Archiv für 7. Januar 2017

Verschwörungstheorien sind in der Mitte der Gesellschaft angelangt   Leave a comment

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Ich möchte noch einmal auf die Verschwörungstheorien zurück kommen, weil es doch ein komplexes Thema ist.
Bei Verschwörungstheorien geht es auch um die emotionale Ebene, wo es oft nicht mehr um Fakten geht, sondern auch um Glauben und Ideologie. Sebastian Bartoschek schrieb seine Dissertation zum Thema Verschwörungstheorien. Er ermahnt auch die emotionale Ebene nicht außer acht zu lassen. Hier erklärt er in einem Interview mit Euronews seine Sichtweise zum Thema.

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Chemtrails, Reptiloiden, hohle Erde: Verschwörungstheorien scheinen sich immer weiter auszubreiten. “Sie sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen”, sagt der Journalist und Psychologe Sebastian Bartoschek. Seit vielen Jahren befasst er sich mit Verschwörungstheorien, 2013 erhielt er für seine Dissertation zu dem Thema den Doktortitel. Einige Theorien seien harmlos, sagt der Fachmann, der auch für die Ruhrbarone schreibt. Andere hingegen bereiten ihm Unbehagen. Wir haben mit Sebastian Bartoschek über Verschwörungstheorien und -theoretiker gesprochen, über Medien und über (fehlendes) Vertrauen.

“Auch Gebildete sind anfällig für Verschwörungstheorien”

euronews
Herr Bartoschek, man hat den Eindruck, Verschwörungstheorien werden immer stärker. Stimmt das oder trügt dieser Eindruck?

Sebastian Bartoschek
Das wissen wir nicht. Was wir wissen ist, dass sie sichtbarer werden und dass sie mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Aber es fehlen uns Erhebungen aus der Zeit vor den sozialen Medien, um das vergleichen zu können. Mein subjektiver Eindruck ist, dass es mehr geworden ist. Als ich 2008 anfing, mich mit dem Thema wissenschaftlich zu beschäftigen, war es eine Randgruppenthematik. Mittlerweile ist es das eindeutig nicht mehr.

euronews
Und es ist kein Phänomen der Ungebildeten, der Abgehängten. Auch viele Akademiker glauben in der ein oder anderen Form an Verschwörungstheorien.

Sebastian Bartoschek
Bildung ist zunächst einmal eigentlich ein beschützender Faktor. Aber Michael Shermer hat das mal ganz gut analysiert. In seinem Buch Why people believe weird things geht er auch auf die Gebildeten ein und zeigt, dass gerade sie den Wunsch haben, einen Wissensvorsprung durch besonderes Wissen zu besitzen. Deshalb sind viele von ihnen für gewisse Verschwörungstheorien offen. Was den Zusammenhang angeht, so gibt es mittlerweile Studien, die alle drei Sachen belegen. Es gibt Studien, die sagen, es gibt keinen Zusammenhang, meine Dissertation kam zu dem Ergebnis, es gibt einen Zusammenhang, und dann gibt es eine ganz aktuelle Studie, die sagt, wir wissen es eigentlich nicht. Aber wichtiger als Bildung ist die Selbstwirksamkeit. Also, wie wirkmächtig erlebt sich jemand in seinem Leben. Und das ist bei Menschen mit hoher formaler Bildung eher der Fall, etwa, weil sie die besseren Jobchancen haben, aber auch die können natürlich anfällig sein.

euronews
Ist der Begriff “Verschwörungstheoretiker” nicht zu weit gefasst? Da sind einmal Leute, die an Chemtrails glauben, an Reptiloide, also an Dinge, bei denen vermutlich die allermeisten sagen würden, das ist völlig absurd. Aber dann werden vielfach auch Menschen, die die Nato, den Westen kritisieren, in den Verschwörungstopf geworfen. Ist das gerechtfertigt?

Sebastian Bartoschek
Ich bin jemand, der den Begriff sehr weit fasst und dafür auch Kritik einstecken darf und durfte. Die Frage ist, wo ziehen wir die Grenze. Es gibt Kollegen, die den Begriff “Verschwörungstheorie” grundsätzlich ablehnen und von “Verschwörungsideologien” sprechen, weil sie sagen, Theoriemerkmale werden nicht erfüllt. Das sehe ich etwas anders. Spannend ist die Frage der Widerlegbarkeit. Nehmen wir die Nato-Kritik. In dem Moment, wo mir Leute erzählen, dass “der Westen” und “die USA” gefährlich an Russland heranrücken, bin ich relativ sicher, dass ich hier im Bereich der Verschwörungstheoretiker bin. Wenn jemand dagegen sagen würde, er fand zum Beispiel das Nato-Manöver Anakonda im vergangenen Jahr aus den und den Gründen nicht so gut, dann ist das natürlich legitime Kritik.

euronews
Wo ziehen Sie da die Grenze zwischen berechtigter Kritik und Verschwörungstheorie?

Sebastian Bartoschek
Meine Grenze ist es, wenn zum Beispiel ein größerer Plan vermutet, der geheim ist. Wenn man jetzt sagen würde, die Nato will Präsenz an ihrer Ostgrenze zeigen, dann ist das für mich keine Verschwörungstheorie, sondern genau das, was die Nato auch selber in ihren Pressemitteilungen geschrieben hat. Wenn aber jemand von irgendwelchen Überfallsphantasien anfängt, dann wird das ganze verschwörungstheoretisch. Aber die Grenze ist nicht wirklich trennscharf zu ziehen, wenn man den Begriff so weit fasst, wie ich. Andere Kollegen benutzen eben den Ideologiebegriff oder gehen nur auf Sachen ein, die falsch sind an Verschwörungstheorien. Da sage ich dann wieder, dass ich schlecht beurteilen kann, welche Verschwörungstheorie stimmt und welche nicht. Klar, die Sache mit den Reptilien-Aliens und der hohlen Erde, da sind wir uns wohl einig, dass das Müll ist. Aber es fängt schon bei Kleinigkeiten an: Ich bin mal der Theorie nachgegangen, dass die Autohersteller keinen rostfreien Stahl für ihre Auspuffe verbauen, weil sie die durch die sogenannte geplante Obsoleszenz die Umsätze erhöhen wollen. Dazu kriegen Sie keine Auskünfte von Automobilherstellern, so dass man wissenschaftlich sauber sagen müsste, ich weiß es nicht.

Fakten ade, Glauben juchhe

euronews
Es geht bei Verschwörungstheorien ja sehr oft nicht so sehr um Fakten, sondern vielmehr darum, woran wir glauben wollen. Wie gehen wir mit diesem Glauben um?

Sebastian Bartoschek
Meiner Meinung nach sollten wir damit anders umgehen, als wir das viele Jahre lang getan haben. Wir haben versucht, Glauben durch Argumente zu widerlegen, und das funktioniert nicht. Man kann Gefühle nicht durch Fakten zurückweisen. In dem Moment, in dem eine Verschwörungstheorie oder ein Glaube eine emotionale Funktion erfüllt, müssen wir auch mit Emotionen reagieren.

euronews
Nehmen wir mal ein Beispiel: Auch uns bei euronews wird gerne mal vorgeworfen, für die Nato, für den Westen, die USA zu schreiben. Da sagen wir als Redakteure natürlich erst mal, das ist falsch. Aber wenn man nun fragen würde, ob wir Redakteure denn wirklich wüssten, ob unser Chef nicht doch heimlich mit der CIA telefoniert, dann müssten wir – so hanebüchen der Vorwurf auch sein mag – wohl sagen: Nein, das wissen wir nicht, es könnte durchaus sein, auch wenn es ausgesprochen unwahrscheinlich ist. Wie würde in solch einem Gespräch eine emotionale Argumentation aussehen?

Sebastian Bartoschek
Emotional wäre es, sich auf die Sache mit dem Chef gar nicht erst einzulassen und zu fragen: “Glaubst du, dass ich lüge? Willst du mir sagen, dass ich bewusst falsche Nachrichten verbreite? Machst du alles, was dein Chef dir sagt? Selbst wenn mein Chef mir sagen würde, schreib’ für die Nato, wie kommst du dazu mir zu unterstellen, dass ich das tue?”

euronews
Dann könnte man entgegnen, weil wir als kleine Rädchen gar nicht mitbekommen und mitbekommen sollen, was wirklich passiert.

Sebastian Bartoschek
Da würde ich dann den Bogen weiter spannen und fragen: “du glaubst, ich bin zu dumm um mitzubekommen, was ich schreibe? Du kriegst das aber mit?” So holt man das ganze auf eine Ebene, die emotional erlebbarer ist.

euronews
Ist der Begriff “Verschwörungstheoretiker” nicht zu weit gefasst? Da sind einmal Leute, die an Chemtrails glauben, an Reptiloide, also an Dinge, bei denen vermutlich die allermeisten sagen würden, das ist völlig absurd. Aber dann werden vielfach auch Menschen, die die Nato, den Westen kritisieren, in den Verschwörungstopf geworfen. Ist das gerechtfertigt?

Sebastian Bartoschek
Ich bin jemand, der den Begriff sehr weit fasst und dafür auch Kritik einstecken darf und durfte. Die Frage ist, wo ziehen wir die Grenze. Es gibt Kollegen, die den Begriff “Verschwörungstheorie” grundsätzlich ablehnen und von “Verschwörungsideologien” sprechen, weil sie sagen, Theoriemerkmale werden nicht erfüllt. Das sehe ich etwas anders. Spannend ist die Frage der Widerlegbarkeit. Nehmen wir die Nato-Kritik. In dem Moment, wo mir Leute erzählen, dass “der Westen” und “die USA” gefährlich an Russland heranrücken, bin ich relativ sicher, dass ich hier im Bereich der Verschwörungstheoretiker bin. Wenn jemand dagegen sagen würde, er fand zum Beispiel das Nato-Manöver Anakonda im vergangenen Jahr aus den und den Gründen nicht so gut, dann ist das natürlich legitime Kritik.

euronews
Wo ziehen Sie da die Grenze zwischen berechtigter Kritik und Verschwörungstheorie?

Sebastian Bartoschek
Meine Grenze ist es, wenn zum Beispiel ein größerer Plan vermutet, der geheim ist. Wenn man jetzt sagen würde, die Nato will Präsenz an ihrer Ostgrenze zeigen, dann ist das für mich keine Verschwörungstheorie, sondern genau das, was die Nato auch selber in ihren Pressemitteilungen geschrieben hat. Wenn aber jemand von irgendwelchen Überfallsphantasien anfängt, dann wird das ganze verschwörungstheoretisch. Aber die Grenze ist nicht wirklich trennscharf zu ziehen, wenn man den Begriff so weit fasst, wie ich. Andere Kollegen benutzen eben den Ideologiebegriff oder gehen nur auf Sachen ein, die falsch sind an Verschwörungstheorien. Da sage ich dann wieder, dass ich schlecht beurteilen kann, welche Verschwörungstheorie stimmt und welche nicht. Klar, die Sache mit den Reptilien-Aliens und der hohlen Erde, da sind wir uns wohl einig, dass das Müll ist. Aber es fängt schon bei Kleinigkeiten an: Ich bin mal der Theorie nachgegangen, dass die Autohersteller keinen rostfreien Stahl für ihre Auspuffe verbauen, weil sie die durch die sogenannte geplante Obsoleszenz die Umsätze erhöhen wollen. Dazu kriegen Sie keine Auskünfte von Automobilherstellern, so dass man wissenschaftlich sauber sagen müsste, ich weiß es nicht.

Fakten ade, Glauben juchhe

euronews
Es geht bei Verschwörungstheorien ja sehr oft nicht so sehr um Fakten, sondern vielmehr darum, woran wir glauben wollen. Wie gehen wir mit diesem Glauben um?

Sebastian Bartoschek
Meiner Meinung nach sollten wir damit anders umgehen, als wir das viele Jahre lang getan haben. Wir haben versucht, Glauben durch Argumente zu widerlegen, und das funktioniert nicht. Man kann Gefühle nicht durch Fakten zurückweisen. In dem Moment, in dem eine Verschwörungstheorie oder ein Glaube eine emotionale Funktion erfüllt, müssen wir auch mit Emotionen reagieren.

euronews
Nehmen wir mal ein Beispiel: Auch uns bei euronews wird gerne mal vorgeworfen, für die Nato, für den Westen, die USA zu schreiben. Da sagen wir als Redakteure natürlich erst mal, das ist falsch. Aber wenn man nun fragen würde, ob wir Redakteure denn wirklich wüssten, ob unser Chef nicht doch heimlich mit der CIA telefoniert, dann müssten wir – so hanebüchen der Vorwurf auch sein mag – wohl sagen: Nein, das wissen wir nicht, es könnte durchaus sein, auch wenn es ausgesprochen unwahrscheinlich ist. Wie würde in solch einem Gespräch eine emotionale Argumentation aussehen?

Sebastian Bartoschek
Emotional wäre es, sich auf die Sache mit dem Chef gar nicht erst einzulassen und zu fragen: “Glaubst du, dass ich lüge? Willst du mir sagen, dass ich bewusst falsche Nachrichten verbreite? Machst du alles, was dein Chef dir sagt? Selbst wenn mein Chef mir sagen würde, schreib’ für die Nato, wie kommst du dazu mir zu unterstellen, dass ich das tue?”

euronews
Dann könnte man entgegnen, weil wir als kleine Rädchen gar nicht mitbekommen und mitbekommen sollen, was wirklich passiert.

Sebastian Bartoschek
Da würde ich dann den Bogen weiter spannen und fragen: “du glaubst, ich bin zu dumm um mitzubekommen, was ich schreibe? Du kriegst das aber mit?” So holt man das ganze auf eine Ebene, die emotional erlebbarer ist.

euronews
Können wir also die Idee vergessen, Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, mit Argumenten und Fakten zu überzeugen?

Sebastian Bartoschek
So ganz auch nicht. Ich habe ein Zweistufen-Modell. Dieses geht davon aus, dass eine Verschwörungstheorie am Anfang der – und das klingt etwas hochtrabend – Integration dissonanter Fakten dient. Man hat zum Beispiel etwas beobachtet, das man sich nicht so recht erklären kann, und dann kommt die Verschwörungstheorie, und auf einmal ergibt alles einen Sinn. Ich sehe, dass die Fahne auf dem Mond flattert, auf dem Mond gibt es aber keinen Wind, also sage ich, aha, das wurde in einem Filmstudio auf der Erde gedreht. So lange ich in diesem Bereich bin, bin ich der Widerlegung durch Fakten zugänglich. Wenn also jemand sagt, die flattert gar nicht im Wind, sondern das ist eine Nachschwingung, weil das eine Alufolie war und es auf dem Mond keinen Luftwiderstand gibt, weswegen die Flagge so lange schwingt, dann nehme ich das an. In dem Bereich ist es also wichtig, dass wir mit Fakten arbeiten und Fakten präsentieren. Wenn wir aber merken, es geht dem anderen gar nicht mehr um Fakten, sondern er sagt, “das passt ja auch zur ganzen Mondverschwörung, denn die Amerikaner betrügen ja schon immer die Menschen und man weiß ja auch, die ganzen Ostküstejuden beuten uns aus” und so weiter, dann sind wir in einem Bereich, in dem es nicht mehr um Fakten geht, sondern um Glauben, um Ideologie. Und da werden Sie auch mit Fakten nichts mehr reißen können.

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Verschwörungstheorien sind in der Mitte der Gesellschaft angelangt

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Gruß Hubert

 

Veröffentlicht 7. Januar 2017 von hubert wenzl in Gesellschaft, Politik, Uncategorized

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