind
ätsch
das ist aber falsch
durften sie nicht sagen
richtig ist die antwort nämlich die
ich werfe meine waffe fort
und dann bitte ich die herrn
mit der vergewaltigung doch bitte aufzuhörn
was sagen sie uns da
sie kämen als soldat doch nie in eine solche situation
fangen sie schon wieder an
ist doch politik
hat doch mit gewissen nichts zu tun
ja grundgesetz ja grundgesetz ja grundgesetz
sie berufen sich hier pausnelos aufs grundgesetz
sagen sie mal
sind sie eigentlich kommunist na ja
hier darf jeder machen was er will
im rahmen der freiheitlich-demokratischen grundordnung versteht sich.

 

http://www.golyr.de/franz-josef-degenhardt/songtext-befragung-eines-kriegsdienstverweigerers-630042.html

 

Gruß Hubert

Krank in der Leistungsgesellschaft   Leave a comment

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Der Autor dieses Beitrages im „Spiegel“ hat wohl recht, wenn er sagt, dass es einfacher sei „sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“. Die Masse nimmt das quasi als gottgegeben hin, dass wir dieses Wirtschaftsmodell haben. Die Gesundheit wird entpolitisiert sagt er. Die Medizin reduziert Depressionen stets auf individuelle und biologische Prozesse und damit deklariert sie die Krankheit als individuelles biologisches Problem. Das gesellschaftliche Umfeld und der Leistungsdruck wird nicht berücksichtigt.

Krank in der Leistungsgesellschaft: Wie der Kapitalismus den Stress privatisiert

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Entpolitisierung von Gesundheit: Sklaven des eigenen Anspruchs

Corbis -Entpolitisierung von Gesundheit: Sklaven des eigenen Anspruchs

 

Wer trägt die Kosten, wenn das Wirtschaftssystem krank macht? In seinem Essay „Kapitalistischer Realismus“ fordert der britische Wissenschaftler Mark Fisher: Die Gewerkschaften müssen die politische Dimension von Burnout und Depression erkennen.

Der jagende Kojote rennt über eine Klippe, hängt einige Sekunden in der Luft und realisiert erst beim Blick nach unten, dass er in die Tiefe stürzen wird. Eine Szene aus den „Road Runner“-Trickfilmen ist für den britischen Kulturtheoretiker Mark Fisher Sinnbild für unsere krisenhafte Gegenwart.
In seinem Essay „Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?“ beschreibt er eine Welt, in der wir als von neoliberalen Zwängen Gehetzte immer weiter rennen, obwohl wir ahnen, dass der Weg geradewegs in den Abgrund führt.

Doch in einer Zeit, in der die Macht des Neoliberalismus derart groß ist, dass die Kosten der Finanzkrise vor allem über staatliche Austerität und die daraus resultierende Abschaffung sozialer Errungenschaften finanziert wird, ist es, wie Fisher schreibt, einfacher, „sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“. Grund dafür ist seiner Meinung nach der kapitalistische Realismus, „eine alles durchdringende Atmosphäre“, die unseren Alltag infiziert hat und in der sich selbst musikalische Subkulturen als traditionelle Labore für Systemkritik der kapitalistischen Einverleibung nicht mehr entziehen können.

So war Gangsterrap einer der ersten Stile, in dem die „naive Hoffnung, dass eine Jugendkultur irgendeine Änderung herbeiführen könnte, bereits durch eine nüchterne Umarmung einer „brutalen, reduktionistischen Version von Realität ersetzt worden“ ist. Noch weitreichender sei die Unterordnung aller Lebensbereiche unter neoliberale Marktprinzipien. Diese Erkenntnis mag in Zeiten allgegenwärtiger Kapitalismuskritiken wie Frank Schirrmachers „Ego“, in dem der moderne Mensch als von kapitalistischen Algorithmen beherrschtes Subjekt beschrieben wird, keine Neuigkeit sein. Doch im Gegensatz zum technokratischen Kulturpessimismus des „FAZ“-Herausgebers analysiert der Cultural-Studies-inspirierte Autor die alltägliche Lebenswelt.

In der „Kontrollgesellschaft“

Als ehemaliger Lehrer beschreibt Fisher die negativen Effekte dieser Marktbürokratie anhand eigener Erfahrungen mit dem Bildungssystem, das er als „neoliberales Laboratorium“ bezeichnet. Die Zielvorgaben, die Bildung messbar machen sollen, als sei sie quantifizierbar wie eine Kosten-Nutzen-Rechnung, erinnern dabei auch an die europaweite Modularisierung von Studiengängen, die Unis in Kaderschmieden für Unternehmen verwandeln.

Die Folgen dieser Marktbürokratie sind vor allem auf der individuellen, psychischen Ebene spürbar. Denn das ständige Gefühl, gemessen und beobachtet zu werden, erzeugt eine Paranoia, die uns zu kafkaesken Sklaven unseres eigenen oder besser: fremdbestimmten Anspruchs macht. Damit sind wir längst in der „Kontrollgesellschaft“ angekommen, ein Begriff mit dem der Philosoph Gilles Deleuze eine Zeit beschrieb, in der die politischen und wirtschaftlichen Kontrollinstanzen weitgehend unsichtbar bleiben, dabei aber kaum an Macht einbüßen.

Dass eine wirksame Kritik etwa am Bildungsbetrieb kaum stattfindet, liegt auch an der Schwierigkeit, einen Schuldigen zu finden, was zu einer „distanzierten Zuschauerhaltung“ führt, die schon Nietzsche kritisierte. Das lähmende Gefühl der Alternativlosigkeit ist dabei vor allem dem „großen Anderen“ (so der Kulturkritiker Slavoj Žižek) geschuldet, also dem bürokratischen Unbekannten, auf den etwa Beamte mit dem allseits bekannten Satz verweisen, man würde lediglich Anweisungen „von oben“ befolgen. Anstatt jedoch aktiven Widerstand zu leisten, reagieren viele mit Zynismus, der die Konformität jedoch nur verstärke. Mit fatalen Folgen, vor allem für die Gesundheit.

So hängt der Anstieg von psychischen Krankheiten eng mit immer höheren Leistungserwartungen zusammen. Hier setzt Fishers zentrale These an, die ihn von anderen Zeitdiagnosen unterscheidet. Dass die Medizin Depressionen stets auf individuelle und biologische Prozesse verkürzt, bewirke eine „Privatisierung von Stress“, die den Verkauf von Antidepressiva als kurzfristige Symptomunterdrückung fördert. Da Depressive die Ursachen immer nur bei sich selbst suchen anstatt in ökonomischen Bedingungen, kommt es zu einer „Entpolitisierung von Gesundheit“, die gesellschaftliche Solidarität durch individuelle Verantwortung ersetzt.

Wo das kurzweilige Buch eindeutige Lösungen vermissen lässt, deutet es Politisierungspotentiale an und fordert von Gewerkschaften eine thematische Neuausrichtung, da es Fisher zufolge endlich an der Zeit sei, sich von klassischen Lohnverhandlungskonflikten zu lösen und stattdessen die politische Dimension von Krankheiten wie etwa Burnout zu thematisieren. Die Stärke Fishers liegt in seiner Fähigkeit, eine stetige Balance zwischen philosophischer Abstraktion und anschaulichen Beispielen aus der Popkultur zu halten, mit dem ihm eine pointierte Sezierung unserer Realität gelingt. Somit bietet der Essay vor allem eine realitätsfilternde Brille, durch die vieles klarer erscheint

Ob der Kojote auch mit einem solchen Durchblick über die Klippe gesprungen wäre?
Von Philipp Rhensius

Quelle:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/mark-fisher-kapitalistischer-realismus-ohne-alternative-a-928145.html

Gruß Hubert